Harter Kampf und verborgene Schönheit Das grüne Wunder – Unser Wald
14.09.2012, 07:03 Uhr
Nicht aufgeräumt, aber ökologisch wertvoll: Totholz gehört zu einem lebendigen Wald.
(Foto: © nautilusfilm/polyband)
Der Wald: Er ist voller Mythen und Märchen - tatsächlich spielen sich in ihm täglich Kämpfe ums Überleben ab, dramatische Vorgänge, aber auch Bilder voller Schönheit. In "Das grüne Wunder - Unser Wald" erzählt Benno Fürmann davon.
Den Deutschen und ihrer romantischen Seele wird ein besonderes Verhältnis zum Wald nachgesagt – er spielt eine tragende Rolle in den deutschen Märchen und ist ein Symbol für deutsche Schwermut und deutsches Romantikverständnis. Aber was ist eigentlich Wald? Vor allem: Was ist Wald heute? Mit dieser Frage endet der Film "Das grüne Wunder – Unser Wald" von Jan Haft. Ist er pure Natur, Jagdgebiet, schnöder Forst oder letztendlich doch nur ein Fantasiegebilde der Menschen? Was macht den Wald aus, wie funktioniert er, was läuft in ihm ab – vor unseren Augen verborgen?
Dem Tierfilmer Jan Haft, ein studierter Biologe und Geologe, dessen Vorbild der große Heinz Sielmann ist, bleibt so gut wie nichts verborgen: Mit seinem Team hat er an 600 Drehtagen an 70 Drehorten in Deutschland, Österreich, Dänemark 250 Stunden Filmmaterial eingefangen. Daraus ist ein Film von 93 Minuten Länge entstanden - die neu geschnittene Fassung der zweiteiligen TV-Doku "Mythos Wald" von 2009 -, der dem Zuschauer tiefe, überraschende, dramatische und belustigende Einblicke in die Welt der Bäume und ihrer Bewohner gibt.
Alltag voller Wunder

Verliererin: Die Waldmaus lässt sich von der kleinen, aber besser bewaffneten Hummel vertreiben.
(Foto: © nautilusfilm/polyband)
Langsame, ruhige Bilder, in Zeitlupe oder Zeitraffer, machen die Schönheit der Vorgänge in der Natur und deren Wunder sichtbar. Das alles geschieht im Rhythmus der Jahreszeiten und beginnt im Winter: Fichtenzapfen öffnen sich knarrend, unzählige Samen fallen schwebend, trudelnd heraus; landen auf dem Schnee, der Schnee schmilzt, die Samen können keimen, Märzenbecher erblühen … der Kreislauf des Lebens beginnt, alltäglich und doch voller Wunder.
Man sieht einer Eule beim nächtlichen Jagen zu – wie sie mit langen, schweren Flügelschlägen durch die Dunkelheit gleitet. Man lernt, dass jeder Frischling bei der Mutter seine eigene Zitze hat. Man darf zusehen beim erstaunlichen Duell Waldmaus gegen Erdhummel mit dem noch erstaunlicheren Ausgang: Überraschenderweise siegt das kleine Insekt, die Hummel-Königin vertreibt die Maus aus ihrem mühsam gegrabenen Bau und hat so eine neue Behausung für einen neuen Hummelstaat erobert. Es wird deutlich: Wald ist Kampf - um Licht, um Platz, um Nahrung.
Dazu ertönt sphärisch-klassische Musik und Feengesang, aber auch die Geräusche des Waldes, der Tiere: Wildschweingrunzen, Vogelzwitschern, Rascheln im Unterholz, die klappernden Geweihe kämpfender Hirsche. Dann schweigt der sanfte Sprecher (Benno Fürmann) auch mal über längere Zeit, der Zuschauer ist ganz der Natur und ihren Tönen überlassen.
Natur im Takt der Musik

Der Hirschkäfer ist das "Insekt des Jahres 2012". Die bis zu neun Zentimeter langen Käfer, deren Männchen das typische Geweih tragen, sind in Deutschland vom Aussterben bedroht.
(Foto: © nautilusfilm/polyband)
So ganz wollten die Filmemacher aber doch nicht auf musikalische Effekte verzichten - wenn Frischlinge durch den Wald hoppeln, gibt es lustige Trillermusik dazu; zu romantischen Das-Licht-bricht-durch-die Bäume-Bildern ertönen zarte Flötenklänge; bei einer sich öffnenden Blüte wird auf dem Höhepunkt mächtig auf die Pauke gehauen; Pflanzen, die sich zum Licht recken, erscheinen wie Tanzende, die sich im Takt einer sich steigernden Musik wiegen. Wenn die Hummel ihren Stachel ausfährt, erklingt das metallene Geräusch eines aus der Scheide gezogenen Schwertes. Aber die Filmemacher verzichteten dankenswerterweise darauf, den Tieren wie etwa in "Die Reise der Pinguine" menschliche Stimmen zu verpassen.
Winter, Frühling, Sommer, Herbst - in dieser zeitlichen Reihenfolge ist der Lauf der Jahreszeiten aus nächster Nähe zu verfolgen. "Das grüne Wunder – Unser Wald" schlägt den ganz großen Bogen - alles hängt im Wald zusammen mit anderem, eins bedingt das andere, Zusammenhänge werden erkennbar: So etwa sind die im Herbst welkenden Blätter, für die Bäume die lebensnotwendige Vorbereitung auf den kalten Winter, katastrophal für Blattläuse - ihre Zeit läuft ab und sie müssen zusehen, noch rechtzeitig Eier zu legen. Samen, der zu Boden fällt, dient Tieren als Nahrung, auch als Wintervorrat, und hilft ihnen, den Winter zu überleben. Er ist aber zugleich auch die "Hoffnung" für den Baum auf Nachkommen. Wenn nur einer von seinen unzähligen Samen keimt und zum neuen Baum wird, ist das Ziel erreicht.
Direkt vor unserer Haustür
All diese faszinierenden Vorgänge geschehen ständig und vor unserer Haustür – man muss nicht in exotische Gefilde reisen, um Naturwunder zu sehen. "Das grüne Wunder – Unser Wald" zeigt diese Wunder in faszinierenden Nahaufnahmen - Jan Haft und seinem Team sind spektakuläre Bilder gelungen, und dennoch hat man das Gefühl, das alles schon mal so oder so ähnlich in anderen spektakulären Naturdokumentationen gesehen zu haben. Die Machart des Films ist etwas betulich, äußerst lehrreich und sehr kinder- und familienfreundlich: das Richtige für einen Herbst- oder Winter-Nachmittag.
Zudem läuft der Film passenderweise im Herbst an - die Zeit der Waldwanderungen, des Pilzesammelns und Laubraschelns. Der eine oder andere Zuschauer wird durch "Das grüne Wunder – Unser Wald" sicher auf die Idee kommen, mal wieder in den Wald zu gehen und sich etwas mehr Zeit zu nehmen für den genaueren Blick auf das Gute, was doch so nah liegt. Nicht der schlechteste Effekt, den ein Film haben kann.
"Das grüne Wunder – Unser Wald" ist seit 13. September 2012 in den deutschen Kinos zu sehen.
Quelle: ntv.de