
In seiner Abschiedsrede warnte Bundespräsident Joachim Gauck vor Gefahren für die Demokratie.
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Seine letzte Rede als Bundespräsident nutzt Joachim Gauck, um eine Bestandsaufnahme Deutschlands vorzunehmen. Darin lobt er die robuste Zivilgesellschaft. Doch die Demokratie sei in Gefahr. Die gelte es zu bewahren - notfalls auch militärisch.
Der Widerspruch konnte nicht größer sein: Bevor Joachim Gauck ans Rednerpult im Schloss Bellevue treten durfte, sang eine Musikerin voller Inbrunst mehrmals Halleluja. Doch nach dem "Alleluja-Groove" war die Euphorie schnell verflogen. In seiner Abschiedsrede schlug der Bundespräsident zunächst pessimistische Töne an: "Nun, nach fast fünf Jahren, bin ich stärker beeinflusst von dem Bewusstsein, dass diesem demokratischen und stabilen Deutschland auch Gefahren drohen. Und dass große Anstrengungen notwendig sein werden, um es für die Zukunft stark zu machen."
Wie in seiner Antrittsrede am 23. März 2012 im Deutschen Bundestag fragte Gauck auch diesmal: "Wie soll es aussehen, unser Land?" Um diese Frage zu beantworten, habe er "das Privileg" genutzt, "Deutschland auch mit den Augen von anderen zu sehen". Dabei sei er insbesondere in einer Ansicht bestärkt worden: "Es ist (…) das beste, das demokratischste Deutschland, was wir jemals hatten." Dies sei nicht zuletzt ein Verdienst einer "starken Bürgergesellschaft".
An ebenjene Zivilgesellschaft appellierte der 76-Jährige, sich nicht aus der Verantwortung zu schleichen und die Demokratie zu verteidigen. Mit Blick auf die historischen Erfahrungen und die aktuelle politische Situation forderte Gauck eine "wehrhafte und streitbare Demokratie". Diesen Appell begründete das Staatsoberhaupt mit einem weit verbreiteten Anspruchsdenken, "das den Staat allein als Dienstleister sieht". "Aber Demokratie ist kein politisches Versandhaus", versuchte Gauck aufzurütteln: "Demokratie ist Mitgestaltung am eigenen Schicksal – in der Gemeinde, Stadt, in der Region, in der Nation."
"Wir leben in rauen Zeiten"
Zudem forderte Gauck Mut, den aktuellen Herausforderungen mit Entschlossenheit zu begegnen. "Die liberale Demokratie und das politische, normative Projekt des Westens, sie stehen unter Beschuss", warnte er: "Wir leben in rauen Zeiten." Er äußerte sich bestürzt über den wachsenden Einfluss von Fake News und eine verrohte Diskussionskultur. "Vor allem in den sozialen Netzwerken wird fast grenzenlos gelogen, beschimpft, verletzt." Er rief dazu auf, weiter heftig zu streiten, "aber mit Respekt und mit dickem Fell".
In Anbetracht eines erstarkenden Rechtspopulismus' in Deutschland und Europa mahnte Gauck an, "der Zersplitterung entgegenzuwirken". Er forderte mehr Engagement, "um die Europäische Union zu stabilisieren und den inneren und äußeren Versuchen, sie zu spalten, entgegenzuwirken." Den Argumenten der Rechtspopulisten in Bezug auf die Flüchtlingssituation erteilte Gauck eine Absage. Verunglimpfung, Hetze, Ausgrenzung, Hass und erst recht Gewalt gegenüber Eingewanderten hätten keinen Platz in der Gesellschaft. Es zähle "nicht die Herkunft, sondern die Haltung", sagte er.
Zwar könne sich Deutschland "nicht zur Insel machen". Dennoch räumte er ein, dass es einer effizienten Sicherung der europäischen Außengrenzen, einer geregelten, europäischen Einwanderungspolitik sowie einer Verbesserung der Lebensumstände in den Herkunftsländern bedarf, um "krisenhafte Zuspitzungen" zu verhindern.
Plädoyer für stärkeres Nato-Engagement
Mit Blick auf die steigende Terrorgefahr plädierte Gauck für einen starken Staat: "Der Rechtsstaat verliert, wenn er sich im Kampf gegen Gewalt und Terror als zu schwach oder gar hilflos erweist. Nicht zuletzt verliert er seine Vertrauenswürdigkeit." Deshalb sprach er sich für "eine engere internationale Zusammenarbeit und eine effektivere Gefahrenabwehr im Innern" aus – auch wenn die Handlungsmöglichkeiten deutscher und europäischer Politik begrenzt seien. Das hätten nicht zuletzt die Kriege in Syrien und in der Ostukraine gezeigt.
Dennoch warnte Gauck davor, sich außenpolitischer Verantwortung zu entziehen. Er ging noch einen Schritt weiter und kritisierte, Deutschland komme trotz eines "Mentalitätswandels" momentan "bei weitem noch nicht allen Verpflichtungen nach". "Gemessen an den Herausforderungen unserer Zeit und an unseren Möglichkeiten, könnten und sollten wir deutlich mehr tun", forderte er. Das schließe verstärkte Krisenprävention, Diplomatie, Entwicklungszusammenarbeit und Beteiligung an UN-Missionen ebenso ein wie Verteidigungsbemühungen im Rahmen der Nato.
Trotz der vielen Kritikpunkte zog der Bundespräsident in seiner Abschiedsrede ein insgesamt versöhnliches Fazit seiner Amtszeit: "Wir sind auf dem Weg zu mehr Chancengerechtigkeit schon ein gutes Stück vorangekommen." Deutschland habe derzeit mehr Gründe als je zuvor, mit einem gesunden Selbstvertrauen in die Zukunft zu blicken. Mit Stolz auf die Errungenschaften der vergangenen Jahrzehnte sagte Gauck: "Dieses Land ist die Heimat meiner Werte." Es sind versöhnliche Töne des elften Bundespräsidenten, die fast wie eine Liebeserklärung klingen. Als er das Rednerpult verlässt, erklingt Ludwig van Beethovens "Ode an die Freude".
Quelle: ntv.de