Große Stimme, schwache Nerven "Seelenmensch" Kümmert passt nicht zum ESC
06.03.2015, 09:47 Uhr
Kümmert verschenkt seinen Sieg und geht ab.
(Foto: dpa)
Andreas Kümmert gewinnt den ESC und fährt trotzdem nicht nach Wien. Wer den bisherigen Werdegang des Künstlers verfolgt hat, kann davon nicht überrascht sein.
Man hätte vielleicht ahnen können, dass Andreas Kümmert nicht so gut in den ESC-Betrieb passt. Schon als Kümmert bekannt gab, dass er beim Vorentscheid antreten will, rieb sich mancher überrascht die Augen. "Ich sehe es als eine große Chance, meine Songs einem breiten Publikum präsentieren zu können", ließ der 28-Jährige aus Gemünden am Main im Januar lediglich mitteilen. Das klang nicht so ganz nach Kümmert, eher nach Vermarktungsdeutsch. Die ESC-Gemeinde war trotzdem begeistert.
Dass er das Publikum überzeugen kann, hatte Kümmert bereits Ende 2013 bewiesen, als er die Talentshow "The Voice of Germany" von ProSieben und Sat.1 gewann. Vor der großen Siegertour drückte er sich jedoch schon damals. Das sei nicht sein Ding. Später landete der untersetzte Fusselbartträger mit der röhrenden Rockstimme mit seiner Komposition "Simple Man" einen Hit in den Charts. Doch danach mied er wieder den großen Auftritt und gab lieber kleine Konzerte. Umso mehr staunten viele, dass es ihn zum ESC zog, der für seinen Medienrummel bekannt ist.
Möglicherweise unterschätzte er die Belastung, die sich für ihn aus dieser geballten Aufmerksamkeit ergibt. In einem vor zwei Wochen bei Youtube veröffentlichten Video gab der Sänger einen überraschend tiefen Einblick in sein Seelenleben. Gleich zu Beginn des dreieinhalb Minuten langen Zusammenschnitts aus seinem ESC-Siegersong "Heart of Stone" und Interviewsequenzen sagt Kümmert: "Ich bin nicht jemand, der so tut, als wäre er ein Star. In meinen Augen tut eigentlich jeder nur so, als wäre er ein Star."
Viel Glitzer und Kümmert
Kümmert tut tatsächlich nicht so. Während alle anderen ESC-Teilnehmer perfekt gestylt auf der Bühne standen, kam Kümmert wie gehabt in einer Kapuzen-Jacke, die ihre besten Tage schon hinter sich hat, Jeans und Sneakern nach Hannover. Damit war er ein wenig underdressed. Das war allerdings vergessen, als er seinen Song performte. Begeistert klatschte das Publikum mit, während Kümmert in seinen sparsamen Bewegungen an Auftritte von Joe Cocker erinnerte.
Danach gefragt, worum in "Heart of stone" geht, hatte er in dem bereits zitierten Video gesagt: "Es geht eigentlich darum, jemandem zu sagen, dass man gern losgelassen werden möchte, weil man sich unverstanden fühlt oder weil man das Gefühl hat, dass diese Person mit dem Herzen seiner selbst nicht umgehen kann." Den Song hat der frühere Selig-Gitarrist Christian Neander geschrieben und Kümmert offenbar ins Herz getroffen. Denn Kümmert schwärmt in dem Video nicht nur von der großartigen Zusammenarbeit mit Neander im Studio, sondern sagt auch über seinen ESC-Song: "Das kann man schon so sehen, dass das die Andreas Kümmert-Hymne ist."
Die Hymne eines Künstlers, der für sich in Anspruch nimmt, als "Seelenmensch" auf die Bühne zu gehen. "Ich denke, dass ich auf der Bühne und in der Live-Situation so bin, wie ich bin und da eben auch vollkommen unmaskiert bin." Er versuche auf der Bühne emotional genau das rüberzubringen, was er empfunden habe, als er den Song geschrieben oder zum ersten Mal gehört habe.
Ein "kleiner Sänger"
Das ist ihm auch in Hannover gelungen, trotzdem nahm er den Sieg nicht an. Er sagte stattdessen: "Ich bin überwältigt von euch allen, von Deutschland, dafür, dass ihr meine Musik toll findet und mich unterstützt habt. Ich bin nicht wirklich in der Verfassung, diese Wahl anzunehmen und muss deshalb … Ich geb meinen Titel an Ann Sophie. Ich denke einfach, dass sie viel geeigneter und qualifizierter ist. Ich bin ein kleiner Sänger. Tut mir leid."
Kümmerts Management konnte später auch nur eine magere Erklärung liefern: Der öffentliche Wirbel sei dem Sänger einfach zu viel geworden. "Die Lampe ist zu groß, die da angeht", sagte Siggi Schuller von der Plattenfirma Universal in einem ARD-Video. "Er hat alles gegeben und irgendwann festgestellt, dass er es einfach nicht packt." Er glaube, Kümmert habe einfach spontan entschieden. Daran darf man zumindest zweifeln, hatte Kümmert doch die Pressekonferenz schon unter Verweis auf eine Erkrankung sausen lassen. Am Mittwoch hieß es nur, sein Auftritt sei nicht gefährdet. "Wir haben jemanden, der sich um ihn kümmert", sagte Moderatorin Barbara Schöneberger noch. Trotzdem verpasste der Sänger die Proben, er sei mit 40 Grad Fieber beim Arzt, wurde mitgeteilt.
Vielleicht ahnte Kümmert zu diesem Zeitpunkt schon, dass er irgendwie auf der falschen Veranstaltung gelandet ist. Möglicherweise hat er aber auch einen Sieg einfach nicht für möglich gehalten und nur ein wenig PR für seine am 27. Februar erschienene CD "Here I am" machen wollen. Doch plötzlich fand sich der eher schüchterne Künstler mitten im ESC-Zirkus wieder. Das kann nicht gut zu einem passen, der sagt: "Wenn ich auf ein Konzert gehe, bin ich auch dankbar dafür, dass mich jemand mit auf so eine kleine Reise nimmt. Das berührt mich so, dass Leute imstande sind, das so zu empfinden, wie ich das empfinde. Das gibt mir einen Grund zu existieren. Das gibt mir die Kraft, mit dem weiterzumachen, was ich mache."
In drei Wochen steht Kümmert das nächste Mal auf der Bühne, im mittelfränkischen Roth. Für 18,60 Euro kann man dort den Mann hören, der fürchtete, dem ESC-Trubel nicht gewachsen zu sein, der vielleicht aber auch einfach nicht dorthin passte. Trotz seiner großartigen Stimme.
Quelle: ntv.de