Letzter "Polizeiruf" aus Brandenburg Burnout bei Jules und Jim
10.05.2015, 21:48 Uhr
Einen schönen Ruhestand wünschen wir!
(Foto: dpa)
Nach dem Tatort-Kehraus in Leipzig fiel nun auch der letzte Vorhang beim Brandenburger "Polizeiruf". Dass die Geschichte von "Ikarus" nicht vollends verglühte, war dem sympathischsten Dorfbullen des Ostens zu verdanken.
Stattliche 26 Fälle in 17 Jahren, vier Vorgesetzte, allesamt weiblich. Dazu Gurkenköniginnen und Mörderkinder, falsche Väter, andere Welten, Käfer, Prinzessinnen und Hexen - Horst Krause hat so einiges mit- und durchgemacht. Am 4. Juni 1998 war der Cop vom Dorf, der seinen Namen aus dem wirklichen Leben mit in diese Rolle genommen hatte, mit dem Fall "Das Wunder von Wustermark" im Brandenburger "Polizeiruf" zum Dienst angetreten. Zum Abschluss nun musste der sympathische Stoiker mitansehen, wie "Ikarus" der Sonne zu nahe kommt.
Der Fall: Ein junger Mann baumelt blutüberströmt in einem Baum. Daniel Reef, so heißt der Abgestürzte, hat in luftiger Höhe unfreiwillig den Pilotensitz seines Oldtimer-Flugzeuges verlassen, kurze Zeit später stürzt auch die Maschine zu Boden. Beisitzerin Anjela Krol (Margarita Breitkreitz) überlebt den Unfall mit leichten Verletzungen, im Flugzeugwrack findet man eine Tasche mit 750.000 Euro in bar.
Die Ermittlungen führen Krause und Kriminalhauptkommissarin Olga Lenski (Maria Simon) mitten hinein in einen Wust aus erkalteter Amour fou, die ebenso erlahmte Ideenschmiede einer konkursbedrohten Solarmodul-Firma, das ganze unterfüttert von verlebten Hippie-Idealen, Betrug, Lug und Laster. Zudem ist Krause diesmal persönlich involviert, da er die Familie des Schwerverletzten gut kennt und ein freundschaftlichen Draht zu Daniel hatte.
Hippie-Love zwischen Heizdecken
So unaufgeregt hier wieder einmal Krauses Horst das Geschehen mit ein wenig Wahrhaftigkeit versieht, so konstruiert kommt der verquaste Plot um Liebe zu dritt, Ideenklau, Habgier und Mordlust daher. Daniels Mutter Catherine (chronisch verhuscht: Ursina Lardi, die zuletzt Freddy Schenk im Kölner "Tatort" den Kopf verdrehte) feiert ihren Geburtstag mit mehreren Dutzend Gästen, die so deplatziert herumstehen, als hätte ein Reisebus sie hier rausgeworfen, anstatt sie zu einer Heizdecken-Verkoofe oder einem Landmarkt zu kutschieren.
Ihr zur Seite stehen mit Daniels Vater Martin Reef (Martin Feifel) und dessen Geschäftspartner Peter Tender (Bernhard Schir) gleich zwei Galane und das schon seit 25 Jahren. In Paris hatten die Drei sich einst kennen und lieben gelernt. Truffaut! Jules! Jim! springt es einen an und wer das nicht kapiert, für den laufen die ganze Zeit französische Chansons im Hintergrund. Doch das Trio infernale hat seine besten Zeiten hinter sich. Tender kommt als kühler Karrierist daher, Reef ist chronisch so zerknirscht, dass man sich weder vorstellen kann, wie der Mann jemals eine gute Idee für seine Solarpower-Klitsche zustande bekommen hat noch wie die drei Burnout-Kandidaten jemals bei Baguette und Rotwein knutschend durch die Stadt an der Seine geschlendert sind.
Ideen sind hier wieder einmal Legion, miteinander verdrahtet bekommt Autor Uwe Wilhelm sie jedoch nur lose. Vielleicht sind 90 Minuten für ein Geflecht aus Wirtschaftskriminalität, alternativen Energien und Lebensformen, Seiten- und Luftsprüngen, manipulierten Sicherheitsgurten und ein paar Dingen mehr einfach zu kurz. Zu kurz auch, um etwa Olga Lenski dramaturgisch nicht nur irgendwie am Leben zu halten, sondern ihr auch etwas mehr zu tun zu geben als das schnöde Durchschreiten ihrer Dialogzeilen.
Angetreten war sie einmal als vielversprechende Kommissarin der anderen Art, davon ist heute kaum noch etwas übrig. Ihr Kind übergibt sie zu Beginn einer Frau, die sie augenscheinlich noch nie vorher gesehen hat, und zwischen Abhaken und Aussitzen gerät auch der Rest ihrer Aktionen. Was kaum an Maria Simon, vielmehr an dem von Autorenseite stiefväterlichen Umgang mit ihrer Rolle und ihrer Geschichte liegt.
Umso auffälliger ist das natürlich, da ihr mit Horst Krause einer der am konsequentesten durcherzählten Krimi-Figuren der letzten zwei Dekaden Sonntagabends-Unterhaltung zur Seite steht. Der mag sich das Ganze schließlich auch nicht mehr mit ansehen und kehrt seiner eigenen Abschiedsfeier, dröge wie gewohnt, den Rücken zu. "Sollen wir uns das antun?" fragt der scheidende Polizist seinen vierbeinigen Beifahrer. Eher nicht. Also: Abfahrt. Tschüss, Horst, es war uns ein Vergnügen. Für Kollegin Lenski geht es an anderer Stelle weiter: Sie wechselt zur ersten deutsch-polnischen Mordkommission nach Frankfurt/ Oder.
Quelle: ntv.de