Nouripour zu Scholz' China-Reise "Peking will Russland als billige, exklusive Tankstelle für Gas und Öl"
13.04.2024, 08:13 Uhr Artikel anhören
Omid Nouripour ist als Co-Vorsitzender der Grünen neben Ricarda Lang für Außen- und Sicherheitspolitik zuständig.
(Foto: picture alliance/dpa)
Olaf Scholz bricht nach China auf. Grünen-Chef Omid Nouripour erwartet vom Bundeskanzler, dass er dort auch "die harten und strittigen Themen" anspricht. "Es darf nicht sein, dass China direkt oder indirekt über Nordkorea und Iran Russlands Rüstungsindustrie unterstützt", mahnt Nouripour im Gespräch mit ntv.de. Scholz wird auch über wirtschaftspolitische Themen sprechen. "Deutschland will keinen Handelskrieg", so Nouripour. "Wir wollen die Interessen ausbalancieren und faire wirtschaftliche Bedingungen für Unternehmen auf beiden Seiten." Und: "China braucht uns auch."
ntv.de: Olaf Scholz tritt seine bislang längste Auslandsreise an und sie gilt ausgerechnet dem Konkurrenten und strategischen Rivalen China. Was sagt das über das deutsch-chinesische Verhältnis?
Omid Nouripour: China ist für uns Partner, aber auch Wettbewerber und strategischer Rivale. Deshalb wollen wir die Kooperation fortsetzen und zugleich Risiken minimieren. Das heißt auch, Abhängigkeiten von Autokratien reduzieren, Partnerschaften diversifizieren. Wir dürfen uns nicht abhängig machen, das ist eine der zentralen Lehre des Krieges in der Ukraine. Deshalb ist es richtig, dass Olaf Scholz hinfliegt. Erst recht in einem Jahr voller Unsicherheiten - sei es wegen des Krieges in der Ukraine oder wegen der Spannungen im südchinesischen Meer.
Die Probleme mit China sind zahlreich: das Verhältnis zu Russland, der drohende Krieg gegen Taiwan, die Menschenrechtslage in Hongkong, Xinjiang und Tibet, Pekings aggressiv vertretene Territorialansprüche, Cyberattacken, das Überschwemmen westlicher Märkte mit Billigprodukten und staatlich subventioniertem Hightech, die Klimapolitik: Wo soll Scholz bei dieser Reise der Fokus liegen?
Ich weiß nicht, ob die Liste der kritischen Themen vollständig ist, aber das sind alles wichtige Gründe, warum man miteinander reden muss. Ich gehe davon aus, dass alle diese Themen angesprochen werden. Einige Aspekte fallen ja in die Zuständigkeit der mitreisenden Grünen, Bundesumweltministerin Steffi Lemke und Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir. Ich denke da an Chinas Beteiligung am Plastikabkommen oder die Frage, ob Schweinefleisch nach China exportiert werden kann.
Wie muss man mit China sprechen?
China nimmt sein Gegenüber nur ernst, wenn man die eigenen Interessen klar und deutlich formuliert und auch zu den eigenen Werten steht. Ich gehe davon aus, dass Olaf Scholz die harten und strittigen Themen daher auch ansprechen wird. Als Grundlage dafür hat die Bundesregierung ja im vergangenen Sommer unter der Federführung der Außenministerin Annalena Baerbock die deutsche China-Strategie verabschiedet. Wir werden weiterhin mit China zusammenarbeiten. Streitthemen auszusparen, hilft der Zusammenarbeit nicht.
Als Scholz im Herbst 2022 nach China reiste, begegnete ihm von den Grünen viel Misstrauen wegen der Beteiligung des chinesischen Staatskonzerns Cosco am Hamburger Hafen. Ist seither Ihr Vertrauen in die China-Politik des Kanzlers gewachsen?
Ich denke, wir alle haben ein Interesse, die kritische Infrastruktur in unserem Land strategisch besser zu schützen und Abhängigkeiten in diesem Bereich von autoritären Staaten, wie China, stark zu verringern. Da gab es, wie von Ihnen angesprochen, eine unterschiedliche Bewertung im Fall des Hamburger Hafens. Mit der China-Strategie haben wir seither gemeinsame Leitlinien gefunden.
Was kann Scholz mit Blick auf die Ukraine erreichen?
Bei der letzten Reise des Bundeskanzlers hat China erneut betont, dass es Russlands Drohungen für einen Einsatz von Atomwaffen falsch findet. Das war gut. Jetzt muss es darum gehen, was konkret in der Ukraine passiert. Es darf nicht sein, dass China direkt oder indirekt über Nordkorea und Iran Russlands Rüstungsindustrie unterstützt. Das beträfe auch unsere Sicherheitsinteressen. Der Bundeskanzler muss dies klar und deutlich zurückweisen.
Warum verhält sich die chinesische Führung so?
Chinas KP denkt langfristig. Peking hat ein Interesse daran, dass Russland zu einer billigen, relativ exklusiven Tankstelle für Öl und Gas wird. Abgesehen von den beschriebenen sicherheitspolitischen Fragen wirft das auch die Frage auf, ob China Partner im Klimaschutz sein will. Da haben wir schon viele Richtungswechsel beobachtet. Derzeit setzt Peking wieder mehr auf Dekarbonisierung. Ich hoffe, die Aussicht auf billiges russisches Gas wird nicht zur Versuchung, davon wieder abzurücken.
Scholz und die SPD erinnern sehr gerne daran, dass Xi Jinping nach dem Kanzlerbesuch Russland zu einer Mäßigung beim Thema Atomwaffen bewegt habe. Aber stimmt das überhaupt?
Es war gut, dass die Kommunistische Partei Chinas sich im Rahmen der letzten Reise sehr klar und deutlich von diesen Drohungen abgesetzt hat. Diese Aussage gab es sowohl vorher von der KP als auch danach. Die chinesische Stimme wird in Russland gehört. Was aber Putin mit der chinesischen Mahnung tun wird, das haben wir damals nicht gewusst und werden es weiterhin nicht wissen. Die russischen Drohungen sind ernst zu nehmen. Man muss allerdings immer im Kopf haben, dass das russische Machtmodell komplett auf Angst basiert. Solche Drohungen werden immer wieder kommen, weil Putin will, dass wir aus Angst notwendige Entscheidungen nicht treffen. Aber das können wir uns nicht leisten.
Gerade in der SPD mehrten sich ja zuletzt die Rufe, China stärker in eine diplomatische Befriedung des Kriegs einzubinden. Hat Olaf Scholz überhaupt Argumente oder Druckmittel im Gepäck jenseits der bloßen Kritik?
Die Chinesen brauchen uns, Deutschland ist wichtiger Handelspartner. Und sie wissen auch, dass eine mögliche Wiederwahl Donald Trumps erhebliche Auswirkungen für sie hätte. Entsprechend ist China auf gute Handelsbeziehungen zu Europa angewiesen. Wir können also selbstbewusst auftreten. In unserem wirtschaftlichen Verhältnis gibt es eine Unwucht. Viele EU-Länder sind verständlicherweise viel härter im Umgang mit China, weil Peking Produkte nicht in den Markt lässt. Deutschland will keinen Handelskrieg, wir wollen die Interessen ausbalancieren und faire wirtschaftliche Bedingungen für Unternehmen auf beiden Seiten. Deshalb: Die Deutschen fahren nicht als Bittsteller nach China, sondern als Wettbewerber auf Augenhöhe.
Die Möglichkeit weiterer Marktzugangsbeschränkungen für China liegt also auf dem Tisch?
Nein, aber EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen hat angekündigt, den Import chinesischer Elektroautos zu überprüfen. Die chinesische Regierung subventioniert die Produktion bei den eigenen Herstellern massiv. Wie sich solche unfairen Handelspraktiken auswirken, wissen wir leider aus der Solarindustrie.
Das ist aber ein wirtschaftlicher Konflikt, kein Druckmittel für einen anderen Umgang Chinas mit Russland.
Richtig, aber das zeigt, dass die Bundesregierung China nicht nur freundlich darum bittet, unsere Interessen zu beachten. Angesichts des Geflechts an Arbeitsfeldern, das uns miteinander verbindet, hat Deutschland nicht die schlechtesten Karten. China braucht uns auch.
Die Grünen fordern schon länger eine größere strategische Unabhängigkeit von China, Stichwort Diversifizierung und De-Risking. Die Abhängigkeit von Seltenen Erden beispielsweise hat sich in den vergangenen Jahren aber kaum verringert. Die deutschen Investitionen hatten 2023 ein Rekordniveau erreicht. Ist Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck an der Stelle bisher gescheitert?
Nein, wir sind an vielen Stellen vorangekommen, auch bei den Rohstoffen. Da geht es unter anderem um Kreislaufwirtschaft und den effizienten Einsatz der Rohstoffe. Beides wird bei der Chinareise eine Rolle spielen. Zudem muss Europa vorankommen, etwa mit dem Critical Raw Materials Act, wo gerade diskutiert wird, was wir selbst abbauen können. Und wir müssen uns beim Import breiter aufstellen, unsere Quellen diversifizieren.
Ist das politisch gewollte Umdenken in den Chefetagen der deutschen Konzerne und großen Mittelständler angekommen? Viele investieren weiter massiv in China.
China bleibt als gigantischer Markt auch für deutsche Unternehmen hochattraktiv. Aber mein Eindruck ist, dass die Unternehmen nach den Erfahrungen mit der Covid-Strategie der KP sehr genau hinschauen, ob und wie sie strategisch investieren und welche Abhängigkeiten sie eingehen. Zudem haben sich viele Unternehmen im Wissen um die Zwangsarbeit aus der Provinz Xinjiang zurückgezogen.
Die Grünen haben im vergangenen Sommer den indopazifischen Raum auch als potenzielles Aktionsfeld der NATO beschrieben, um Lieferketten zu schützen und Chinas Aggressionen einzubremsen. Müssen Deutschland und Europa wirklich den Giganten China auch militärisch einhegen?
Darum geht es nicht. Partnerstaaten wie Südkorea, Japan oder Indonesien, die Wert legen auf eine regelbasierte Ordnung auch im südchinesischen Meer, wünschen sich, dass Deutschland dort Flagge zeigt. Die Ampel hat dem Thema Indopazifik zum ersten Mal ein eigenes Kapitel im Koalitionsvertrag eingeräumt. Denn Deutschlands Interessen in dieser Region sind hochrelevant. Dabei geht es im Kern nicht ums Militär. Was an Gütern durch die Straße von Malakka geht, betrifft uns direkt. Eine militärische Eskalation im südchinesischen Meer hätte erhebliche wirtschaftliche und auch sicherheitspolitische Auswirkungen für Deutschland und ganz Europa. Den Kopf in den Sand zu stecken und zu sagen, das alles hätte mit uns nichts zu tun, wäre schlicht naiv.
Mit Omid Nouripour sprach Sebastian Huld
Quelle: ntv.de