Unterhaltung

"Auf Messers Schneide wandern" Extremsportler überschreiten jede Grenze

Dabei bleiben dem 48-Jährigen nur neun Tage Zeit.

Extremsport ist mehr als die Überschreitung der eigenen Grenzen. Es ist ein Balanceakt zwischen dem, was der Körper kann und dem, was der Geist will. In seinem Dokumentarfilm "Attention - A Life in Extremes" begleitet Filmemacher Sascha Köllnreitner drei Extremsportler auf ihrem Weg. Mit der Kamera taucht er über 100 Meter in die Tiefen des Meeres, fährt über 5000 Kilometer mit dem Rad quer durch die USA oder stürzt sich mit Flügeln 200 Meter von einer Klippe. Im Interview mit n-tv.de erzählen er und Extremsportler auf dem Rad Gerhard Gulewicz, dass das was sie tun, mehr als die bloße Sehnsucht nach Adrenalin ist.

n-tv.de: Der Film erzählt die Geschichte von drei Ausnahmesportlern. Was macht die Faszination Extremsport aus?

Sascha Köllnreitner: Mein Beweggrund, einen Film mit und nicht über Extremsportler zu machen war die Ambivalenz Extremsport. Einerseits werden Leistungen vollbracht, die man sich als Normalsterblicher nur schwer vorstellen kann und andererseits ist es immer mit einem gewissen Neid verbunden, dass die etwas zustande bringen, was ich vielleicht nicht schaffe. Gleichzeitig scheint es auch die Motivation zu sein, wenn man sich anschaut, wie Gerhard das Race Across America (Raam) fährt und man fragt sich, warum man es selbst nicht schafft, dreimal in der Woche laufen zu gehen. Es ist die Mischung zwischen Unverständnis, einer Vorbildwirkung und einem modernen Heroentum, die die Faszination ausmacht.

Gerhard Gulewicz: Für mich geht es darum, Grenzen auszuloten, sie in einer gewissen Art und Weise zu verschieben und teilweise auch zu überschreiten. Einfach zu sehen, wozu wir fähig sind. Ich habe selbst festgestellt, dass wir Menschen in der glücklichen Situation sind, dass wir unsere Grenzen überhaupt nicht ausschöpfen. Wir haben nach oben hin von der mentalen und der körperlichen Seite aus extrem viel Potential. Wir Extremsportler zeigen zwar, was möglich wäre, aber wir sind noch weit entfernt von dem, was möglich ist.

Warum hat der Mensch den Drang, an seine Grenze zu gehen?

G.G.: Es ist eine Ureigenschaft des Menschen, an seine Grenzen zu gehen. Evolutionär gesehen musste der Mensch schon immer an seine Grenze gehen, sonst hätte er nicht überleben können. Bei vielen Menschen ist dieser Drang verkümmert, doch das "Schneller, Höher, Weiter" ist in uns. Hätten wir das nicht, würde es keine Entwicklung geben.

S.K.: Der Drang, etwas Neues und Außergewöhnliches zu machen, lebt in uns. Es ist ein Urtrieb. Es geht um das Kanalisieren von Energie, die sich beim Sport bündelt.

Herr Köllnreitner, Sie drehten bisher nur Werbefilme und Musikvideos. Woher kommt nun die Begeisterung für einen Dokumentarfilm über Extremsport?

Nach seinem Dokumentarfilm plant Sascha Köllnreiter einen Psychothriller.

Nach seinem Dokumentarfilm plant Sascha Köllnreiter einen Psychothriller.

(Foto: Wolfgang Zac)

S.K.: Mich interessiert, wohin man mit seinem Leben geht, welche Risiken man eingeht und wie man erfolgreich sein kann. Bei diesem Thema ist es sehr spannend, das Feld Extremsport zu erörtern. Das Wandern auf Messers Schneide, das Scheitern oder Siegen ist nirgendwo so immanent wie im Extremsport. Viele Beweggründe von Extremsportlern lassen sich auch auf die breite Masse herunterbrechen. Es ist ein Spiegel der Gesellschaft und zeigt, warum wir als Gesellschaft funktionieren oder warum Teile nicht funktionieren. Menschen wie Gerhard üben einen Sog auf andere aus. Man muss seine Komfortzone verlassen. Die drei Sportler bestimmen ihr Leben selbst. Sie werden dafür honoriert, etwas zu wagen.

Herr Gulewicz, wie sind Sie zum Extremsport gekommen?

G.G.: Ich bin durch eine Wette zum Radsport gekommen. Ich saß mit Freunden in einem Fitnessstudio, die darüber redeten wie sie sich auf einen Mountainbike-Marathon vorbereiten. Ich war damals noch im Kraftsport tätig und meinte, man müsse nur links und rechts die Pedale treten und dann komme man von A nach B. Das kann nicht schwer sein. Sie sagten, ich solle auch an dem Rennen teilnehmen. Ich habe mich erst drei Wochen vor dem Marathon intensiv vorbereitet und mir ein Rad gekauft. Ich bin mit Ach und Krach ins Ziel gekommen und habe die Wette gewonnen. Es ging schließlich um meine Ehre. Wenn ich zu etwas ja sage, dann ziehe ich das durch. Das ist meine Lebenseinstellung und das Geheimnis von erfolgreichen Menschen. Es ist ein Manko unserer Gesellschaft, Hindernissen auszuweichen und den leichteren Weg zu gehen.

Wie waren die Gefühle beim Dreh, wenn man zuschauen muss, wie sich Gerhard Gulewicz in nur neun Tagen über 5000 Kilometer auf dem Rad quält?

S.K.: Ich war eiskalt, aber ich habe vorher gewusst, was auf mich zukommt. Ich konnte Gerhard mit einer kritischen Distanz betrachten und habe auf das Team vertraut. Ich habe mir keine Sorgen gemacht, dass er vom Rad fällt und tot umkippt. Beeindruckender waren die Qualen, die das Filmteam auf sich nehmen musste. Wir haben nur zwei bis drei Stunden pro Nacht mit dem Kopf an der Autoscheibe geschlafen.

Gulewicz sind die Strapazen des Rennens deutlich anzusehen.

Gulewicz sind die Strapazen des Rennens deutlich anzusehen.

G.G.: Ich habe Sascha vorgewarnt, dass es kein Zuckerschlecken wird. Es gibt kein Hotel. Wir fahren mit dem Rad täglich 500 bis 600 Kilometer und auch die Filmcrew muss jeden Tag die Strecke mit dem Auto fahren. Bei durchschnittlich 80 Kilometern in der Stunde sitzt man nur im Auto und bewegt sich fort. Dabei hat man weder gegessen, getrunken, geschlafen oder geduscht.

Der Titel des Filmes lautet "Attention - A Life in Extremes". Was ist ein Leben in Extremen?

S.K.: Es gibt auch andere Sachen außer Sport, die extrem sind. Auch im alltäglichen Leben gibt es den Hang zum Exzess. Das ist ein Phänomen der westlichen Gesellschaft und des Wohlstandes. Wir bekommen es nicht mit, dass wir in Extremen leben bis wir einen Schritt zurück machen und nur beobachten.

Welche Extreme hat der Film abverlangt?

S.K.: Geduld … (lacht). Es dauert eine Weile, einen Film zu machen, Geld zu bekommen, und auf den nächsten Dreh zu warten. Für mich war es eine Prüfung in Geduld, die meine größte Schwäche ist.

Herr Gulewicz, Sie sind 48 Jahre alt. Wo liegt Ihre persönliche Grenze?

G.G.: Sportlich habe ich noch keine Grenze definiert. Ich bin auch schon gescheitert und beim Raam nicht ins Ziel gekommen. Da hat die Situation mir meine Grenzen aufgezeigt, aber das gilt nur für den Moment, in dem kein Weiterfahren möglich war. Nun trainiere ich härter, bereite mich besser vor und starte wieder. Es gibt mehr Menschen, die auf dem Mount Everest gestanden haben, als beim Raam ins Ziel gekommen sind.

Ist demnach der Weg das Ziel?

Die größte Gefahr für die Fahrer beim Race Across America ist der Verkehr.

Die größte Gefahr für die Fahrer beim Race Across America ist der Verkehr.

G.G.: Nein, ich bin ein Gegner dieser Aussage. Denn damit beginnt das Scheitern. Man legt sich bereits eine Ausrede zurecht, warum man nicht so erfolgreich ist, wie man eigentlich sein möchte. Ein richtiger Sportler will siegen und nicht nur dabei sein. Ich will das Raam als Erster beenden. Bisher hat mich immer jemand geschlagen, aber derjenige kann genauso von mir geschlagen werden. "Das was der Schelm denkt, das ist er" lautet eine österreichische Bauernweisheit. Das heißt, dass deine Gedanken dein Leben bestimmen. Wenn du in Erfolgen denkst, wirst du Erfolg haben.

Warum sind alle Protagonisten männlich? Sind Männer die besseren Extremsportler?

S.K.: Nein, aber männliche Extremsportler kommen öfter vor. Es gibt nur wenige Frauen, die die Schallgrenze durchbrochen haben. Extremsport ist eine Männerdomäne. Der Grad der Verrücktheit, den man für Extremsport braucht, kommt seltener bei Frauen vor. Es geht auch um Selbstbestätigung und darum, anderen etwas zu beweisen. Da haben Männer offenbar mehr Drang zu und sind in dieser Hinsicht hormongesteuert. Beim Wingsuit-Fliegen kommen jedoch immer mehr Frauen hinzu und im Abnoe-Tauchen gibt es mittlerweile genauso viele weibliche wie männliche Sportler.

G.G.: Frauen sind Extremsportler per se, denn kein Mann kann sich vorstellen, was es bedeutet, ein Kind zu bekommen. Das zeigt, dass Frauen von Natur aus sehr viel leistungsfähiger und schmerzunempfindlicher sind als Männer. Aber es gibt Sportarten, in denen Frauen oder Männer nichts zu suchen haben. Gerade in Extremsportarten verlieren Frauen häufig jede Weiblichkeit.

Was unterscheidet Extremsportler von anderen?

S.K.: Es gibt einen ausgeprägten Sinn für ein selbstbestimmtes Leben. Der Wille unterscheidet einen Extremsportler vom Ottonormalverbraucher. Das bezieht sich jedoch nicht nur auf Extremsportler, sondern auf Menschen, die extrem erfolgreich sein wollen. Sie sind bereit, mehr zu geben und mehr Risiko einzugehen.

G.G.: Ein Extremsportler unterscheidet sich nicht von einem anderen erfolgreichen Menschen. Der Wille zum Erfolg, die Zielstrebigkeit und die Motivation, etwas Besonderes erreichen zu wollen, sind gleich. Wir Sportler sind jedoch im Gegensatz zu anderen bereit, dafür körperliche Qualen auf uns zu nehmen. Mein Tipp ist: Tun und nicht überlegen!

Mit Sascha Köllnreitner und Gerhard Gulewicz sprach Lisa Schwesig.

"Attention - A Life in Extremes" erscheint am 29.Mai 2015 auf DVD und kann bei Amazon bereits vorbestellt werden.

Quelle: ntv.de

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