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Scholz muss Konsequenzen ziehen Die Ampel hat fertig, Zeit für Neuwahlen

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Olaf Scholz muss sich nach diesem Wahlabend ehrlich machen.

Olaf Scholz muss sich nach diesem Wahlabend ehrlich machen.

(Foto: picture alliance / Flashpic)

Im Vergleich zur Bundestagswahl brechen alle Regierungsparteien bei der Europawahl ein. Die politischen Ränder dagegen sind gestärkt. Die Ampel hat kein Argument mehr, weiterzumachen. Bundeskanzler Olaf Scholz muss dem Land einen letzten Dienst erweisen - und den Weg frei machen für Neuwahlen.

Umfragen seien keine Wahlergebnisse, lautet das Mantra ungeliebter Regierungsparteien. Am Abend der Europawahl hat es die Ampel schwarz auf weiß: SPD, Grüne und FDP sind laut Hochrechnungen mit etwas mehr als 30 Prozent zusammen so stark wie die Union. Im Vergleich zur Bundestagswahl 2021 fahren die Regierungsparteien etwa 20 Prozentpunkte weniger ein. Die SPD warb mit Bundeskanzler Olaf Scholz und bekam fast zwölf Prozentpunkte weniger als 2021. Die politischen Ränder sind derweil stark wie nie in der 75-jährigen Geschichte der Bundesrepublik. Das Regierungsbündnis hat nicht ein Argument für eineinhalb weitere Jahre Hängen und Würgen. Keines. Gegenargumente gibt es dagegen zuhauf.

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Das wohl gewichtigste: Das Land driftet auseinander. Die rechtsradikale AfD ist selbst mit zwei russlandfreundlichen, von Korruptionsvorwürfen verfolgten Spitzenkandidaten zweitstärkste politische Kraft geworden. Im Osten liegt die AfD sogar auf Platz eins, deutlich vor allen Ampelparteien zusammen. Das populistisch argumentierende Bündnis Sahra Wagenknecht fährt in den neuen Bundesländern auf Anhieb ein zweistelliges Ergebnis ein. Was vermögen diese Parteien erst, wenn ihnen ein professioneller Wahlkampf gelingt? Die Koalition mag den Aufstieg radikaler Kräfte nicht allein verantworten. Aufgehalten hat die Ampel sie aber auch nicht.

Inhaltlich entkernt

Auch wenn sie nicht wenige Verdienste hat, etwa im Umgang mit der Energiekrise nach Russlands Überfall auf die Ukraine: Programmatisch fehlt es der Ampel an Argumenten zum Weitermachen. Das Dreierbündnis ist vor den anstehenden, hochkomplexen Verhandlungen über den Haushalt 2025 inhaltlich am Ende. Es gibt kein gemeinsames Konzept, wie die bedenklich lahmende Wirtschaft in Schwung gebracht und die Ukraine weiter in sinnvollem Umfang unterstützt werden kann. Auch in der Klima- und Sozialpolitik sind die Koalitionsparteien uneins. Es gibt kein großes Projekt, das diese Regierung noch geschlossen verfolgt. Einfach nur durchzuhalten bis zum regulären Bundestagswahltermin ist dagegen keine Agenda - und wenn, dann nur eine zugunsten von Populisten und Extremisten.

Wie sehr die Ampel inzwischen inhaltlich entkernt ist, zeigt ein anderes Mantra: "Weniger Streit", versprechen Vertreter von SPD, Grünen und FDP seit nunmehr zwei Jahren, so auch an diesem Sonntag. Sie halten es aber nie dauerhaft durch, dieses Mal erst recht nicht: In ersten Reaktionen auf das Europawahlergebnis haben SPD-Chef Lars Klingbeil und der FDP-Vorsitzende Christian Lindner einander bereits harte Verhandlungen um das Budget für 2025 angekündigt. Der Ton wird stufenweise immer rauer in dem einst so ambitioniert gestarteten Bündnis. Auch damit schadet die Ampel der politischen Kultur dieses Landes. Das Vertrauen in die Problemlösungskraft der politischen Kompromisskultur sinkt. Dabei hat diese Kompromisskultur Deutschland über Jahrzehnte stark gemacht.

Das Land steht über der Person

Mit der Union, das ist der Erfolg von CDU-Chef Friedrich Merz, steht eine Partei der Mitte bereit zur Übernahme von Verantwortung. Mit dem überaus beliebten Boris Pistorius hat die SPD einen Bundespolitiker in ihren Reihen, den die Menschen womöglich gerne als Kanzler sähen - wenn er denn zur Wahl stünde. Mit einem Europawahlergebnis um die 5 Prozent kann die FDP eine Bundestagswahl riskieren, die nicht zwangsweise im Rauswurf aus dem Parlament mündet.

Und mit all ihren Erfahrungen der vergangenen Monate stellt sich den Grünen die Frage aller Fragen: Nützt eine fortgesetzte Regierungsbeteiligung dem Klimaschutz oder schadet sie ihm mehr? Nie war dieses existenzielle Anliegen so unpopulär wie nach zweieinhalb Jahren Habeck und Co.

Würde Olaf Scholz die Vertrauensfrage stellen, könnten die Ampelfraktionen ihr Regierungsbündnis geordnet auflösen und den Weg für Neuwahlen freimachen. Es wäre ein letzter, großer Dienst des Kanzlers am Land. So bitter dieses Scheitern für ihn und seine Mitstreiter persönlich sein mag: Ein Scheitern der Demokratie wegen fortgesetzten Vertrauensverlustes in die Regierenden wöge erheblich schwerer.

Quelle: ntv.de

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