Leben

Erschöpfungsfalle schnappt zu Wie man wieder zu Kräften kommt

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Auf der Couch wird die Erschöpfung selten besser.

(Foto: imago images/Westend61)

Die Belastungen der Corona-Zeit hinterlassen bei vielen Menschen deutliche Spuren, sie sind matt, schlapp, müde. Hinter Erschöpfungssymptomen können sich Krankheiten verbergen oder das Zeichen, dass es Zeit ist, etwas zu ändern. Und Pizza hilft leider nicht.

Nach einem Jahr Corona sind viele Menschen einfach nur noch erschöpft. Das fällt auch Dr. Matthias Marquardt in seiner Praxis in Hannover-Langenhagen auf. "Ich nenne das intern die Homeoffice-Opfer", sagt er ntv.de "Die Menschen merken jetzt erst, wie ihnen der Weg aus der Wohnung heraus fehlt, der Wechsel zwischen Arbeit und Freizeit, auch das Kollegiale, und wie viel mehr Konzentration es braucht, auf diesen Videokanälen zu kommunizieren." Hinzu kämen Belastungen beispielsweise durch die Betreuung oder Beschulung von Kindern, die Sorge um Angehörige oder um die eigene Gesundheit.

Marquardts Erfahrung ist, dass sich das Gefühl der Erschöpfung schon ohne Corona quer durch die Gesellschaft zieht. Die Pandemie sei für viele noch der Tropfen, der das Fass endgültig zum Überlaufen bringt. "Wir leben in einer Leistungs- und Steigerungsgesellschaft. Man kann nie einfach so weitermachen wie bisher, sondern muss immer besser werden. Sonst überholen einen die anderen." Damit sei gesamtgesellschaftlich die Gefahr für jedermann im Schnitt gestiegen, in die Erschöpfungsfalle zu tappen.

Trotzdem sei es wichtig, zunächst psychische und körperliche Ursachen von Erschöpfung abzuklären. Hinter Schlappheit oder wenig Energie zum Aufstehen können sich durchaus ernsthafte Krankheiten verbergen. "Erschöpfung kann bei einer Herzschwäche entstehen, bei einem Eisenmangel, bei einer Burnout-Problematik oder auch bei sportlicher Überlastung", so Marquardt. Deshalb muss zunächst ausgeschlossen werden, dass Patienten eine unbedingt behandlungsbedürftige Krankheit haben.

Be- und Entlastungen außer Balance

Der erfahrene Arzt vertraut dabei auch seinem Gespür. "Das beginnt mit einem ausführlichen Patientengespräch darüber, welche Symptome es gibt, seit wann dieses Problem da ist, was im Leben so passiert ist. Daraus ergibt sich ein Anknüpfungspunkt." Bei einem Sportler, der die Probleme unter massivem Training entwickelt hat, "denke ich beispielsweise in die Richtung Übertrainingssyndrom".

Bei einer Patientin im mittleren Lebensalter, die nebenbei erwähnt hat, dass ihr Vater im letzten Jahr gestorben sei, könnte möglicherweise aber auch eine Depression hinter der Erschöpfung stecken. "Manchmal kommt man dann auf ein ganz anderes Gleis, manchmal auch auf eins, dass dem Patienten gar nicht so gut gefällt." Wichtig sei es, in alle Richtungen zu denken, und dann eine sinnvolle Diagnostik zu veranlassen. "Erst wenn körperliche und psychische Erkrankungen ausgeschlossen werden können, kommt man in den Lifestyle-Bereich, wo wir es mit medialer, familiärer oder beruflicher Überlastung zu tun haben."

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Auch diese Erschöpfung kann Menschen regelrecht außer Kraft setzen. "Be- und Entlastungen sind ja immer da im Leben, aber wenn das Verhältnis entgleist, kann das zu Erschöpfung führen", erklärt der Arzt. Marquardt vertraut darauf, dass Menschen künftig immer bessere Lösungen für Beschleunigung, Stress und Erschöpfung finden werden. So schreibt er es auch in seinem Buch "Erschöpft - Warum uns allen die Kraft ausgeht und was wir dagegen tun können". Bis dahin gelte es, "bestmöglich mit dem Lebenstempo umzugehen, indem wir Welt- und Lebenszeit irgendwie miteinander versöhnen".

Pizza hilft nicht

Den Krafträubern stehen einfache und trotzdem erstaunlich wirkungsvolle Methoden gegenüber, die Batterien wieder aufzuladen. Sie haben nur einen Haken, es kostet ein wenig Überwindung, sie zu praktizieren. Marquardt nennt es Startenergie. "Joggen gehen hilft beispielsweise bei Erschöpfung, weil man mehr Enzymsysteme in allen Körperzellen bildet, die für die Energiebereitstellung wichtig sind." Auch ein Buch lesen oder gemeinsam kochen, sind Tätigkeiten, die diese Startenergie brauchen, dann aber viel bewirken können. "Die Menschen scheitern am Aufbringen der Startenergie und tun permanent intuitiv das Falsche", beobachtet der Mediziner häufig. Fernsehen und Fertigpizza helfen aber nicht gegen das übermächtige Gefühl der Erschöpfung.

"Klug wäre es, die Wanderschuhe anzuziehen oder die Fahrradtasche zu packen und drei Tage durch die Lüneburger Heide zu fahren oder zu wandern. Dann bin ich draußen und erlebe etwas, nämlich Belastung und Entlastung, und sinke abends selig und angenehm erschöpft ins Bett und komme durch einen erholsamen Schlaf und angenehme Eindrücke wieder zu Kräften."

Die Natur erweist sich dabei als echte Wundermedizin. Studien belegen eindeutig, dass schon nach 20 Minuten in der Natur das Stressniveau von Menschen deutlich absinkt. Marquardt hat dafür eine einfache Erklärung: "Uns tut das Licht gut, das Rauschen der Blätter, der Wind, das Naturerleben entschleunigt Menschen. Natur macht etwas mit uns." Das gelte auch für gleichförmige Bewegungen wie Radfahren, Schwimmen oder Laufen. "Das hat etwas Beruhigendes. Außerdem mag der Körper Be- und Entlastung im physiologischen Wechsel, das tut uns körperlich gut." Ganz nebenbei könne man außerdem seine Gedanken sortieren.

Von vielen unterschätzt wird auch die für die Regeneration nötige Schlafdauer. "Die tollsten Pillen oder Massagen helfen nicht besser als Schlaf", so Marquardt. Trotzdem erlebt der Arzt immer wieder Patienten, die den Bezug zu ihrem Schlafbedürfnis völlig verloren haben. Obwohl sieben bis acht Stunden Schlaf gesund und normal sind, glauben sie, mit nur fünf Stunden auszukommen. "Das reden die sich ein, weil sie in der Performancegesellschaft mehr Zeit locker machen wollen, um noch mehr schaffen zu können." Doch gerade, wer schon erschöpft ist, sollte darauf achten, wirklich sieben bis acht Stunden zu schlafen.

In kleinen Schritten anfangen

Der Arzt rät seinen Patienten, ihren Tag rückwärts zu planen. "Plant zuerst ein, dass ihr acht Stunden schlafen könnt, gute Mahlzeiten habt und eine Stunde Bewegung oder Sport. Erst dann plant den Rest. Denn wenn man andersherum plant, fallen Sport und Schlaf nach zehn Stunden Arbeit, pendeln und Einkaufen, immer hinten runter."

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Obwohl er das alles nur zu gut weiß, tappte der Arzt mitten in der Corona-Zeit selbst in die Erschöpfungsfalle. Monatelang plagte er sich mit immer wiederkehrenden Infekten herum, bis ihn eine verschleppte Mittelohrentzündung schließlich ausknockte. "Da hat es mich schon kräftig erwischt und es war eigentlich nicht erklärbar, warum ein sportlicher, gesunder, mittelmäßig junger Mann so krank wird", sagt Marquardt nach seiner Genesung heute. Er hatte seine Grenze ignoriert und stattdessen Pflichtbewusstsein und Ehrgeiz mehr Raum gegeben, als ihm und seiner Familie gutgetan hätte, so beschreibt er es im Buch. Er schloss seine Praxis für mehrere Wochen und nahm sich die Zeit, gesund zu werden.

Danach tat er das, was er auch Erschöpften rät: "Unbedingt wieder anfangen, aber in ganz kleinen Schritten." Und sich auf die Spur machen, was im eigenen Leben aus der Balance geraten ist. Ist es die Partnerschaft oder die Arbeit? Hat man finanzielle Abhängigkeiten, die einen belasten? "Es gibt ja tausend Dinge, die an einem nagen können. Wo ist die große Unwucht im Leben? Da muss man die Dinge auf den Tisch bringen und überlegen, was tut mir gut." Wer darauf Antworten findet, gewinnt neue Lebensenergie und kann die Erschöpfung hinter sich lassen.

Quelle: ntv.de

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