Band zwei der Ferrante-Romane Wie Lila Cerullo zu Signora Carracci wird
13.01.2017, 12:07 Uhr"Meine geniale Freundin" von Elena Ferrante war eines der Ereignisse des literarischen Herbstes. Jetzt erscheint der zweite Band der Neapel-Saga, in dem Lila und Lenù darum kämpfen, der Armut ihres Viertels zu entkommen - jede auf ihre Weise.
Lila ist erst 16 Jahre alt, als sie den betuchten Wurstwarenhändler Stefano Carracci heiratet. Die Hochzeit ist ein rauschendes Fest. Bis die Solara-Brüder, Söhne des örtlichen Mafia-Bosses, auftauchen. Einer von ihnen trägt an den Füßen die Schuhe, die die Schustertochter Lila entworfen und Stefano als Zeichen der Liebe überlassen hat.
Mit Lilas entsetztem Blick auf die Füße des jungen Mannes endet der im August auf Deutsch erschienene Roman "Meine geniale Freundin", der erste Band der vierbändigen Neapel-Saga von Elena Ferrante. Wer sich hinter dem Pseudonym verbirgt, war zu dem Zeitpunkt seit fast 25 Jahren ein Geheimnis. Bis ein italienischer Journalist auf eine Weise, die an die Aufdeckung eines Strafdelikts erinnert, die Übersetzerin Anita Raja als Urheberin enttarnte. Eine offizielle Bestätigung gibt es nicht.
Hier aber soll es nicht um fragwürdige journalistische Enthüllungen gehen, sondern um den zweiten Band von Elena Ferrante, der nun in der Übersetzung vorliegt. Er leitet den Leser durch die Jugendzeit der ungleichen Freundinnen Lila und Lenù im Neapel der 1960er-Jahre. Schon als kleine Mädchen träumten sie davon, reich zu werden und die Armut des Rione genannten Stadtteils, in dem sie geboren wurden, hinter sich zu lassen. Nun kollidiert der Traum schmerzhaft mit der Realität.
Lila erhofft sich den sozialen Aufstieg durch ihre frühe Heirat und steht, der Titel macht es deutlich, im Mittelpunkt des Romans: "Die Geschichte eines neuen Namens" beschreibt, wie Lila Cerullo zu Signora Carracci wird. Gleich zu Beginn bestätigt sich die Ahnung der Leser: Lilas Flucht aus der Hölle der Armut ist eine Flucht in die Hölle der Ehe. Denn Stefano macht nicht nur Geschäfte mit den Camorristi. Er entpuppt sich als gewalttätig. Schon die Hochzeitsnacht endet mit einer Vergewaltigung.
Lila provoziert, Lenù lernt
Aber die intelligente Lila schlägt auf ihre Weise zurück, bösartig und ohne auf andere oder sich selbst Rücksicht zu nehmen. Während sie provoziert, wo sie nur kann, und verzweifelt versucht, aus der Rolle der Ehefrau auszubrechen, geht die brave, eher angepasste Ich-Erzählerin Lenù einen anderen Weg.
Im Gegensatz zu Lila darf sie weiterhin die Schule besuchen. Gegen alle Widerstände und trotz eigener Zweifel besteht sie ihr Abitur, ergattert ein Stipendium für eine Eliteuniversität in Pisa und veröffentlich ihr erstes Buch. Aber auch der Preis, den sie zahlt, ist hoch: In der Welt der Intellektuellen kann sie nicht richtig Fuß fassen, dafür entfremdet sie sich von ihrer Familie und ihren Freunden.
Nur zu Lila bleibt immer eine Verbindung bestehen, selbst dann, wenn die beiden sich monatelang nicht sehen und sprechen. Ihre Freundschaft mäandert beständig zwischen den Polen Zuneigung und Rivalität hin und her. Vor allem die von Minderwertigkeitsgefühlen geplagte Lenù empfindet sich als billigen Abklatsch der schönen und schlauen Lila und versucht ein ums andere Mal, sich von ihrer Freundin zu lösen.
Aber das Band zwischen ihnen reißt nie, selbst dann nicht, als es nach einem endgültigen Bruch aussieht: Während eines Ferienaufenthalts auf Ischia treffen sie auf den Studenten Nino, in den Lenù leidenschaftlich verliebt ist und dem sie näherkommen möchte. Aber Lila wäre nicht Lila, wenn sie das einfach so hinnehmen würde. Und plötzlich ändert sich alles.
Große Emotionen und viel Dramatik
In "Die Geschichte eines neuen Namens" untermauert Ferrante ihre Meisterschaft darin, die zahlreichen, sehr plastisch gezeichneten Figuren durch eine Handlung zu führen, die immer wieder mit unerwarteten Wendungen überrascht. Wie schon Band eins ist auch der Folgeroman prall gefüllt mit großen Emotionen und viel Dramatik. Es werden jede Menge Intrigen gesponnen, es wird betrogen, aufeinander losgegangen, geliebt und gehasst. Bei der Eröffnung eines Schuhladens kommt es zu Mauscheleien und Eifersüchteleien, ohne die Solara-Brüder geht nichts.
Und zwischen all der Gewalt, dem Elend und der Geschäftemacherei beschreibt Ferrante teils drastisch, welche Schwierigkeiten der soziale Aufstieg mit sich bringt, wie die Camorra ihr Netz aus Abhängigkeiten immer enger knüpft und wie ein archaisches Verhältnis der Geschlechter die Lebensrealität der Frauen prägt: Sie werden mit Schlägen gefügig gemacht, ein selbstbestimmtes Leben ist für sie nicht vorgesehen.
Lila und Lenù wollen das, jede auf ihre Weise, nicht hinnehmen. Wie schon der erste Band ist auch der zweite ungemein fesselnd und macht Lust auf die Fortsetzung der Geschichte dieser so komplexen und widersprüchlichen Freundschaft. Der dritte Roman erscheint Ende August.
"Die Geschichte eines neuen Namens" bei Amazon bestellen oder bei iTunes runterladen
Quelle: ntv.de