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Nach einem Schlaganfall Krassnitzer und Kramer: "Bin ich der Held, der seine Frau wäscht?"

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Karmer und Krassnitzer spielen in "Aus dem Leben"  ein Paar, das sich nach dem Schlaganfall der Frau völlig neu aufstellen muss.

Karmer und Krassnitzer spielen in "Aus dem Leben" ein Paar, das sich nach dem Schlaganfall der Frau völlig neu aufstellen muss.

(Foto: imago/Horst Galuschka)

Sabine Schuster (Ann-Kathrin Kramer) ist Grundschullehrerin und erleidet während des Unterrichts einen Schlaganfall. Sie und ihr Ehemann Stefan (Harald Krassnitzer), ein Forstwirt, werden wortwörtlich "Aus dem Leben" – so heißt der Film – gerissen. Während Sabine nicht nur das Sprechen und Laufen neu erlernen muss, passt Stefan ihr Zuhause an die neuen Bedürfnisse an. Ihren Weg zurück ins Leben müssen sich die beiden hart erkämpfen. Darüber, was ein solcher Schicksalsschlag mit einem Paar macht und was sie gelernt haben, sprechen Kramer und Krassnitzer, die auch im wahren Leben ein Paar sind, mit ntv.de. Beide sind für ihre Rollen als Duo nominiert für den Deutschen Schauspielpreis.

ntv.de: Es ist ein sehr emotionales Fernseh-Erlebnis, "Aus dem Leben" zu schauen.

Ann-Kathrin Kramer: Ja, aber als Erstes muss ich sagen, dass diese Rolle ein Geschenk ist. Es ist selten genug, dass man sich mit solchen Themen in einem Film befassen darf. Es ist ja ein normaler und menschlicher Reflex, dass wir mit Dingen nichts zu tun haben wollen, die uns Angst machen. Wir Menschen sind eher darauf gepolt, unversehrt durchs Leben zu gehen, ohne Probleme, und wenn mal eines auftaucht, dann verdrängen wir es gerne. Aber was passiert, wenn man mal genauer hinschaut?

Wenn man etwa die Zahlen 80:20 ins Spiel bringt …

Kramer: Ja, genau. 80 Prozent aller Männer verlassen ihre Frauen im Fall einer so schweren Krankheit. Dagegen verlassen nur um die 20 Prozent der Frauen ihre Männer. Aber Männer sind ja nicht schlechtere Menschen! Was sagt das also über die Gesellschaft aus? Über die Verteilung von Care-Arbeit? Über Liebe?

War es in diesem Fall für Sie einfacher, das Paar Sabine und Stefan zu spielen?

Harald Krassnitzer: Wir haben ganz klare Trennungen, das ist für unseren Beruf eine essenzielle Voraussetzung. Wir nähern uns einer Geschichte eher wie Chirurgen an: Wir analysieren, wir sezieren, wir bauen wieder zusammen. Und sehen dann, wo sind die Punkte, die uns eigentlich wirklich interessieren? Natürlich berühren uns einzelne Momente, spielen in unser Leben hinein. Aber es ist eher umgekehrt - nicht wir bringen etwas in die Geschichte ein, sondern die Geschichte in unser Leben.

Woran denken Sie konkret?

Krassnitzer: Die Frage nach der Hilfe von außen ist etwas, womit Ann-Kathrin und ich uns noch nie auseinandergesetzt haben. Und auch, was du tust, wenn dein Partner dich bittet, dich zu erlösen. Da stellst du ganz schnell fest, dass du für solche Art von Fragen nicht gemacht bist. Und trotzdem musst du dich fragen: "Wie kann ich konkret helfen?" Das, was da stattfindet, die Ohnmacht und alles, was an Gefühlen auf dich zukommt, das solltest du zulassen. Simple Antworten gibt es nicht. Das ist ein unglaublich komplexer Prozess, der viel mit Lernen zu tun hat. So ist der ganze Film, denn er erzählt uns nicht nur, wie man mit einer Krankheit umgeht, sondern mit einer Situation, von der man glaubt, dass man sie fast nicht bewältigen kann. Und dann stellt man fest, man kann sie doch bewältigen.

Was tun bei einem Schlaganfall?
  • Sofort den Notruf 112 wählen, da jede Minute zählt
  • Betroffene beruhigen, mit erhöhtem Oberkörper lagern (wenn bei Bewusstsein) und, falls nötig, in die stabile Seitenlage bringen
  • Kleidung lockern
  • Nichts zu essen, zu trinken oder Medikamente geben
  • Beim Betroffenen bleiben, bis der Rettungsdienst eintrifft, um Atmung und Bewusstsein zu überwachen und gegebenenfalls Wiederbelebungsmaßnahmen einleiten

Kramer: Man kann viel mehr, als man denkt! Genau genommen ist es ein Liebesfilm (lacht).

Krassnitzer: (lacht) Ja, und wenn man genauer hinschaut, dann stehen wir ganz einfach vor der Frage: Wann kommen wir ins Handeln, wann fangen wir an, etwas zu tun? Dieser Film fordert von den beiden Hauptpersonen, dass sie etwas tun müssen! Und der Film fordert, mit dem Jammern aufzuhören. Man darf Scham verspüren in solch einer Situation, ja, man darf sich auch selbst bemitleiden, aber irgendwann musst du handeln. Das ist das Schöne an dem Film: Er zeigt uns, indem du das Schicksal annimmst, wird es doppelt und dreifach schön. Dort beginnt Liebe. Dort beginnt alles, was Leben ist.

Der Film ist frei von Kitsch, aber voller Gefühl. Herr Krassnitzer, Ihr Stefan beweist Kampfgeist, er gehört nicht zu den 80 Prozent Männern, die ihre Frau verlassen …

Krassnitzer: Die Frage ist doch vor allem: Warum haben viele Männer vor einer solchen Situation so große Angst? Warum beherrschen Männer nicht die einfachsten, die menschlichsten Dinge – wie jemanden zu pflegen? Warum ist das so schwierig, welches Bild steckt dahinter? Flüchten ist das Einfachste – spannend wird es doch erst, wenn man sich dem Leben mit allem stellt.

Kramer: "Es geht nicht mehr um Perfektion. Es geht darum, dass man einen Makel haben darf, schwach oder auch gebrechlich sein kann und trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen, liebenswert ist."

Kramer: "Es geht nicht mehr um Perfektion. Es geht darum, dass man einen Makel haben darf, schwach oder auch gebrechlich sein kann und trotzdem, oder vielleicht gerade deswegen, liebenswert ist."

(Foto: IMAGO/APress)

Kramer: Das hat viel mit unseren gesellschaftlichen Strukturen zu tun – auch wie Care-Arbeit bewertet wird. Ganz selbstverständlich kümmern sich Frauen um ihre Eltern, Schwiegereltern, andere Gebrechliche, ohne ein großes Aufheben darum zu machen. Ohne ein Dankeschön zu bekommen. An dieser Realität schaut man gern vorbei, das ist nicht sexy.

Gepflegt zu werden, gerade von einem Ehepartner, muss man zulassen können …

Krassnitzer: Das hat auch etwas damit zu tun, was für ein Bild wir von uns haben, wer wir sein wollen. Bin ich der Held, der seine Frau wäscht? Der wirklich alle Lebenslagen mit ihr durchsteht? Und wenn dann Dinge passieren, derer man gar nicht Herr ist, die einen aus der Bahn werfen, wenn das Bild, das wir von uns haben, auf die Wirklichkeit trifft, da versteht man plötzlich: Es gibt Dinge, die sind größer als man selbst. Da muss man – und das können auch schöne Prozesse sein – ehrlich werden mit sich selbst. Und dann kommt vielleicht der Tag, an dem man sagt, ich kann das nicht. Auch wenn ich es gerne will, ich brauche Hilfe. Solche Momente der Schwäche können zwischenmenschliche Beziehungen stärken.

Im Film kommt "Irina" durch die Tür, also Hilfe. Was machen wir denn, wenn wir keine Irina zur Hand haben?

Krassnitzer: Wenn man Glück hat, hat man Freunde. Was uns an diesem Dreieck, das wir mit unserer Pflegehilfe im Film eingehen konnten, am meisten bewegt hat, war, jemanden zu haben, der dir in deiner Panik von außen zeigt, dass da hinten ein Horizont ist. Das können Freunde sein, aber auch Fremde. Das Spannende ist, dass du in solchen Situationen schnell feststellst, wer wirklich Freund ist und wer nicht. Wer damit gar nicht umgehen kann. Was legitim ist, doch dann stimmt der Status "Freund" nicht mehr. Es gibt viele Statusveränderungen innerhalb so eines Prozesses.

Wann?

Krassnitzer: Wenn du jemanden an der Seite hast, der dir diese zwei, drei Horizontlinien zeigt. Dann stellst du fest: Es ist gar nicht so schwer, das zu werden, was man vorgibt zu sein. Dort beginnt das Leben. Das ist das viel Interessantere, alles andere nennen Ann-Kathrin und ich in unserem Privatjargon Folklore. Das Leben beginnt jenseits der Folklore, dort, wo es echt wird, dort, wo man stehenbleibt und sagt: Da liegt einer. Dort, wo man sagt, da ist einer schwächer. Dort, wo man sagt, da muss man jetzt anpacken und nicht in dieser permanenten Heißluftakrobatik, in einer Behauptung, die nie erfüllt wird.

Der Film zeigt, dass man sich Menschen oder Tatsachen stellen sollte, die unbequem sind. Vor denen man Angst hat oder die man gerne verdrängt.

Krassnitzer: Das ist gut. Wenn man das dann überwunden hat, dann sind das Quantensprünge; für einen selbst, aber auch in Freundschaften. In dem Augenblick, in dem wir in Beziehung treten, kann man diese Situation nicht mehr löschen. Das ist etwas, was verbindet. Und genau dort liegt eine unglaublich spannende Energie.

"Halbglücklich" - so beschreibt Sabine ihr Leben. Sie will eigentlich auf den Kilimandscharo, aber ihr Mann nur auf den Hausberg. Dann relativieren sich die Dinge, und der Hausberg ist plötzlich doch ganz sexy.

Kramer: Mit "halbglücklich" meint meine Figur diese Gewohnheiten und das Heile-Welt-Getue, in dem man es sich eingerichtet hat. Irgendwie "okay", aber die Amplituden fallen weg, auch die in der Auseinandersetzung. Die Reibung wird immer geringer, und dann bleibt am Ende nur noch Mittelmaß übrig, in dem viele Menschen sich einrichten. Manchmal passiert dann etwas von außen oder eben wie hier, durch einen Schlaganfall, was das ganze Leben aufwirbelt.

Wie schön, wenn es das nicht braucht, sondern man selbstermächtigt etwas tut, man immer wieder im Moment ist und aufeinander achtet. Dass man etwa die Veränderung am anderen nicht sofort als Bedrohung empfindet, weil man sich nicht immer gleich entwickelt oder in die gleichen Richtungen geht als Paar. Jeder hat ein unterschiedliches Tempo. Das könnte doch inspirierend sein, und nicht angstmachend. Ich glaube, das meint sie, als sie sagt, sie sei so halbglücklich.

Krassnitzer: Es geht auch um das Aufbrechen von starren Situationen. Denn was sollte am Kilimandscharo anders sein als auf dem Hausberg, wenn man sich nicht verändert hat? Dann erst wird es interessant, wenn man selbst sich tatsächlich verändert hat.

Haben Sie vorher eigentlich mit Betroffenen gesprochen, die Schlaganfälle hatten?

Kramer: Ja, ich habe Kontakt gesucht und zum Glück Menschen gefunden, die bereit waren, sehr offen mit mir zu sprechen. Viele Bereiche davon sind sehr intim und teilweise schambehaftet. Das war für mich ein Riesengeschenk, mit Menschen zu tun zu haben, die ich alles fragen durfte. Ich habe auch Kontakt gehabt zur Schlaganfallhilfe und es gab am Set eine medizinische Begleitung, die immerzu nur geschaut hat, ob sich etwas Falsches bewegt bei Sabine mit ihrer halbseitigen Lähmung.

Ein Satz aus der Zeit hat sich uns besonders eingeprägt: "Ich bin jetzt wie ein Acker." Das heißt, du musst letztlich noch einmal von vorne anfangen. Man darf den Acker neu bestellen, dabei aber ein bisschen zerfurcht aussehen.

Krassnitzer: Das ist tröstlich. Und manchmal hat es auch eine Spur von Humor.

Mit Ann-Kathrin Kramer und Harald Krassnitzer sprach Sabine Oelmann

Quelle: ntv.de

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