Musik

Muss man gehört haben Patti Smith: Am Anfang war das Wort

Hier spricht eine Dichterin.

Hier spricht eine Dichterin.

Vor 40 Jahren verschafft sich Patti Smith zum ersten Mal Gehör. Hier ist eine, die ihre Gefühle hinausschreit - auf sehr poetische Weise. Den Gang klaut sie von Bob Dylan, auch ein paar Verszeilen, aber sie ist und bleibt ein Original.

"Ich hatte nie den Ehrgeiz, eine Platte aufzunehmen", behauptet Patti Smith vor Jahren in einem Interview mit dem der britischen Zeitung Observer. Zum Glück hat sie es trotzdem gemacht; Anfang der 1970er-Jahre ist sie fester Bestandteil der New Yorker Underground-Szene und veröffentlicht Gedichtbände. Mit Lenny Kaye tritt sie in den Clubs und Bars auf. Während sie ihre Wort-Kanonaden auf das Publikum abfeuert, untermalt der Musiker das Ganze mit schrägen Gitarrentönen. 1974 erscheint die erste Single, "Hey Joe", ein Hendrix-Cover. Aber die Leute sind mehr an der B-Seite interessiert, "Piss Factory", der Vertonung eines Gedichts der Künstlerin. Die Frau, die keine Platten aufnehmen will, fühlt sich bestärkt und ein Jahr später erscheint ihr Debütalbum "Horses".

Rotzig und Wortreich

Sieht selbst geschnitten aus? Ist es auch.

Sieht selbst geschnitten aus? Ist es auch.

"Jesus died for somebody's sins but not mine": "Gloria" setzt den Ton für "Horses", rotzig und wortreich. Hier spricht eine Dichterin, beeinflusst von frühen Poeten wie Arthur Rimbaud und William Blake. Smith will nach eigener Aussage Rock'n'Roll als Kunstform  wiederbeleben. Lieder sind nicht einfach nur Lieder - Worte sollen direkt ins Herz greifen, provozieren, zur Aktion antreiben, kein bloßer Konsum mehr sein. Ihre Band mit Kaye an der Gitarre, Richard Sohl an den Keyboards, Ivan Kral am Bass und Jay Dee Daugherty am Schlagzeug liefert den pulsierenden Unterton für ihre Poesie. Sie ist die Chefin und das ist in der damaligen Zeit etwas Besonderes. Die Platte beeinflusst aber nicht nur durch die Umstände und den Inhalt - das Cover, eine Schwarzweiß-Fotografie von Smith' Freund, Robert Mapplethorpe, dürfte ebenso legendär sein: Da steht sie, in Herrenhosen, weißem Herrenhemd, das Sakko lässig über die Schulter geschlagen, die schwarzen Haare sehen selbst geschnitten aus (sind sie auch), der Blick ist bestimmt, aber nicht feindselig.

"Horses" ist damals kein kommerzieller Erfolg, gehört trotzdem zu den einflussreichsten Alben der Rockgeschichte. Es ermutigt Musikerinnen wie Courtney Love, aber auch R.E.M.-Sänger Michael Stipe fühlt sich angespornt, zum Mikrofon zu greifen. Das Nachfolge-Album der Band, die sich mittlerweile Patti Smith Group nennt, "Radio Ethopia", soll kommerzieller klingen. Die Kritik zeigt sich darüber zumeist ungnädig. Es wird in die Kategorie "schwieriges Album nach einem Meisterwerk" abgelegt, was ein wenig unfair ist, denn es finden sich darauf Perlen wie das epische "Pissing in a River" und das hypnotische "Distant Fingers".

Endlich kann man tanzen

1978 kommt "Easter" heraus und präsentiert den ersten richtigen Hit: "Because the Night", eine Kooperation mit keinem Geringeren als Bruce Springsteen. Endlich ist er da, der Song, den ihr ehemaliger Liebhaber und Vertrauter, Robert Mapplethorpe, von ihr haben wollte - ein Lied, zu dem man tanzen kann. Es ist aber nicht alles gefällig auf "Easter" - das ins Mikrofon gespuckte "Babelogue" führt zu dem großartig stacheligen "Rock N Roll Nigger".

Als 1979 "Wave" erscheint, maulen die Kritiker. Es erscheint ihnen zu poppig - als ob das etwas Schlimmes sei. Dabei ist Patti Smith einfach nur glücklich - sie hat nach einigen Beziehungen in dem ehemaligen MC5-Gitarristen Fred "Sonic" Smith den Mann fürs Leben gefunden und ihm mit dem zum Niederknien schönen "Frederick" ein musikalisches Denkmal gesetzt. "Dancing Barefoot" mutiert ebenfalls zum Klassiker. Aber das war's erstmal für Smith mit Musik - sie heiratet 1980, bekommt zwei Kinder und wird Hausfrau in Detroit. Erst 1988 taucht die Punkrock-Ikone mit "Dream of Life" wieder auf und bringt gleich die passende Hymne für sämtliche Demonstrationen und politische Kampagnen mit: "People Have the Power".

Öffentliche Trauerarbeit

Ein Leben wie ein Gedicht.

Ein Leben wie ein Gedicht.

Aber es war nur ein kurzer Gruß - die Musikerin verschwindet danach wieder ins Privatleben. 1996 meldet sie sich mit "Gone Again" zurück. Es ist ein Werk öffentlicher Trauerarbeit - 1989 stirbt ihre erste große Liebe, Mapplethorpe, an Aids, 1994 verliert sie innerhalb eines Monats Fred Smith durch einen Herzinfarkt und ihren jüngeren Bruder Todd durch einen Schlaganfall. Freunde wie Bob Dylan, der Dichter Allen Ginsberg und Michael Stipe ermuntern sie, wieder eine Bühne zu betreten und sich der Musik zu widmen. Harsche Rocktöne findet man auf "Gone Again" weniger - Country & Folk scheint meistens die passendere musikalische Untermalung für Verlust zu sein. Tapfer hält Smith den Kopf über Wasser und scheint Trost in der Kunst zu finden. So klingt der Titelsong "Gone Again" auch dynamischer. Das Lied schrieb sie zusammen mit ihrem Mann - sein musikalischer Nachlass.

Auch "Peace and Noise" aus dem Jahr 1997 handelt vom Tod. In "Memento Mori" gedenkt die US-Amerikanerin einem gefallenen Soldaten, "Spell" erinnert an den gerade verstorbenen Allen Ginsberg. Es klingt warmherzig, mütterlich, die Gitarrentöne wirken entsprechend erdig. 2000 erscheint "Gung Ho" und die alte kämpferische Patti aus den siebziger Jahren meldet sich zurück. Die Wunder der Liebe, heiliger Zorn über die gesellschaftlichen Zustände in der Welt und die Faszination alter Mythen prägen das Album, das bewegen und die Leute in den Hintern treten möchte. Zarte Töne wechseln sich mit dem Punkrock-Klang der ersten Alben ab.

"Trampin", das 2004 herauskommt, ist musikalisch nicht sehr aufregend und liefert den Soundtrack zu Smith' Zorn über den zweiten Irak-Krieg ihres Landes und der Politik der Bush-Regierung. Die zweifache Mutter trägt nach wie vor Feuer im Herzen, will gleichzeitig die Welt daran erinnern, dass Liebe und Fürsorge aus dieser Welt nie verschwinden werden.

Smith hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie sich Inspirationen von anderen holt, mal sind es die Poeten Rimbaud und Blake, dann Bob Dylan, Jimi Hendrix und Keith Richards. 2007 bringt sie folgerichtig eine Platte heraus, die nur aus Cover-Versionen besteht, doch einige Helden sollte man vielleicht ruhen lassen. Nirvana-Fans raufen sich bei ihrer Akustikversion von "Smells Like Teen Spirit" wohl eher die Haare. Aber diese schöpferische Pause soll ihr mal gegönnt sein.

Sanftere Töne
Immer für eine Überraschung gut: Patti Smith.

Immer für eine Überraschung gut: Patti Smith.

2012 präsentiert die Lyrikerin der Welt ihr bislang letztes Album, "Banga". Stimmlich hat sie nie sanfter geklungen, einzig "Constantine's Dream" fällt aus dem Rahmen, da quietschen die Gitarren und sie gibt ihren Lungen mächtig zu tun. In dem fast walzerartigen "This is the Girl" erinnert sie an die verstorbene Amy Winehouse und den Schlusspunkt setzt ein schönes ruhiges Cover von Neil Youngs "After the Gold Rush". 

Patti Smith ist zuallererst eine Performerin, seit über 40 Jahren betört sie mit ihrer Dichtkunst, ihrem unkonventionellen Auftreten und deshalb sind ihre Konzerte auch immer etwas Besonders. Sie bringt die Haarwurzeln zum Vibrieren, wenn sie ihre alten Klassiker wie "Gloria" zum Besten gibt. Auch dieses Jahr beehrt die Amerikanerin uns wieder und tritt im August in Stuttgart und in Mainz auf. Es wird magisch, ganz bestimmt.

Zugabe

Patti Smith: "Just Kids" - Patti Smith erinnert sich an ihre Zeit mit Robert Mapplethorpe, den sie Ende der sechziger Jahre in New York kennenlernt, sich verliebt und dann damit fertig werden muss, dass er Männern den Vorzug gibt. Ein Bericht, gespickt mit vielen berühmten Namen, über die damalige Untergrundszene, deren Punkrocker eine Heimat im New Yorker Club CBGB finden.

Steven Sebring: "Dreams of Life" - eine atmosphärische Schwarz-Weiß-Dokumentation über die Künstlerin. Es gibt frühe Aufnahmen aus den siebziger Jahren, in der die junge Patti über Kunst philosophiert. Die ältere Patti hockt in ihrem herrlich unaufgeräumten Zimmer voller Fotos und Erinnerungen und philosophiert weiter. Die Kamera begleitet sie auf ihren Erkundungstouren mit ihrer geliebten Polaroid-Kamera und zeigt sie hinter der Bühne mit der Band, zu der mittlerweile auch ihr Sohn Jackson zählt.

Quelle: ntv.de

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