Politik

Anonyme Basen für Kampfdrohnen? General plaudert US-Strategie aus

15204068589_55d893abc3_o.jpg

Die Zeit der großen US-Kasernen gehört der Vergangenheit an: US-Generalstabschef Dempsey spricht offen über den Aufbau neuer, kleiner Einsatzbasen.

(Foto: DoD photo by Maj. Jefferson S. Heiland, U.S. Air National Guard/Released)

Wie reagiert Washington auf den Vormarsch der Islamisten? Einer Studie zufolge lässt das Pentagon rund um die Welt neue Stützpunkte errichten. Unter dem Code-Namen "Lily Pads" wächst ein unauffälliges Netz für Kampfdrohnen und Kommandoeinheiten.

Steht die weltgrößte Militärmacht vor einer strategischen Neuausrichtung? US-Generalstabchef Martin Dempsey hat Journalisten auf einem Flug nach Europa mit blumigen Schilderungen zur neuen Militärstrategie der Vereinigten Staaten überrascht. Der nüchterne Vier-Sterne-General Dempsey mit irischen Wurzeln sprach im Flieger unter anderem über Teichrosen und Amphibien - allerdings mit einer tieferen Bedeutung.

Wie Frösche auf dem Gartenteich könnten US-Soldaten von einem Seerosenblatt zum nächsten hüpfen, interpretierten Militärexperten die Visionen Dempseys. Auf diese Weise könnten Spezialeinsatzkräfte flexibel und schnell auf die Lage an den Brennpunkten reagieren - zum Beispiel durch die Entsendung von Militärberatern, die Abordnung von Kommandoeinheiten oder durch den Start von Aufklärungs- oder Kampfdrohnen.

Neue Basen in aller Welt

"Heutzutage gibt es bereits Stützpunkte in etwa 80 Ländern und US-Überseegebieten, das sind etwa doppelt so viele wie 1989", schreibt die Recherche-Website "Investigative Reporting Workshop" der American University in Washington. Unter dem Titel "Die Lilypad-Strategie" zählt die Studie zur neuen Ausrichtung der US-Streitkräfte allein in Afrika mehr als 20 US-Stützpunkte in Regionen mit islamistischem Terrorismus auf, von Burkina Faso über Kenia bis nach Dschibuti (siehe Karte).

2015-09-17_investigativereportingworkshop.JPG

Sterne für bekannte Stützpunkte, Rote Punkte für weniger bekannte "Lily Pad"-Basen: Die Karte des Investigative Reporting Workshops.

(Foto: investigativereportingworkshop.org)

Die USA, so lautet das Fazit, wollen als letzte verbliebene Weltmacht ihren globalen Einfluss aufrechterhalten und die neuen Konfliktzonen selbst in den entlegensten Ecken kontrollieren können. Die Ära der gewaltigen US-Kasernen in Übersee aus der Zeit des Kalten Krieges gehe dagegen ihrem Ende zu.

Seerosen im Militärjargon

Während die US Air Force im rheinland-pfälzischen Ramstein noch immer den größten Militärflughafen außerhalb der USA betreibt, sollen in Äthiopien oder auf den Seychellen im Indischen Ozean Stützpunkte für ferngesteuert Aufklärungs- und Kampfdrohnen entstehen. Anstatt riesiger Kasernenstädte in Europa sollen die sogenannten "Lily Pads" näher an die Konfliktregionen heranrücken.

Seerosenblätter (englisch: "Lily Pads") stehen im Sprachgebrauch der Pentagon-Planer für unauffällige, kleine Militärstützpunkte im Ausland. Im Gegensatz zu den bisher genutzten Einrichtungen sind die neuen Basen nur mit dem Nötigsten ausgestattet und müssen weitgehend auf sich allein gestellt agieren. Dempsey will mit solchen vorgeschobenen Einsatzbasen angeblich auch im Irak präsent bleiben. Seit dem offiziellen Abzug des US-Kontingents sind dort ganze Landstriche ins Chaos abgeglitten.

Das Leitmotiv der neuen US-Strategie: Spartanisch eingerichtete US-Basen sind im Aufbau und Unterhalt deutlich billiger als die früheren Großanlagen. Zudem bleiben die neuen Stützpunkte für die breite Öffentlichkeit unter dem Radar. Damit entgeht die US-Armee nicht nur Protesten von Anwohnern. Weil anonyme Basen nur wenig symbolisches Gewicht ausstrahlen, dürfte auch die Anschlagsgefahr vor Ort deutlich sinken.

Washington hält sich bedeckt

Auf die irakische Unruheregion Anbar bezogen, könnte die neue Strategie, so heißt es in der Studie, darauf abzielen, Einsatzkräfte vor Ort zu halten, ohne dass US-Truppen groß in Erscheinung treten müssen. Bislang setzte Washington im Irak vor allem auf massiv ausgebaute Stützpunkte in geschützten Zonen, die wiederum umgeben sind von einem Ring aus Kontrollposten verbündeter Einheiten.

Im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) sollen die US-Soldaten Dempseys Worten zufolge weiterhin irakische Verbündeten an der Frontlinie trainieren, aber keinesfalls selbst in die Kämpfe eingreifen. Unklar blieb, inwieweit es sich dabei um vage Planungen oder konkrete strategische Ansätze handelt. In einer ersten Reaktion bezeichnete das Weiße Haus Dempseys Ausführungen als "sehr theoretisch".

Die US-Regierung steht in der Region innen- wie außenpolitisch unter großem Handlungsdruck: Schließlich geht der Zerfall staatlicher Ordnung im Zweistromland auch auf die Folgen der US-Intervention unter dem früheren US-Präsidenten George W. Bush zurück. 2011 machte Präsident Barack Obama die Entscheidung seines republikanischen Vorgängers wieder rückgängig: Die Vereinigten Staaten zogen die Masse ihrer Streitkräfte aus dem Irak ab.

Abwehr von Raketen und Terroristen

Innenpolitisch wird Obama dieser Rückzug als grundlegender Fehler und als Zeichen der Schwäche ausgelegt. Die neue US-Strategie zählt zu den großen Themen im Rennen um das Weiße Haus. Dabei war Kurswechsel im Irak durchaus geboten: Die Last der enormen Kriegskosten wuchs immer weiter, unter anderem auch durch die dramatisch steigenden Versorgungsleistungen für die wachsende Zahl verwundet heimkehrender Veteranen.

Der US-Kongress bezifferte die Gesamtausgaben für das Engagement in Irak und Afghanistan bereits 2007 auf geschätzte 2400 Milliarden Dollar. Die Zahl dürfte mittlerweile eher gestiegen sein. Die zentralen Einsatzziele haben die USA dabei im Irak ebenso wenig erreicht wie in Afghanistan. Beide Länder sind nach wie vor von stabilen Verhältnissen und einem friedlichen Wiederaufbau weit entfernt.

Durch den nahezu ungebremsten Vormarsch fanatischer Dschihadisten in Syrien und im Nordirak hat sich die Lage grundlegend verändert: Die Erfolge des Islamischen Staates stellen das Vorgehen der USA komplett infrage: Längst ist für die Strategen im Pentagon klar, dass der Kampf gegen IS eigene Einheiten am Boden erfordert - trotz aller Risiken wie etwa Geiselnahmen oder anschwellende Opferzahlen in den eigenen Reihen.

Vor diesem Hintergrund ist die Neuausrichtung der US-Streitkräfte offenbar bereits in vollem Gange: Auf einer Insel im ölreichen Golf von Guinea vor der Westküste Afrikas entstehen dem Vernehmen nach neue US-Basen. Auch in Europa richtet sich das US-Militär neu ein: In Rumänien errichtet das Pentagon derzeit ein neues Raketenabwehrsystem - gegen den ausdrücklichen Willen Russlands.

Schon mehr als 50 "Lily Pads"

Seit langem verweisen Militärstrategen darauf, dass sich die US-Army in eine Art Expeditionskorps wandeln muss, flexibel aufgestellt und mit vielen Stützpunkten in allen Winkeln der Welt. "Ihr geheimes Wesen macht das Zählen schwierig, aber das Pentagon dürfte seit der Jahrtausendwende mehr als 50 'Lily Pads' oder andere kleine Basen errichtet haben", schätzt der US-Militärexperte David Vine von der American University.

Für den Irak, so Vine, bedeuten die "Lily Pads" nach dem Scheitern der US-Streitkräfte faktisch eine zweite Chance. "Den wenigsten US-Bürgern dürfte klar sein, dass wir vermutlich mehr Stützpunkte in fremden Ländern haben als jedes andere Volk, jede andere Nation oder Weltreich in der Geschichte", schreibt Vine. Der Autor beziffert die Gesamtzahl der US-Basen in seinem kürzlich erschienenen Buch "Base Nation" auf etwa 800 Stützpunkte in aller Welt, von den riesigen US-Standorten in Deutschland oder Japan bis zu kleinen Radarstationen in Peru oder Puerto Rico.

Geheimflüge nach Irland?

Die Idee von den Teichrosen ist im Grunde genommen alles andere als neu: Auch in der Heimat der Vorfahren von Generalstabschef Dempsey gab es nach den Angaben der Rechercheure aus Washington ein "Lily Pad". Vom Flughafen Shannon an der Westküste Irlands seien über Jahre Air-Force-Flugzeuge mit Truppen und Waffen für die Kriegsgebiete im Nahen und Mittleren Osten zwischengelandet.

Auch nach dem Truppenabzug aus Afghanistan und dem Irak bleiben die US-Streitkräfte auf dem kleinen Flughafen noch aktiv. Zuletzt sei am 1. September ein US-Militärtransporter vom Typ Boeing C-40 in Shannon zwischengelandet, heißt es aus Irland. Ein echtes Geheimnis muss sich dahinter nicht verbergen: Die US-Luftwaffe setzt den zweistrahligen Jet üblicherweise zum Transport von Befehlshabern, hohen Offizieren und hohen Regierungsbeamten ein. Die irischen Behörden hätten die Maschine allerdings - entgegen der Vorschriften - nicht kontrolliert. Eine dieser Maschinen ist laut Herstellerangaben auf der Ramstein Air Base in Deutschland stationiert.

Quelle: ntv.de, mmo/dpa

ntv.de Dienste
Software
Social Networks
Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen