Mörder, Räuber, Befreier Der Tod hat viele Gesichter
23.11.2014, 06:22 Uhr
Das Buch ist bei Siedler erschienen und kostet 19,99 Euro.
Der Tod ist das einzig Sichere im Leben. Doch ihm zu begegnen, schreckt die Menschen. Zu sehr rühren diese Momente an die Erkenntnis der eigenen Sterblichkeit. Dabei ist jede Lebensreise auch eine Übung im Sterben.
"Der Tod ist gewiss, nur die Stunde wissen wir nicht. Wir wissen aber, dass jede Sekunde uns der allerletzten näher bringt, dass die Vergangenheit länger und länger wird, während sie wie ein gieriges Feuer die Zukunft verzehrt." Bartholomäus Grill hat im Laufe seines Lebens in die vielen Gesichter des Todes geblickt. Doch während ihn das Sterben früher eher zu riskanten Aktionen bewegte, schaut er nun 60-jährig zunehmend melancholisch auf "die sich verlierende Lebensbahn" zurück.
In "Um uns die Toten" beschreibt der Journalist und Autor seine Begegnungen mit dem Sterben. Er hat so manchen Tod erlebt: Großeltern, Schulkameraden, Geschwister, wildfremde Menschen in Afrika, die Eltern. Immer wenn sich ein Menschenleben seinem Ende nähert oder abrupt beendet wird, werden andere Menschen mit ihrer eigenen Sterblichkeit konfrontiert. Grill teilt die Erfahrung der Soziologen: Einerseits wird der Tod immer mehr zur reinen Privatsache, andererseits wird das Sterben von Prominenten geradezu voyeuristisch begleitet. Dem medial ausgebeuteten Tod setzt er zahlreiche biografische Erinnerungen entgegen.
Da ist zum einen die vom katholischen Glauben bestimmte Kindheit in der bayerischen Provinz. Grill beschreibt sich selbst als in eine Todeskultur hineingewachsen. Hier ist der Tod alles andere als Privatsache. Das ganze Dorf hat an den Sterberitualen teil, selbst für Kinder sind bereits Aufgaben vorgesehen, bei denen man nicht nur dem Toten ganz nahe kommt, sondern auch noch sein Taschengeld aufbessern kann. Die kindliche Idylle wird vom Sterben der Schwester erschüttert. Maria Elisabeth war als Contergan-Kind auf die Welt gekommen, "hineingeboren in den Tod". Doch in den wenigen Monaten ihres Lebens gewinnen die Kinder die Schwester lieb und wünschen ihrem Leiden trotzdem ein Ende. Das katholische Glaubensgebäude bekommt durch den frühen Tod der Schwester Risse.
Sich unsterblich fühlen
Es folgen Jahre, in denen die Todeskultur des Bergbauernhofes hinter der Neugier auf Drogen und die Liebe zurücksteht. Immer wieder wird Grill mit der Todessehnsucht seiner Mitmenschen berührt, nicht jeder Suizid macht ihn betroffen. Selbst die eigene Gratwanderung einer riskanten Lebensweise bei gleichzeitiger Versorgung von sterbenden Menschen lässt ihn kaum nachdenklich werden. Die jugendlichen Allmachtsfantasien der eigenen Unsterblichkeit sind stärker.
Später schaut Grill als Auslandskorrespondent oft genug dem menschengemachten Tod ins Gesicht, in Rumänien, während der Kommunismus sein Leben aushaucht, beim Völkermord in Ruanda, dem vieltausendfachen Hungertod in Afrika. Der Tod rückt näher, auch weil der Journalist mit dem Sterben von Kollegen konfrontiert wird. Kein Adrenalin dieser Welt kann den menschlichen Körper vor der nackten Gewalt von Minen oder Kugeln retten.
Und schließlich der frei gewählte Tod seines jüngeren Bruders Urban. Der Wunsch nach Hilfe beim Sterben angesichts einer unheilbaren Krankheit. Für die Jahre später erschienene Reportage zum Thema erhielt Grill Preise, doch die persönliche Erfahrung lässt ihn nicht los. Der Verlust des Bruders, das Sterben weit entfernt in der Schweiz und die Debatte um die Legitimität von ärztlich begleiteter Sterbehilfe haben ihn gezeichnet, so sehr, dass er bis heute zu dem Thema schweigt.
Der Lebensräuber holt die Mutter
Der letzte Tod ist der der Mutter. Sie stirbt, wie so viele Menschen, im Krankenhaus, die Kinder halten Wache an ihrem Bett. Dieses Sterben mitzuerleben, das muss man erstmal aushalten. Die Sterbebetten sind medizinisch hochgerüstet, der Tod gilt als medizinische Niederlage und als Erlösung zugleich. Für die Kinder bleibt der Tod der Mutter eine Katastrophe, die sich nur mit sehr viel Alkohol ertragen lässt.
Dass Grill ein sprachgewaltiger Schreiber ist, hat er in seinen journalistischen Texten oft genug bewiesen. In seinem Buch kommt er manchmal ein wenig zu überlegt und belehrend daher. Lesenswert sind seine Begegnungen mit dem Sterben dennoch. Philosophisch und humorvoll beschäftigt er sich mit den allerletzten Fragen und lädt den Leser ein, es ihm nachzutun. "Es mag sich ja noch ändern, aber bis dato ist mir der Tod als Mörder, Leuteschinder, Henkersknecht und Lebensräuber erschienen …".
Quelle: ntv.de