Auftritt in Chemnitz Merz traut sich was: In Sachsen verteidigt er die Grünen


Grundsätzlich CDU - was das eigentlich heißt, erklärte Merz der Basis in Chemnitz.
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Mit ihrem neuen Grundsatzprogramm will die CDU der Beliebigkeit entkommen. In mehreren Städten stellen die Parteioberen den Entwurf vor. Chemnitz ist der bislang schwierigste Termin. Am Ende spricht Parteichef Merz eine Art Machtwort.
Einige Minuten nachdem Friedrich Merz seine Rede in Chemnitz begonnen hat, hält er inne und sagt: "Es ist hier heute Abend verhaltener als gestern in Hannover, als vorgestern in Mainz. Man merkt Ihnen an, dass Sie erst mal ein bisschen abwarten. Was machen die da, was fragen die mich?" Damit traf der CDU-Chef die Stimmung an diesem Abend in der westsächsischen Großstadt ganz gut. Die Reaktion auf die, man möchte fast schon sagen, Show der Parteiführung, fällt verhalten aus.
Merz war angereist, um gemeinsam mit Generalsekretär Carsten Linnemann und Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer den neuen Entwurf für ein Grundsatzprogramm der Partei vorzustellen. Das ist im vergangenen Jahr in mühevoller Arbeit entstanden, soll die Partei wieder unterscheidbarer von SPD und Grünen machen und Antworten auf aktuelle Fragen geben - 17 Jahre nach dem letzten Grundsatzprogramm im Jahr 2007.
Die inoffizielle Mission war es aber auch, den CDU-Wahlkämpfern vor den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg ein bisschen Munition mitzugeben. Gut 70 Seiten ist der Entwurf stark. Darin zeigt sich die CDU als konservative Volkspartei der Mitte, die zwar alle umarmt, auch Muslime und Homosexuelle, aber sich eben auch einige konservative Lieblingsthemen wieder auf die Fahnen schreibt, die in der Ära Angela Merkels verblasst waren. Atomkraft soll wieder eine Option sein, eine Dienstpflicht wird gefordert und Ausländer sollen bitte schön "unsere" Leitkultur anerkennen. Vor allem in Migrationsfragen rückt die Partei noch stärker vom Merkel-Kurs ab, als es die Kanzlerin in den Jahren nach der Flüchtlingskrise 2015/16 selbst tat.
Der Satz des damaligen Bundespräsidenten und CDU-Politikers Christian Wulff "Der Islam gehört zu Deutschland" gilt jetzt nicht mehr, nun heißt es nur noch: "Muslime, die unsere Werte teilen, gehören zu Deutschland". Die Partei spricht sich für Asylzentren an den EU-Außengrenzen aus und für Abschiebungen in sichere Drittstaaten. Das Asylrecht in der jetzigen Form wird infrage gestellt.
"Deutschland-Tour" durch sechs Städte
Seit einiger Zeit steht der Entwurf, jetzt befindet sich die Parteispitze auf "Deutschland-Tour", um das Programm den Mitgliedern vorzustellen und die Reaktionen zu testen. Chemnitz war nach Mainz am Dienstag und Hannover am Mittwoch der dritte Termin, es folgen noch Köln, Stuttgart und Berlin. Die sächsische Stadt ist als einziger Termin in Ostdeutschland die spannendste Station. Denn dort steht am meisten auf dem Spiel. Bei den Wahlen in den drei genannten Bundesländern könnte die AfD jeweils stärkste Kraft werden.
Es ist das schwierigste Pflaster für die CDU, was sich auch daran zeigt, dass sich manche Äußerungen Kretschmers kaum noch von AfD-Phrasen unterscheiden lassen - etwa wenn er fordert, wieder russisches Gas einzukaufen, Ukraine hin oder her. Damit hält er sich an diesem Abend aber zurück. Es hätte auch nicht zur Rede von Merz gepasst. Der ließ an seinem Willen, dem von Russland angegriffenen Land zu helfen, keinen Zweifel.
Angesichts der angespannten Lage im Freistaat waren die Fragen aus dem Publikum fast spannender als die Reden der Parteigrößen. Da wurde mal spitz angemerkt, dass im neuen Programmentwurf viel vom christlichen Menschenbild die Rede sei, aber Gott selbst und der Glaube keine Rolle spiele. Oder dass mehr für Unternehmer getan werden und Leistung sich wieder lohnen müsse. So weit, so typisch CDU, ob in Ost, West, Süd oder Nord. In Chemnitz gab es aber auch andere Töne. Zum Beispiel wurde gefragt: Wenn es eine Brandmauer zur AfD gebe, warum dann nicht auch eine zu den Grünen?
Solche Fragen bekommt Merz jedenfalls in Berlin selten bis nie gestellt. Im Osten ist Schwarz gegen Grün für viele CDUler vielerorts aber der eigentliche Gegensatz, wie auch der Politikwissenschaftler Benjamin Höhne im Gespräch mit ntv.de gesagt hatte. Merz blieb hier aber bei seiner Linie, sich eine Koalition mit Grünen und SPD offenzuhalten. "Wir müssen klar sagen, was wir wollen", sagt er im Vorblick auf den Bundestagswahlkampf. Als Vorbild nennt er Hessens Ministerpräsident Boris Rhein. Der habe sich nach der Wahl die Partner aussuchen können und sich schließlich für die SPD entschieden - zur Überraschung der Grünen. Die SPD habe dabei so viele Zugeständnisse gemacht, dass sie den Koalitionsvertrag intern als "Kapitulationsurkunde" bezeichnet habe.
Fast schon ein Machtwort
"Lassen Sie uns bitte im gegenseitigen Respekt die parteipolitische Auseinandersetzung führen. Und ja, auch die Grünen sind eine Partei der politischen Mitte." Als er das sagt, ruft jemand "Nein!" dazwischen. "Doch", sagt Merz. Sich von vorneherein "in der breiten Mitte" die Koalitionsfähigkeit abzusprechen, das komme für uns als "Christdemokraten und für mich als ihr Vorsitzender nicht infrage". Damit spricht der Parteichef fast schon ein Machtwort und tritt sogleich das anti-grüne Feuerchen aus, das da aufflammt. Er bleibt auch Herr der Lage, allerdings dürfte ihn die Frage weiter beschäftigen. Allein schon dadurch, wie ein Fragesteller sagt, dass man bei der Wahl der CDU befürchten müsse, dass man dann die Grünen gleich mitbekommt.
Doch es soll an diesem Abend ja vor allem um das Grundsatzprogramm gehen. In seiner Rede grenzt sich Merz wie schon in Mainz und Hannover klar von der AfD ab. Hatte er im vergangenen Sommer noch fabuliert, die CDU sei die wahre Alternative für Deutschland, sagt er nun, die AfD sei der "Abstieg für Deutschland". Den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke nennt er einen Rechtsextremisten. Nicht ohne Grund stehe das Bekenntnis zum Patriotismus im Programmentwurf. "Patrioten lieben ihr Land", sagt Merz. Der Unterschied zu Nationalisten sei, dass die alle anderen Länder hassten. Nur verhaltenen Applaus bekommt Merz dafür, dass es kein eigenes Kapitel zu Ostdeutschland mehr im Grundsatzprogramm gibt. Die Begründung: Es ist ein Programm für alle, das sei also nicht mehr nötig.
Das Thema Migration spielt bei Merz keine große Rolle, dafür aber im Programm vor ihm. Der sächsische Ministerpräsident Kretschmer und der thüringische CDU-Chef Mario Voigt sprechen darüber mit Philipp Amthor, Bundestagsabgeordneter aus Mecklenburg-Vorpommern, und Gitta Connemann, Vorsitzende der Mittelstandsvereinigung MIT. Die Politik Merkels in der Flüchtlingskrise 2015/2016 bezeichnen Kretschmer und Voigt als Fehler, der korrigiert worden sei. Umfragen zufolge ist die AfD in beiden Bundesländern mit je gut 30 Prozent stärkste Kraft, die CDU jeweils dahinter. In Sachsen relativ nah, in Thüringen ziemlich deutlich.
Merz hat nicht unrecht, als er sagt, die CDU habe mit dem Grundsatzprogramm nach der Wahlniederlage 2021 ihre Hausaufgaben gemacht. Natürlich liest kaum jemand außerhalb der Partei das Programm. Doch nach innen scheint allein schon der Prozess des Verfassens eine belebende Wirkung auf die obere Parteiebene gehabt zu haben. Kretschmer schien ganz angetan, sprach von einer "Teambuilding-Maßnahme". Ob diese Begeisterung sich auf die ganze Partei ausbreitet, ist eine andere Frage. In Chemnitz blieb es eher bei höflichem Applaus.
Quelle: ntv.de