
Oskari spricht in seinem Thriller "Tage voller Zorn" das Thema Spaltung der Gesellschaft an – und zeigt Wege auf, in der diese letzten Endes führen könnte. Revolution, politischer Umsturz, Neuanfang.
(Foto: IMAGO/Müller-Stauffenberg)
Die Menschen befinden sich seit Jahren im Krisenmodus. Die Armut greift um sich, die Wut der Bürger wächst - der Elite ist das egal, denn sie profitiert von alldem. Aber dann setzt in "Tage voller Zorn" der Selbstmord einer jungen Frau eine Revolution in Gang.
Finnland im Dezember. Statt vergnügten vorweihnachtlichen Treibens mit gut gelaunten Menschen in den Straßen, ist in dem Thriller "Tage voller Zorn" die Stimmung in der Hauptstadt Helsinki angespannt. Dem Land geht es nicht gut. Seit Jahren drückt eine enorme Schuldenlast, entstanden in jüngeren und älteren Krisen. Der unerfahrene Ministerpräsident Leo Koski, einst Investmentbanker in London und erst wenige Monate im Amt, muss reagieren. Und er reagiert. Mit harter Hand kürzt er Sozialleistungen und sorgt dafür, dass die Kluft zwischen Arm und Reich weiter wächst - wie auch schon in den Jahrzehnten davor.

Tuomas Niskakangas' Debüt "Tage voller Zorn" stand drei Monate in den Top Ten der finnischen Bestsellerliste. Die TV-Rechte sind bereits verkauft.
(Foto: Tuomas Niskakangas)
Koski ist verhasst in weiten Teilen der finnischen Bevölkerung. Immer mehr Proteste gegen ihn und seine konservative Politik bahnen sich ihren Weg auf die verschneiten Straßen der Städte des Landes. Die Wut auf ihn wäre noch größer, wenn die Menschen wüssten, dass Koski nur eine Marionette ist: Er hängt an den Strippen einer geheimen Gilde aus den reichsten Männern Finnlands, allen voran Pontus Ebeling, Milliardär und Mentor Koskis. Der Gilde sind die normalen "Trainingsanzugs-Finnen" vollkommen egal. Was zählt, ist der eigene Profit, die Größe der Jacht, der Prunk der Villa.
Doch dann verbrennt sich eine junge Frau selbst: Mit ihrem furchtbaren Selbstmord will sie die Bürger wachrütteln und auf die gesellschaftlichen Missstände im Land hinweisen. Ihr Tod ist nun der Funke, der in einer Revolution enden könnte, denn der Selbstmord geschieht nur kurz vor der größten Massenkundgebung, die Finnland je erlebt hat. Organisiert von einem linken Bündnis. Die junge Frau hat drei Abschiedsbriefe geschrieben – wenn nur einer davon an die Öffentlichkeit dringt, wird Finnland brennen und die konservative Regierung um Koski mit ihr. Und fällt Finnland, wäre das die Blaupause für andere Länder Europas, ja die ganze Welt!
Ein aufwühlender Thriller
"Tage voller Zorn" ist das internationale Debüt des Finnen Tuomas Oskari. Der Plot könnte ausgedacht sein, er könnte aber auch vollkommen der Wirklichkeit entsprechen. Nicht nur in Finnland werden die Reichen immer reicher, auf Kosten des Großteils der restlichen Gesellschaft. Nicht nur in Finnland haben die milliardenschweren Hilfen in der Finanz und der Corona-Krise Löcher in die Staatshaushalte gerissen. Löcher, die gestopft werden müssen und die gestopft werden mit Sozialkürzungen. Die Debatte um das Bürgergeld hierzulande zeigt die Brisanz der Lage. Menschen, die kaum etwas haben, werden gegen Menschen ausgespielt, die gar nichts haben.
Oskari greift diese Spannungen auf, spielt mit den Wirkungen einer gespaltenen Gesellschaft. Politisch gibt es eine konservative Sammlungsbewegung und ein linkes Bündnis. Schwarz oder weiß, rechts oder links, reich oder arm. Oskari polarisiert gewollt, weil es perfekt in die aktuelle Zeit passt. Eine Zeit, in der viele Gesellschaften in und außerhalb Europas zunehmend auseinanderdriften. Es wäre fahrlässig, daraus keinen kritischen Thriller, einen Bestseller zu schreiben.
Und ein Bestseller ist "Tage voller Zorn" allemal. Vielschichtige Charaktere, Protagonisten mit Ecken und Kanten, mit Stärken und Schwächen. Dazu eine Geschichte, deren Wendungen überraschen. Eine Story, die ans Herz geht und ins Gehirn. Eine Erzählung, die wachrüttelt und die zeigt, dass nichts in Stein gemeißelt ist. Der Kapitalismus hat den Sozialismus nicht besiegt, er ist einfach übriggeblieben.
Aber die Zeit für einen "neuen Sozialismus" scheint reif. Wie wäre es mit einer auf KI basierenden Planwirtschaft? In Oskaris Buch klingt diese Möglichkeit plausibel. Überhaupt wartet der Autor, von Beruf eigentlich finnischer Wirtschaftsjournalist, mit jeder Menge ökonomischen Fachwissens auf. Er räumt Vorurteile gegenüber Karl Marx aus der Welt. Er vergleicht die Theorien von Marx und John Maynard-Keynes. Denn die beiden haben eines gemeinsam: Sie haben schon vor sehr langer Zeit vorhergesagt, dass das zunehmende Ungleichgewicht zwischen immer mehr Armen und wenigen Reichen eine Gesellschaft zerstören kann.
Aber gleich eine auf KI basierende Planwirtschaft? Es geht natürlich auch eine Nummer kleiner. Stichwort: Vermögensumverteilung. Wenn aber die Mächtigen alle politischen Fäden in der Hand halten, wer soll sie dann auf den Weg bringen? Leo Koski. Aber dafür muss er sich gegen seinen Ziehvater und dessen mächtige Gilde stellen - und erst einmal am Leben bleiben. In besagtem Dezember ist das in Finnland aber alles andere als ein leichtes Unterfangen.
Quelle: ntv.de