"Lachen, lügen, Lachs fressen" "Die Diplomatin" verliert die Geduld
24.04.2022, 12:19 Uhr
Der Roman spielt zu großen Teilen in der Türkei, wo diplomatische Brücken zu bauen oftmals vergeblich ist.
(Foto: picture alliance / Zoonar)
Was kann Dialog in Krisensituationen bewirken? Mit ihrem Roman "Die Diplomatin" wirft Lucy Fricke einen bitter-komischen Blick hinter die Kulissen der Diplomatie. In der Türkei lässt sie ihre Protagonistin an der Willkür der Behörden verzweifeln - und eine unkonventionelle Entscheidung treffen.
Friederike Andermann, genannt Fred, ist Ende 40, deutsche Botschafterin in Montevideo und ziemlich desillusioniert. Die Tochter einer alleinerziehenden Kellnerin hat sich im diplomatischen Dienst hochgearbeitet, weil sie hoffte, in ihrem Beruf etwas bewirken zu können. In der Hauptstadt Uruguays ist sie nun irgendwas zwischen Eventmanagerin und Repräsentantin. Wenn sie nicht gerade entscheiden muss, welche "Einheitswürstchen" beim Festakt am 3. Oktober auf den Botschaftsgrill kommen, gilt auf den unzähligen Empfängen, zu denen sie eingeladen ist, das Motto: "Ich stehe da rum und bin nur Deutschland".
In ihrem bitter-komischen Roman "Die Diplomatin" bietet Lucy Fricke Einblicke in eine Welt, die den meisten Leserinnen und Lesern in der Regel verschlossen bleibt. Um möglichst nah an der Realität entlangschreiben zu können, habe sie sehr offene Gespräche mit Menschen geführt, die im diplomatischen Dienst arbeiten, wie die Autorin in verschiedenen Interviews berichtet hat. Außerdem verbrachte Fricke, die 2018 mit "Töchter" einem breiteren Publikum bekannt wurde, aus Recherchegründen einige Monate unter anderem in der deutschen Botschaft in Ankara. In der Türkei spielt dann auch der Großteil ihres Buches.
Nachdem sie eine Entführung falsch eingeschätzt hat und der Fall mit dem Tod der verschwundenen Instagram-Influencerin endet, wird Fred von ihrem Posten in Montevideo abgezogen und als Konsulin nach Istanbul versetzt. Dort landet sie in einer politisch aufgeheizten Atmosphäre. Denn die diplomatischen Beziehungen Deutschlands zur Türkei, in der immer wieder Menschen willkürlich verhaftet werden, sind kompliziert bis nahezu inexistent.
Beim Wort Dialog stellen sich die Nackenhaare auf
Das erlebt auch Fred, als sie sich für eine inhaftierte deutsch-kurdische Kuratorin, deren Ausstellungen der türkischen Führung nicht passen, und für deren Sohn einsetzt. Um seine Mutter im Gefängnis zu besuchen, ist der junge Mann aus Deutschland angereist. Weil er dort aber früher einmal an einer prokurdischen Protestaktion teilgenommen hat, wird auch er in der Türkei erst festgenommen und dann unter Hausarrest gestellt. Als auch noch ein Investigativjournalist ins Fadenkreuz der türkischen Behörden gerät, mit dem Fred gerade am Beginn einer Affäre steht, muss sie eine Entscheidung treffen.
Die Grundfrage, die sich durch Frickes Roman zieht, ist seit Beginn des Ukraine-Kriegs aktueller denn je: Wie effektiv sind die Möglichkeiten der Diplomatie gegenüber Autokratien? Mit Fred hat Fricke eine Hauptfigur erdacht, die im Laufe der Zeit den Glauben an die Diplomatie verliert. "Schon bei dem Wort Dialog stellten sich bei mir inzwischen die Nackenhaare auf", heißt es an einer Stelle. "Immerzu sprach man vom Dialog, während in Wahrheit die türkischen Behörden nicht mal mehr ans Telefon gingen."
Fred ist letztlich nicht mehr bereit, die Geduld aufzubringen, die als Basis allen diplomatischen Handelns gilt. So kommt es zu einem packenden Showdown. Denn Fred schlägt, so viel sei verraten, einen ungewöhnlichen Weg ein, um den drei der Willkür des türkischen Staates ausgesetzten Menschen zu helfen - alles drei übrigens Fälle, die zwar fiktiv sind, sich aber an realen Schicksalen orientieren.
"CYA"-Devise und "MAP"
Neben den Grenzen der Diplomatie beleuchtet Fricke auch die Frage, was es heißt, auf einem diplomatischen Spitzenposten zu sitzen. Und zum Beispiel der dort geltenden "CYA"-Devise (cover your ass) zu folgen, also etwas so geschickt einzufädeln, dass am Ende immer irgendwer anders die Verantwortung trägt. Für Frauen wie Fred bedeutet ein Botschafterinnen- oder Konsulinnenjob häufig auch: Einsamkeit. Zu "Familie, Garten, Glück" ist es bei Fred nie gekommen, "wenn man von zwei verlorenen Schwangerschaften und der einen großen, weggeworfenen Liebe absah". Der Mann, den sie fast geheiratet hätte, trennte sich von ihr, weil er kein MAP - "mitreisender Partner" - sein wollte. Oder wie er selbst das Kürzel entschlüsselte: "Man at the pool".
"Die Diplomatin" ist ein kluges, sehr unterhaltsames Buch. Fricke hat ein Händchen für Feinheiten, schreibt pointierte Dialoge und bewegt sich gekonnt zwischen staubtrockenem Humor und einer tiefen Ernsthaftigkeit. Anhand ihrer selbstironischen Ich-Erzählerin zeigt Fricke, dass das Leben von Diplomatinnen und Diplomaten letztlich aus sehr viel mehr besteht als aus dem, "von dem die Leute denken, dass wir das am besten können: lachen, lügen, Lachs fressen", wie es im Roman heißt.
Auch die Hörbuchversion ist ein Vergnügen und Bettina Hoppe als Sprecherin so etwas wie eine Idealbesetzung. Die Berliner-Ensemble-Schauspielerin legt die richtige Dosis Spritzigkeit, Zynismus und Resignation in ihre Stimme.
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Quelle: ntv.de