Sturm und Drang und Motorroller The Jam: Vom Punk ins Museum
28.06.2015, 15:45 Uhr
Paul Weller - Wanderer zwischen den Bands.
(Foto: dpa)
Paul Weller zählt zu den großen Pop-Protagonisten Großbritanniens. Das Fundament dafür legte er Ende der 70er mit seiner Band The Jam. In London startet jetzt die erste umfassende Ausstellung über das stilprägende Trio - ein Blick auf ihre Alben.
London 1977 - die Hauptstadt ächzt unter einem heißen Sommer. Nicht nur die Temperaturen treiben den Schweiß auf die Stirn, auch dieses Ding namens Punkrock steht in voller Blüte. Sex Pistols, Damned, Buzzcocks, Clash und Gen X - die erste Riege des neuen Sounds trägt stachelige Haare, zieht die Oberlippe hoch und reckt den Mittelfinger. Mittendrin ein top gekleidetes Trio, das sich The Jam nennt. Die Anzüge sitzen, die Riffs ebenfalls, ihr Bandlogo wird zur Graffiti-Ikone - Drummer Rick Buckler, Bassist Bruce Foxton und Sänger und Gitarrist Paul Weller werden mit ihren messerscharfen, rotzigen Zwei-Minuten-Krachern schnell unter Punkrock eingeordnet. Die angry young men passen zum Phänomen der Stunde. Doch als Punk schnell das Zeitliche segnet, geht es für die Jungs aus dem Londoner Vorort Woking erst so richtig los.
In den folgenden fünf Jahren werden The Jam zu der wohl am leidenschaftlichsten verehrten Band Großbritanniens. Songs wie "Going Underground", "Eton Rifles", "That's Entertainment" oder "Town called Malice" werden zum Soundtrack einer Generation. Kein Wunder, dass bis heute der Wunsch nach einer Reunion zu den sehnlichsten im britischen Popkosmos gehört. Weller hatte die Band nach sechs Alben, etlichen Chartsingles und ausverkauften Touren im Frühjahr 1982 aufgelöst. Der Frontmann hatte andere Pläne. zurück blieben trauernde Fans und seine fassungslosen Mitmusiker.
In London startet jetzt die erste umfassende Retrospektive über The Jam. "About the Young Idea" nennt sich die Ausstellung im altehrwürdigen Somerset House. Der perfekte Moment, um noch einmal ihre Alben aus dem Regal zu ziehen.
1. "In the City" (1977)
Das Debüt des Trios passt punktgenau in die Zeit. Die Songs sind kurz, die Riffs trocken, Wellers Vocals röhren aggressiv. Auch wenn der Titeltrack, zugleich ihre Debütsingle, sich nur allzu frei vom Pistols-Song "Holidays in the Sun" die Riffs borgt, deutet sich schon die eigene Richtung der Band an. 60's-Referenzen, Kinks-Zitate, das "Batman"-Titelthema - The Jam liefern ein adäquates Update des Mod-Sounds, den The Who einst zum Leuchten brachten. Dass mit "All around the World" ihr bester Song noch nicht einmal drauf ist, wird sich mit späteren Hits wiederholen.
2. "This is the Modern World" (1977)
Der eilig nachgeschobene Zweitling wird gern als Übergangsplatte eingeordnet. Das wird dem Album sicher nicht gerecht. Auch wenn der erste Klassiker noch eine Platte entfernt ist, finden sich hier mit "Life from a Window", der Foxton-Komposition "London Traffic" und dem Titeltrack diverse Perlen. Die Musik-Journaille ist not amused und schreibt Weller bereits ab.
3. "All Mod Cons" (1978)
Der Modfather in spe erweist sich auch in jungen Jahren bereits als äußerst zäh, The Jam liefern mit ihrem dritten Album ein juveniles Meisterwerk ab. "David Watts" von den Kinks dokumentiert Fallhöhe und Niveau, auf dem sich die Band nun befindet. Die Akustikballade "English Rose" gerät zum Evergreen, "Down at the Tube Station at Midnight" brilliert als urbanes Epos zwischen Bahngleisen und rechten Schlägern, Karriere und Frustration, "'A' Bomb in Wardour Street" zieht brachiale Punkrock-Bilanz.
4. "Setting Sons" (1979)
Es scheint jetzt erst so richtig loszugehen. Die Singles "Strange Town" und "When You’re Young" gehen durchs Dach, nur "Eton Rifles" aber schafft es auf das vierte Album. Mit "Setting Sons" versucht sich Weller an einer Art Konzeptalbum, der Versuch gerät unausgegoren, die Kompositionen aber sitzen. Songs wie "Girl on the Phone", das tieftraurige Kurzdrama um den braven "Smithers-Jones" und das grandiose "Thick as Thieves" sind Höhepunkte auf einem Album ohne Ausfall.
5. "Sound Affects" (1980)
Noch ahnt es niemand, aber die Geschichte der Band geht in ihre Endphase. Das fünfte Album von The Jam wird zur Matura, zum Best-of einer Band, die eh kaum Ausfälle kennt. "That’s Entertainment", von Weller nachts in einer halben Stunde geschrieben, ist ein Klassiker, "Pretty Green" inspiriert heute noch die Gallaghers, der atemlose Groove von "Set the House Ablaze" bringt das Dach zum Abheben, "Scrape Away" experimentiert und schiebt unglaublich, die Bläser in Foxtons "Boy about Town" sind trompetengüldene Sonnenstrahlen.
6. "The Gift" (1982)
Mit den Singles "Funeral Pyre" und "Absolute Beginners“ fallen wiederum zwei Klassiker über die Tischkante, die Hitdichte auf dem Abschiedsgeschenk ist auch so hoch genug. Dass Weller im Geiste schon zwei Schritte weiter, bei seinem Nachfolge-Unternehmen Style Council, weilt, ist im Rückblick hörbar. "Town called Malice" als blue-eyed Motown-Wiedergänger und der dampfende Soulfunk von "Trans-Global Express" könnten kaum weiter entfernt sein von den aggressiven Kurzsalven des 77er-Debüts. Mit "Ghosts" liefert Weller eine weitere filigrane Balladenreduktion und "Running on the Spot" gibt einen ersten Ausblick auf noch weit entfernte Solopfade.
Zum Fanal gerät, wie passend, ein Non-Album-Track: "Beat Surrender" verdrahtet in unnachahmlicher Weise die Euphorie des Northern Soul mit der Melancholie, der Trauer um die Unwiederbringlichkeit des Moments. Vorhang. Applaus. The Jam sind Geschichte.
ZUGABE:
"The Jam - About the Young Idea" - von Wellers Schwester Nicky kuratierte Ausstellung, für die erstmals alle drei Ex-Jam-Mitglieder ihre Archive geöffnet haben. Sie begann am 26. Juni und läuft bis zum 31. August 2015 im Londoner Somerset House.
"That's Entertainment: My Life in the Jam" - Drummer Rick Bucklers Autobiografie ist soeben erschienen
"Saturn's Pattern" - Paul Wellers aktuelles Album, u.a. mit Steve Brookes, The-Jam-Mitglied der ersten Stunde, als Gastgitarrist
"From the Jam" - Bassist Bruce Foxton tourt mit den Klassikern seiner ehemaligen Band im UK. Alle Tourdaten gibt es hier.
Quelle: ntv.de