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Cannabis wird im April legal Im Bundestag brennt die Luft, in Deutschland bald die Lunte

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Nein: Lauterbach hat keinen Joint in der Hand. Ab 1. April dürfte er aber.

Nein: Lauterbach hat keinen Joint in der Hand. Ab 1. April dürfte er aber.

(Foto: picture alliance / dts-Agentur)

Es dürfte das umstrittenste Ampel-Gesetz seit dem Heizungsstreit sein: Die Regierungsparteien beschließen die Legalisierung von Cannabis in Deutschland - ein historischer Richtungswechsel in der Drogenpolitik. Union und AfD zeigen sich empört, doch die Fürsprecher sehen die Vorteile überwiegen.

Pünktlich vor der Gärtnersaison gibt die Bundesregierung den privaten und gemeinschaftlichen Anbau von Cannabis frei. Auch der Besitz und Konsum soll nach der Verabschiedung des Gesetzes durch den Bundestag zum 1. April straffrei werden. Der Bundesrat könnte das Gesetz noch stoppen, wenn die Länder eine Mehrheit zusammenbekommen, wonach es derzeit aber nicht aussieht. In der namentlichen Abstimmung im Bundestag wurde das Gesetz mit einer Mehrheit von 407 der abgegeben 637 Stimmen verabschiedet. Ab Juli sollen auch frühere Verurteilungen wegen Cannabisbesitzes rückwirkend gelöscht werden. Der Entscheidung ging eine wilde, von teils scharfen Anwürfen geprägte Debatte voran.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach sprach von einer "schweren Entscheidung". Er sei selbst lange Zeit ein Gegner der Legalisierung gewesen, habe sich aber von der Wissenschaft eines Besseren belehren lassen. "Wir kriminalisieren junge Leute, denen wir das Leben zerstören, weil wir sie nicht vor dem Schwarzmarkt und dem Drogenhandel geschützt haben. Wir haben diese jungen Menschen ins offene Messer laufen lassen und bestrafen sie dann mit Vorstrafen, die ihr Leben zerstören können", sagte der SPD-Politiker über die bisherige Handhabung.

Der Schwarzmarkt werde zurückgedrängt, indem Erwachsene eine legale Bezugsquelle erhalten. Präventionsangebote sollten aufgestockt und der Verkauf von Drogen an Minderjährige schärfer bestraft werden. "Es fehlt oft an Aufklärung. Viele junge Menschen wissen nicht, dass Cannabiskonsum für das wachsende Gehirn wie ein Gehirngift wirkt", sagte Lauterbach. "Wir verharmlosen das nicht, wir ziehen das aus der Tabuzone raus und klären auf."

Scharfe Kritik von Union und AfD

Der CDU-Gesundheitspolitiker Tino Sorge bezeichnete Lauterbachs Ausführungen als "mit Abstand die absurdeste Rede zum Thema, die ich seit Langem gehört habe". Kinderärzte, Psychologen, Polizisten und Strafrechtler würden vor der Legalisierung warnen. Eine Eindämmung der Kriminalität und mehr Jugendschutz durch Legalisierung seien "Blödsinn". Sorges Fraktionskollegin Simone Borchardt warf der Ampel Ignoranz vor: "Alle Innenminister der Bundesländer haben sich dagegen ausgesprochen und Sie, liebe Ampel, machen trotzdem, was sie wollen."

"Die Präventionsgelder wurden von Ihnen gekürzt. Bei Ihnen kommt erst die Legalisierung und irgendwann die Prävention", sagte Borchardt. Dem widersprach später SPD-Gesundheitspolitikerin Heike Baehrens: "Die Haushaltsmittel für Prävention, für verstärkte Prävention und Beratung haben wir bereits aktiv erhöht." Kiffen für Minderjährige müsse unbedingt verboten bleiben.

Borchardt und AfD-Gesundheitspolitiker Jörg Schneider kritisierten, dass Besitz und Konsum zum 1. April legalisiert werden, die ersten privat angebauten Pflanzen aber erst in Monaten geerntet werden können. Anbauvereinigungen werden erst zum 1. Juli zugelassen. "Diese Lücke wird geschlossen durch den Schwarzmarkt", klagte Schneider. "Auf den illegalen Cannabis-Plantagen dieser Welt werden jetzt schon Doppelschichten geschoben." Er forderte, zumindest die Legalisierung des Besitzes auf den 1. September zu verschieben. "Drehen Sie einfach die Zeitleiste um."

Grüne verweisen auf Gesundheitsschutz

Marianna Klein-Schmeink von den Grünen sagte, die Menschen, die Cannabis konsumieren, seien auch jetzt schon auf den Schwarzmarkt angewiesen. "Natürlich gibt es im Übergang ein paar Probleme", sagte sie. Perspektivisch greife aber die legale Bezugsquelle. Ihre Fraktionskollegin Kirsten Kappert-Gonther verwies als Ärztin auf den Fortschritt im Gesundheitsschutz: "Diese erwachsenen Konsumierenden kennen dann die THC-Konzentration und sie können sich sicher sein, dass keine schädigenden Kontaminierungen enthalten sind."

THC ist der psychoaktive Wirkstoff der Cannabisblüte. Anbauvereine sollen Heranwachsenden zwischen 18 und 21 Jahren nur Cannabis mit maximal 10 Prozent THC abgeben dürfen. Auch bei anderen Konsumenten ist die Nachfrage nach geringeren Konzentrationen groß, während das Angebot auf dem Schwarzmarkt seit Jahren von immer stärkeren Dosierungen geprägt ist.

Erlaubt wird für Erwachsene ab 18 Jahren grundsätzlich der Besitz von bis zu 25 Gramm Cannabis zum Eigenkonsum. In der eigenen Wohnung sollen drei lebende Cannabispflanzen legal sein und bis zu 50 Gramm Cannabis zum Eigenkonsum. Der öffentliche Konsum soll unter anderem in Schulen, Sportstätten und in Sichtweite davon verboten werden - konkret in 100 Metern Luftlinie um den Eingangsbereich.

Erlaubt werden sollen auch "Anbauvereinigungen" für Volljährige, in denen bis zu 500 Mitglieder mit Wohnsitz im Inland Cannabis gemeinschaftlich anbauen und untereinander zum Eigenkonsum abgeben - im Monat höchstens 50 Gramm je Mitglied. Spätestens 18 Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes soll eine erste Bewertung unter anderem dazu vorliegen, wie es sich auf den Kinder- und Jugendschutz auswirkt.

Verkaufsstellen in Planung

Kappert-Gonther verwies auf das Beispiel Kanada, wo nur noch zwei Prozent der Konsumenten regelmäßig auf den Schwarzmarkt zurückgriffen. Allerdings ist in Kanada der Erwerb von Cannabis in lizenzierten Verkaufsstellen möglich. Das hatten auch die Ampelparteien anvisiert, haben aber wegen geltenden EU-Rechts davon wieder Abstand nehmen müssen. Nach der heute beschlossenen Legalisierung soll aber als zweite Säule die Einführung lizenzierter Abgabestellen im Rahmen von Modellprojekten ermöglicht werden, um langfristig Argumente für eine Änderung des EU-Rechts zu sammeln.

Eine schnelle Umsetzung dieses Plans forderte auch Ates Gürpinar von den Linken, dessen Fraktion der Legalisierung zustimmte. Die "Hasenfüßigkeit" der Ampelabgeordneten spiele der Union in die Hände. Die "bürokratische Entkriminalisierung" werde die Polizei absehbar überlasten. Der Union warf Gürpinar Unehrlichkeit vor, der Kinder- und Jugendschutz sei CDU und CSU egal: "Betreutes Trinken ab 14 Jahren halten Sie für eine großartige Idee. Alkohol, Kippen, Süßigkeiten in der Quengelzone im Supermarkt - das passt in Ihre Welt."

Entlastung oder Mehrarbeit für die Justiz?

Ebenfalls ein Streitpunkt in der Debatte war die rückwirkende Straflosigkeit, die der Deutsche Richterbund wegen des enormen Verwaltungsaufwands für die Justiz scharf kritisiert, ebenso die Justizminister der Bundesländer. "Welcher Logik entspricht es denn, wenn man einen Straftatbestand abschafft, weil die Straftaten überhandnehmen, weil etwas in Mode gekommen ist?", fragte Axel Müller von der CDU. Das sei eine "eine rechtliche Kapitulation".

Die 300.000 zu überprüfenden Verurteilungen überlasteten die Justiz. Allein im Amtsgericht Köln würden damit fünf Richter für ein ganzes Jahr voll ausgelastet, kritisierte Müller. Konstantin Kuhle von der FDP konterte: "Angesichts von 180.000 Strafverfahren im Jahr, die Konsum-bezogen sind, zu behaupten, dass die Legalisierung die Polizei und Justiz nicht entlasten würde, geht an der Realität vorbei, völlig."

Ob sich die Länder dieser Einschätzung anschließen, wird sich bei der nächsten Bundesratssitzung am 22. März zeigen. Die Länder müssten mehrheitlich dagegen stimmen, um das Gesetz noch abzuwenden. Mit Blick auf die vielen Regierungen, an denen SPD und Grüne beteiligt sind, scheint das unwahrscheinlich.

Quelle: ntv.de

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