Film und Serien

Totgesagte leben länger Schneewittchen für Fortgeschrittene

Der Ruf der bösen Schwiegermutter (großartig: Maribel Verdu) könnte nicht schlechter sein.

Der Ruf der bösen Schwiegermutter (großartig: Maribel Verdu) könnte nicht schlechter sein.

Ziemlich viele Bauchgeschichten! Erst wird der Torero aufgeschlitzt, dann geht die Mutter bei der Geburt der Tochter drauf, grundsätzlich keine guten Bauchgefühle. Das restliche Drumherum ist jedoch ganz fantastisch. "Blancanieves" ist ein modernes Märchen für die fortgeschrittene Familie kurz vor Weihnachten.

Vater und Tochter, endlich vereint. (Daniel Gimenez-Cacho und Sofia Oria)

Vater und Tochter, endlich vereint. (Daniel Gimenez-Cacho und Sofia Oria)

Der Torero wird fast zerrissen, aber er überlebt. Seine hochschwangere Frau sitzt in der Stierkampfarena, vor Schreck bekommt sie Wehen und kurz darauf das Kind. Sie stirbt bei der Geburt, das Mädchen wächst bei der Großmutter auf. Ohne den Vater, der hat inzwischen seine Krankenschwester geheiratet - eine fatale Entscheidung, wie sich später herausstellen wird. Die Tochter wartet auf den Vater, wünscht sich nichts sehnlicher, als dass er auftaucht.

Was Worte versuchen zu beschreiben, und Märchen beginnen meist mit "Es war einmal ..."  - es kann nicht klappen, denn dieser Film kommt komplett ohne Worte aus. Das funktioniert, denn so schön sind die Menschen, die in "Blancanieves" mitspielen, dass es reicht, wenn sie gucken, tanzen, lachen und weinen. Ach du meine Güte, könnte man nun denken, ein Film in Schwarz-Weiß, und dann auch noch stumm. Das soll klappen? Kurz und bündig: Ja.

Das Schicksal des kleinen Mädchens, das seine Mutter verliert, ja sogar nie kennenlernen konnte und vom Vater verlassen wird, zieht uns in den Bann. Dann die Großmutter, dargestellt von einer wunderschönen Angelina Molina, auch sie verliert das kleine Mädchen, ausgerechnet am Tage ihrer Kommunion – und wir wollen unbedingt wissen, wie es weitergeht. Obwohl so ziemlich jeder das Märchen vom "Schneewittchen" kennt - den schwachen Vater, der einst so stark war, in diesem Falle kein König sondern ein gebrochener Torero unter der Fuchtel seiner ehemaligen Krankenschwester, das kleine Mädchen, das zur Sklavin gemacht wird und deren einziger Freund ein Hahn ist - das alles hat nichts an Aktualität verloren.

So ist das Leben

Die wunderschöne Großmutter zieht Carmencita allein auf.

Die wunderschöne Großmutter zieht Carmencita allein auf.

Leider ist es oft noch so wie in den Märchen der Gebrüder Grimm, denn das Wort "märchenhaft" ist nicht unbedingt durchweg positiv besetzt. Wenn es allerdings "märchenhaft" endet, dann ist damit gemeint: Nach einer besonders harten Zeit kommt endlich eine gute. Das sogenannte Happy End. Bis dahin ist es jedoch noch ein langer Weg für unser spanisches Schneewittchen.

Noch einmal zurück zum Thema Stummfilm: Die Sprachlosigkeit zwischen den Menschen ist gewaltig, und das wird ohne Sprache eindrucksvoll dokumentiert. Genau wie das Verhältnis zwischen Eltern und Kinder oft nicht ideal ist, der Anteil an der Erziehung immer noch sehr frauenlastig, Kinderarbeit leider in großen Teilen der Welt gang und gäbe - das alles kommt in "Blancanieves" vor - und trotzdem ist da so viel Poesie. Es ist schwarz oder weiß, hart oder weich, gut oder böse, tot oder lebendig - so sind Märchen, könnte man sagen. Nein, so ist das Leben.

Das einzige, was nicht stimmt, ist, dass kurze Haare ein kleines Mädchen weniger zum Mädchen machen. Die kleine Blancanieves sieht bezaubernd aus. Sie ist so nachvollziehbar neugierig auf das Leben. Die Entdeckung schließlich, dass ihr ehemals erfolgreicher, schöner, starker Vater, nunmehr ein Gefangener seines eigenen Körpers, mit gelähmten Händen und Füßen, in den Fängen der Ex-Krankenschwester ist, macht beide stark. Und während die böse Stiefmutter ihren Gelüsten nachgeht – schöne Kleider, SM-Spielchen, Ehemann und Ernährer quälen - wachsen Vater und Tochter zusammen. Mehr soll nicht verraten werden, denn wie eingangs erwähnt, kann sich diesen Film die ganze Familie ansehen.

Es kommt, das Glück

Ein Märchen, so aktuell wie es nur sein kann. Ganz wunderbar: beim Stummfilm darf man immer so hübsch in der Mimik und Gestik übertreiben. Herrlich auch, wie die Farben schwarz und weiß ineinander übergehen, wie der Flamenco zum Stierkampf wird. Und letztendlich das Gute über das Böse siegt. Es dauert, aber es kommt, das Glück.

Regisseur Pablo Berger hat einen wunderbaren Film zum Entschleunigen, Lachen und Weinen geschaffen. In der Welt der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts - da ist "Blancanieves" zeitlich angesiedelt - gibt es alles, was das Herz begehrt, sogar stierkämpfende Zwerge aller Couleur. Nach "The Artist" ist das ein weiterer Stummfilm, der das Zeug hat, für lautstarke Begeisterung zu sorgen. "Blancanieves"  ist auch ein Stück über die  Gleichberechtigung geworden, und man hat nicht den Eindruck, dass der Regisseur den Stierkampf verherrlicht. Und vielleicht wird man nach dem Film sogar zum Vegetarier ...

"Blancanieves" von Pablo Berger läuft seit dem 28. November in den deutschen Kinos.

Quelle: ntv.de

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