
Nackt unter Ureinwohnern: Dan (l.) und Kaajal bei der Morgengymnastik im Indiodorf am Amazonas.
(Foto: Neue Visionen)
Sex sells - ein alter Hut. Der Mensch schadet der Natur - auch nichts Neues. Eine Gruppe junger Umweltaktivisten kommt auf die clevere Idee, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden: Sex haben und damit Gutes tun. Aber wie reagieren wohl die Ureinwohner am Amazonas auf das Porno-Geld, mit dem ihr Wald gerettet werden soll?
Die Idee ist ja eigentlich gut: Sex haben und damit die Welt retten. Das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden nennt man sowas wohl. Man könnte sich auch an Bäume ketten, die gefällt werden sollen, oder wie Greenpeace Bohrinseln stürmen oder wie die Sea Shepherds Walfangschiffe rammen und versenken. Anstrengend, oft lebensgefährlich und nicht jeder hat die Statur und den Mut für solche Aktionen.

In der "Fuck for Forest"-WG entstehen Pornos für die Webseite: Natty, Dan, Tommy und Freunde beim Streicheln und Filmen.
(Foto: Neue Visionen)
Sex ist auch anstrengend, wenn man sich denn anstrengt, aber nicht lebensgefährlich, wenn man von bestimmten Praktiken mal absieht - und es macht mehr Spaß. Wenn man also die Gedankenkette spinnt: was bedroht die Menschheit derzeit am meisten? Die Umweltzerstörung. Und womit kann man relativ leicht viel Geld verdienen? Mit Sex. - dann könnte man fast automatisch zu der Schlussfolgerung kommen: Warum dann nicht beides zusammenbringen? Und genau das macht eine Gruppe junger Umweltaktivisten aus verschiedenen Ländern - sie haben auf verschiedenste Arten Sex, mit sich selber, mit anderen, lassen sich dabei fotografieren und filmen und stellen die Pornofilme und -Bilder ins Internet. Kostenpflichtig natürlich.
Wer sich diese Aufnahmen herunterlädt, muss dabei ausnahmsweise kein schlechtes Gewissen haben - im Gegenteil. Das Geld fließt ja in Umweltprojekte, verspricht die "Fuck for Forest"-Gruppe. Aber kommt es wirklich da an, wo es soll? Der gleichnamige Dokumentarfilm begleitet die skurrile NGO bei ihren Aktionen und in ihrem Alltag - und an den Amazonas. Denn dort soll ein größeres Stück Regenwald durch Kauf vor dem Abholzen bewahrt werden.
Essen und Kleidung aus der Tonne

Live-Sex für den guten Zweck: Tommy und Kaajal bei einer Sex-und-Musik-Performance in Berlin.
(Foto: Neue Visionen)
Doch vor dem "Showdown im Dschungel" sieht man die bunte Truppe um die norwegisch-schwedischen Gründer Tommy Hol Ellingsen und Leona Johannsson in ihrer Hippie-Sex-Wohngemeinschaft in Berlin (wo sie 2005 hinzogen, da sie in Norwegen wegen öffentlichen Geschlechtsverkehrs auf der Bühne zu einer Geldstrafe verurteilt wurden - in Deutschland hofften sie auf eine liberalere Atmosphäre), beim Gruppenkuscheln, am Küchentisch. Und beim Containern - denn die WG-Mitglieder sind knapp bei Kasse; das eingenommene Geld soll vor allem für den guten Zweck gespart werden. Und so holt man sich die ollen Klamotten aus den Kleidercontainern und die aussortierten Lebensmittel aus den Supermarkt-Mülltonnen. Und singt auf der Straße, mehr oder weniger melodisch, mit mehr oder weniger finanziellem Erfolg. Und hat öffentlichen Sex im Keller, bei dem sich Tommy danach Blut und Sperma von den Händen leckt und den Zuschauern zuruft: "Blut und Sperma, der perfekte Mix!"
Regisseur Michal Marzak begleitet die Truppe zudem bei ihren öffentlichen Anwerbe-Aktionen: da, wo viele junge Menschen sind, zum Beispiel im Berliner Mauerpark, wo sich vor allem am Wochenende die Massen drängen, sprechen sie Leute an, stellen kurz ihr Anliegen vor und erklären, wie man sie unterstützen könnte: mit erotischen Aufnahmen von sich, die man ihnen zur Verfügung stellt ("as a donation"). Die kann man entweder einschicken und quasi spenden oder gleich an Ort und Stelle machen lassen. Kurz mal in eine Ecke des Parks, ausziehen und los gehts ... Überraschenderweise lassen sich recht viele darauf ein - nach Aussagen der "Fuck for Forest"-Aktivisten ist "einer von zehn zufällig Befragten bereit, pornografisches Material aufzunehmen". Dafür haben sie dann auch das Gefühl, etwas zur Rettung der Welt beigetragen zu haben - und bekommen zugleich freien Zugang zu den sonst kostenpflichtigen Filmen und Fotos auf der "Fuck for Forest"-Webseite.
Nicht erwünscht
Aber nicht alle sind ihnen gegenüber so offenherzig und positiv gestimmt - auf dem Berliner Slutwalk etwa sind sie nicht erwünscht. Der Slutwalk ist eine weltweite Demonstration gegen milde Strafen für Vergewaltiger, die behaupten, das Opfer hätte sie sexuell provoziert. Die Leute von "Fuck for Forest" waren hierbei unerwünscht, weil sie andere Ziele verfolgen. Zudem wurde ihnen Sexismus vorgeworfen. Sie werden aufgefordert, ihr selbst gemaltes Schild runterzunehmen und abzuhauen.
Ähnlich ergeht es ihnen bei denen, für die sie das alles doch eigentlich veranstalten: Als sie mit 30.000 Euro in der Tasche an den Amazonas fahren, um Ureinwohnern 800 Hektar Regenwald abzukaufen und es so vor Abholzung oder anderer Nutzung zu schützen, lehnen die ihr Geld ab. Stattdessen müssen sie sich verteidigen und sich Vorwürfe anhören wie "Ihr prostituiert Kinder, ihr seid verkommen". Die Dorfbewohner interessieren sich viel mehr für einen Mann, der danach in einer Art Werbeaktion mit einer Motorsäge den Versammlungsraum betritt und diese als besonders vibrationsarm anpreist ... die Umweltschützer sind entsetzt, fühlen sich total verkannt und missverstanden.
Dokumentation des Scheiterns
Letztlich ist der Film die Dokumentation des Scheiterns der Gruppe. Leider wird nicht gezeigt, wie die Aktivisten mit der erschreckenden Erkenntnis umgehen, dass ihre Hilfe gar nicht gewollt ist. Überdenken sie ihr Tun, hinterfragen sie das Projekt oder machen sie einfach weiter, ohne jeden Selbstzweifel? Und versuchen es einfach woanders nochmal? Auf einmal wirken die Umweltschutz-Helden wie naive, weltfremde Träumer ohne Halt, ohne Boden.
Entwurzelt und ohne familiären Rückhalt sind sie ja zum Teil auch. Da ist etwa Kaajal aus Mumbai; die Inderin traf Tommy in Oslo, wo sie gerade ihre Schwester besuchte. Es funkte zwischen ihnen, er hinderte sie am Rückflug nach Indien, sie blieb bei ihm. Als die Familie erfuhr, wie sie lebte und was sie tat, erklärte sie sie für unrein und enterbte sie.
Und da ist der blondgelockte Norweger Danny, ein ehemaliger Springreiter. Er sollte für Norwegen an den Olympischen Spielen in Peking teilnehmen, verweigerte sich dem aber, weil er nicht mit den Methoden einverstanden war, mit denen man die Pferde trainiert. Als man ihn beim Besuch seiner Familie sieht, blickt man in tiefe Gräben - es gibt eigentlich keinerlei Verbindung, keine Ebene der Verständigung und des Verständnisses. Von beiden Seiten. Denn auch das wird deutlich in der Dokumentation: die Toleranz, die die "Fuck for Forest"-Aktivisten von anderen einfordern, zeigen sie selbst oft nicht.
Selbst Regisseur Marzak, der der Gruppe gegenüber doch sehr aufgeschlossen und interessiert war, hatte es schwer, von ihr akzeptiert zu werden. So erzählte er in der "Zeit", es hätte ihnen gegenüber Feindseligkeit gegeben "und Kritik daran, dass wir nicht nackt sein wollten. Unsere Ansichten empfanden sie als zurückgeblieben." Auf ihrer Webseite kritisieren die Umweltaktivisten die Filmemacher denn auch als "ziemlich manipulativ". FFF sei eine Gruppe idealistischer Expressionisten, Michael Marzak ein Geld und Ruhm liebender Filmemacher. Kein harmonisches Ende.
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Quelle: ntv.de