Kino

Solidarität mit Ukraine und Iran Eine Berlinale in Zeiten der Krise

394611884.jpg

Die 73. Berlinale wirft ihre Schatten voraus.

(Foto: picture alliance/dpa)

Artikel anhören
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Informationen zu unserer Vorlesefunktion finden Sie hier.
Wir freuen uns über Ihr Feedback zu diesem Angebot. 

Drei Jahre nach Beginn der Corona-Pandemie findet die Berlinale wieder ohne Einschränkungen statt. Ein gänzlich unbeschwertes Filmfest wird es angesichts der internationalen Krisenherde aber wohl nicht.

Die Kriegs- und Konfliktschauplätze dieser Welt überschatten und prägen das Programm der 73. Berlinale. Der Beginn des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine jährt sich einen Tag vor der Verleihung der Goldenen und Silbernen Bären am 25. Februar zum ersten Mal. Und im Iran, wo die Proteste gegen das Mullah-Regime seit Monaten toben, sind Filmemacher weiter bedroht.

Die Berlinale, die sich seit jeher als politisches Festival versteht, muss sich positionieren - und tut es auch. Die Solidarität mit der Ukraine und den Demonstranten im Iran wurde bereits mehrfach beschworen. 17 von insgesamt 283 Filmen haben direkte Bezüge zu beiden Ländern und sind teils brandaktuell. Eine rein russische Produktion wurde nicht eingeladen.

Sean Penn stellt Ukraine-Doku vor

Der mit wohl größter Spannung erwartete Beitrag kommt von US-Schauspieler und Regisseur Sean Penn: Er präsentiert im Berlinale Special seinen unter Kriegsbedingungen gedrehten Dokumentarfilm "Superpower" über den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj.

In fast allen Sektionen gibt es Schwergewichtiges von Filmschaffenden, die Krieg, Verfolgung und Unterdrückung trotzen. Die Dokumentation "Eastern Front" von Vitaly Mansky und Yevhen Titarenko erzählt von einer ukrainischen Erste-Hilfe-Truppe an der Front (Encounters). Piotr Pawlus und Tomasz Wolski zeigen in "W Ukrainie" anhand zerbombter Straßen und Abendessen im U-Bahn-Bunker die Realität, in der die Ukraine seit Anfang 2022 lebt (Forum). In "We Will Not Fade Away" von Alisa Kovalenko träumen fünf ukrainische Teenager an der Front im Donbas davon, die Welt zu sehen (Generation 14plus).

Das Panorama wird mit dem iranischen Animationsfilm "Die Sirene" der im Pariser Exil arbeitenden Regisseurin Sepideh Farsi eröffnet. "Sieben Winter in Teheran" von Steffi Niederzoll rekonstruiert, wie eine iranische Studentin, die einen Mann erstach, der sie vergewaltigen wollte, zum Tode verurteilt wurde (Perspektive Deutsches Kino). Und der ebenfalls in Frankreich lebende Mehran Tamadon dokumentiert in "My Worst Enemy", wie ihn eine Exilschauspielerin im Stil einer iranischen Agentin verhört (Encounters).

Deutscher Autorenfilm statt Hollywood-Glamour

Unterdessen glänzt der 19 Beiträge starke Wettbewerb durch Vielfalt: Es gibt Dramen, Melodramen, Komödien, Historien-, Dokumentar- und Animationsfilme. Viele Filme sind Familiengeschichten - etwa "20.000 Species of Bees" von Estibaliz Urresola Solaguren, Philippe Garrels "Le grand chariot" und Lila Aylés "Totem". Die Produktionsländer reichen von Australien über Frankreich und Spanien bis zur Volksrepublik China. Hollywood bleibt außen vor - davon abgesehen, dass die US-Schauspieler Jesse Eisenberg und Adrien Brody in John Trengoves Thriller "Manodrome" zu sehen sind.

Stattdessen dominiert der deutsche Autorenfilm mit fünf Produktionen, so vielen wie nie zuvor: Margarethe von Trotta thematisiert in "Ingeborg Bachmann - Reise in die Wüste" die Beziehung der Schriftstellerin zu Max Frisch. Christian Petzolds "Roter Himmel" zeigt, was mit vier Menschen passiert, die während eines Waldbrandes in einem Ferienhaus eingeschlossen sind. Christoph Hochhäuslers "Bis ans Ende der Nacht" ist ein Thriller um einen verdeckten Ermittler, einen Großdealer und eine Transfrau. In Emily Atefs "Irgendwann werden wir uns alles erzählen" verliebt sich ein junges Mädchen kurz nach dem Mauerfall in Thüringen in einen doppelt so alten Eigenbrötler. Als lose auf dem Ödipus-Mythos basierendes Roadmovie wurde Angela Schanelecs "Music" angekündigt.

Der Clou des Wettbewerbs ist derweil: Die Präsidentin der Internationalen Jury ist die US-Schauspielerin Kristen Stewart - mit 32 Jahren die jüngste Vorsitzende, die das Gremium je hatte. Hollywood-Glanz auf den Roten Teppich bringt auch der mehrfache Oscar-Preisträger Steven Spielberg, der den Goldenen Ehrenbären für sein Lebenswerk bekommt.

Große Namen im Berlinale Special

Was den Star-Faktor angeht, übertrumpft das Berlinale Special indes den Wettbewerb. Cate Blanchett spielt die Titelrolle in "Tár": Sie ist die fiktive Dirigentin Lydia Tár, die als erste Frau ein großes deutsches Orchester leitet. Helen Mirren ist in "Golda" als Golda Meir, erste Frau im israelischen Ministerpräsidialamt, zu sehen. Robert Schwentke besetzte die Hauptrolle in seinem Film über den Philosophen "Seneca" mit John Malkovich. Große Namen gibt es auch im Panorama: Willem Dafoe verkörpert in "Inside" einen Kunstdieb, der nach dem Einbruch in das Penthouse eines Sammlers plötzlich dort eingesperrt ist.

288398336.jpg

Kristen Stewart ist in diesem Jahr die Jurypräsidentin.

(Foto: picture alliance / abaca)

Auch außerhalb des Bären-Rennens präsentiert sich der deutsche Film stark. Lars Kraumes "Der vermessene Mensch" erzählt von den deutschen Kolonialverbrechen in Namibia (Berlinale Special). Frauke Finsterwalder drehte mit "Sisi & Ich" eine wilde Neuinterpretation des Mythos der österreichisch-ungarischen Kaiserin (Panorama). Immer wichtiger wird die Berlinale Series, in der erstmals ein Award verliehen wird. In der Sektion läuft unter anderem die ZDF-Verfilmung des Bestsellers "Der Schwarm" von Frank Schätzing, in der European Shooting Star Leonie Benesch zu sehen ist.

Bevor es auf der Leinwand vielfach ernst wird, startet die 73. Berlinale derweil leichtfüßig: Eröffnet wird das Festival mit der in New York spielenden Liebeskomödie "She Came to Me" von US-Regisseurin Rebecca Miller mit Peter Dinklage und Anne Hathaway. Beide Darsteller reisen zur Premiere nach Berlin an.

Bono und Boris Becker kommen

Auf dem Roten Teppich werden vom 16. bis 26. Februar außerdem unter anderen erwartet: Malkovich, Penn, Blanchett, Mirren, Dafoe, Sandra Hüller, Paula Beer und Franz Rogowski. Zugesagt haben auch U2-Sänger Bono und Boris Becker: In der Doku "Kiss the Future" über den Kampf der Bewohner Sarajevos während des Bosnienkrieges spielt ein Konzert der irischen Band eine Rolle. Und Regisseur Alex Gibney brachte Leben und Karriere des dreifachen Wimbledon-Siegers auf die Leinwand.

Unterdessen findet die Berlinale erstmals wieder ohne Corona-Maßnahmen statt: keine Masken, keine Tests, kein Abstand. Was bleibt, ist die Herausforderung: "Das Kino muss nach der Pandemie wieder neu starten", sagte Geschäftsführerin Mariette Rissenbeek: Ein Teil des Publikums sei bereits wieder da - der andere müsse noch zurückgewonnen werden.

Quelle: ntv.de

ntv.de Dienste
Software
Social Networks
Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen