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Dekonstruktion eines Monsters "Das Verschwinden des Josef Mengele" ist eine Tortur

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Ebenso brachial wie genial: August Diehl in "Das Verschwinden des Josef Mengele".

Ebenso brachial wie genial: August Diehl in "Das Verschwinden des Josef Mengele".

(Foto: Lupa Film / CG Cinema / Hype Studios)

Er war der "Todesengel von Auschwitz". Doch für seine Verbrechen wird Josef Mengele nie zur Verantwortung gezogen. 30 Jahre versteckt er sich in Südamerika. "Das Verschwinden des Josef Mengele" arbeitet diese Zeit auf - erst im Roman, jetzt im Film. Wahrlich keine leichte Kost.

Beim Namen Josef Mengele zuckt man unweigerlich zusammen. Wie kaum ein anderer ist der Arzt aus Günzburg ein Sinnbild für das Böse im Nationalsozialismus. Vermutlich auch, weil er nicht "nur" am Schreibtisch ein Massenmörder war. Er entschied in KZ-Selektionen darüber, wer zur Hölle auf Erden und wer direkt zum Sterben verurteilt wurde. Er überwachte die Vergasung der Menschen. Und er führte die grausamsten medizinischen Experimente an Lager-Insassen durch.

Nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt er in Deutschland alsbald den Beinamen "Todesengel von Auschwitz". Das jedoch erlebte Mengele aus sicherer Entfernung. 1949 glückte ihm auf einer der sogenannten "Rattenlinien" die Flucht nach Argentinien. Danach gelang es ihm 30 Jahre lang, in Südamerika unterzutauchen und sich somit der Verantwortung für seine Verbrechen zu entziehen - anders etwa als der Holocaust-Organisator Adolf Eichmann, der 1960 vom israelischen Mossad in Buenos Aires geschnappt, nach Israel gebracht, in einem rechtsstaatlichen Prozess verurteilt und hingerichtet wurde.

Mengele starb stattdessen 1979 mit 68 Jahren in Brasilien beim Baden. Sicher nach jahrzehntelanger Angst vor der Ergreifung, letztlich aber doch unbehelligt. Er erlitt einen Schlaganfall und wurde als Wolfgang Gerhard beerdigt. 1985 jedoch wurde sein Grab entdeckt. Eine DNA-Analyse ergab sieben Jahre später eindeutig, dass es sich bei den gefundenen Gebeinen um die von Mengele handelte.

Französischer Autor, russischer Regisseur

2017 nimmt sich Olivier Guez Mengeles Zeit im Exil literarisch an. Ein Franzose, kein Deutscher. Guez verfasst "Das Verschwinden des Josef Mengele" - in Form eines Romans. Die Kritik ist gespalten, ob dies die richtige Herangehensweise ist, um sich der Geschichte vom eigenen Überleben des Todesengels zu nähern. Der russische Regisseur Kirill Serebrennikov, der als Gegner von Wladimir Putin selbst seit Jahren im Berliner Exil lebt, indes erklärt: "Sofort hat mich etwas an der Idee gereizt, ihn zu adaptieren." Und so kommt "Das Verschwinden des Josef Mengele" nun auch als Film auf die Leinwand.

Und das ist alles andere als leichte Kost - nicht nur wegen der Gräueltaten des Protagonisten. Konkret spielen diese sogar nur eine untergeordnete Rolle in dem Streifen. Lediglich in kurzen Rückblenden sieht man den KZ-Arzt in Auschwitz und bei der dortigen Verrichtung seines bestialischen Tuns. Das dann aber - im Gegensatz zum eigentlich komplett in Schwarzweiß gedrehten Film - in Farbe. Für Serebrennikov ein symbolischer Sprung in den Kopf des Nazi-Schergen: "Für Mengele entspricht die Zeit in Auschwitz seinen besten Jahren: Er ist jung, hat eine Frau, ein Kind, eine Karriere … Das zeigt die völlige Verdrehung, in der die Figur lebt. Für ihn ist diese Zeit glücklich, während sie in Wahrheit das absolute Grauen darstellt."

Der echte Josef Mengele (M.) erhielt den Beinamen "Todesengel von Auschwitz".

Der echte Josef Mengele (M.) erhielt den Beinamen "Todesengel von Auschwitz".

(Foto: picture alliance/United Archives)

Der Schwerpunkt des Films liegt stattdessen voll und ganz auf Mengeles langer Lebenszeit auf der Flucht - von Argentinien über Paraguay bis Brasilien. Das Netzwerk an Unterstützern, die ihm dabei halfen, so lange unentdeckt zu bleiben, wird dabei nur gestreift. Intensiver wird ein Treffen Mengeles mit seinem Sohn Rolf beleuchtet, der ihn nachgewiesenermaßen 1977 in der Nähe von Sao Paulo besuchte, doch kaum Antworten auf seine vielen Fragen bekam. Vor allem jedoch dreht sich der Film unentwegt um seine Hauptfigur selbst.

Vom Monster zum Häufchen Elend

Beinahe kammerspielartig entwirft der Streifen dabei das Psychogramm eines Mannes, der zusehends vergreist, vereinsamt und verbittert. Der zugleich aber bis zuletzt keine Reue zeigt und an seiner menschenverachtenden Ideologie festhält. August Diehl wirft all sein Können in die Waagschale, um die Doppeldeutigkeit des Roman- wie Filmtitels auf die Leinwand zu bannen. Beim "Verschwinden des Josef Mengele" dreht es sich nicht nur darum, wie er in Lateinamerika abgetaucht ist. Es geht auch darum, wie die Person zusehends verloren geht - bis vom übergroßen Nazi-Monster nur noch ein lächerliches Häufchen Elend übrig ist.

Diehl steigert sich bei seiner Performance in eine Tour de Force, die für den Zuschauer zu einer regelrechten Tortur gerät. Zweifelsohne genial, aber nicht minder brachial. Vielleicht genau die richtige Art und Weise, sich einem historischen Folterknecht künstlerisch zu nähern. Für das Kinopublikum allerdings eine Herausforderung, die es 135 Minuten lang zu bestehen gilt.

"Das Verschwinden des Josef Mengele" läuft ab sofort in den deutschen Kinos.

Quelle: ntv.de

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