Ratgeber

Nach drei Jahren schuldenfrei? Blitz-Insolvenz wird kaum genutzt

Die Reset-Taste drücken und neu anfangen? Davor müssen überschuldete Verbraucher sechs entbehrungsreiche Jahre hinter sich bringen, so lange dauert das Insolvenzverfahren. Seit einem Jahr geht es auch schneller - zumindest theoretisch.

Alleinstehenden bleibt ein Freibetrag von 1080 Euro. Wer mehr verdient, muss davon Schulden tilgen.

Alleinstehenden bleibt ein Freibetrag von 1080 Euro. Wer mehr verdient, muss davon Schulden tilgen.

(Foto: imago stock&people)

Gut 115.000 Menschen haben im vergangenen Jahr Insolvenz angemeldet, das sind so wenige wie lange nicht. Für die Betroffenen bleibt der Gang zum Insolvenzgericht natürlich trotzdem hart, sie müssen in der Regel sechs Jahre lang alles Einkommen oberhalb der Pfändungsgrenze abtreten. Nach der Insolvenzrechtsreform 2014 ist die Schuldenbefreiung nun theoretisch auch eher möglich. Doch in der Praxis profitiert davon offenbar kaum jemand. Die Bilanz nach einem Jahr fällt aus Sicht von Rechtsexperten und Verbraucherschützern mager aus. "Die Erleichterungen gehen an der Praxis vorbei", sagt Birgit Höltgen von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen. Und auch der Geschäftsführer des Verbandes der Insolvenzverwalter Deutschlands (VID), Daniel Bergner, ist der Ansicht, dass die Reform "wenig spürbare Erleichterungen für die Betroffenen" bringt.

Seit 1. Juli 2014 können Überschuldete schon nach drei Jahren neu starten, ein Insolvenzverfahren auf der Überholspur quasi. Doch die Hürden sind für die meisten zu hoch. Nur wer innerhalb von drei Jahren mindestens 35 Prozent der Gläubigerforderungen sowie die Kosten des Verfahrens für das Gericht und den Insolvenzverwalter stemmt, kann von der Restschuld befreit werden. Das schaffen die wenigsten. "Mehr als 80 Prozent der Verfahren sind sogenannte Nullmasseverfahren, das heißt, es ist nicht einmal genug Geld da, um die Verfahrenskosten zu bezahlen", berichtet Bergner.

Damit kommt für die meisten Betroffenen auch die zweite Verkürzungsmöglichkeit nicht in Betracht. Nach fünf Jahren wird die Restschuld erlassen, wenn man innerhalb dieser Zeit mindestens 35 Prozent der Gläubigerforderungen tilgt und außerdem die Verfahrenskosten bezahlen kann. Diese  Aufwendungen sollte man nicht unterschätzen, denn die Kosten für Insolvenzverwalter und Gericht können die Quote von mindestens 35 Prozent rasch verdoppeln. "Der Insolvenzverwalter bekommt 40 Prozent der verteilungsfähigen Masse. Je mehr da ist, desto höher ist sein Anteil", beschreibt Höltgen das Problem aus Sicht des Verbraucherschutzes.

Auch außergerichtliche Einigung möglich

Eine gewisse Erleichterung bietet das sogenannte Insolvenzplanverfahren. Für Unternehmen gibt es das schon länger, mit der Reform wurde es auch für Verbraucher eingeführt. "Es findet immer mehr Anklang", berichtet der Sprecher der Wirtschaftsauskunftei Creditreform, Michael Bretz. Dieses Verfahren wird meist genutzt, wenn noch etwas Geld da ist, und Dritte, zum Beispiel Verwandte oder Freunde, die Betroffenen finanziell unterstützen. Allzu häufig geschieht das allerdings nicht. "Es kommt nur in Ausnahmefällen zum Tragen", so die Erfahrung der Verbraucherschützerin Höltgen.

Details der Entschuldung wie Höhe und Zeitraum werden individuell festgelegt, die restlichen Schulden können schneller erlassen werden. Voraussetzung: Die Quote muss etwas höher liegen als im Regelverfahren und der Schuldner muss die Verfahrenskosten bezahlen. "Bei einem Planverfahren bekommen die Gläubiger meist höhere Quoten oder werden zumindest früher ausbezahlt", beschreibt die Auskunftei Bürgel die Vorteile aus Sicht der Gläubiger. Außergerichtlich einigen sich mit ihren Gläubigern in der Regel Verbraucher, die mehr als 50 Prozent der Forderungen stemmen können - doch auch das ist eher die Ausnahme. "Es wäre schön gewesen, wenn die außergerichtliche Einigung gestärkt worden wäre", sagt Höltgen.

Hoffen auf einheitliche Regelung

Für die meisten Betroffenen dürfte es angesichts der hohen Hürden bei sechs Jahren bleiben, bis sie ihre Schulden loswerden. "Für sie hat sich die Situation durch eine Stärkung der Gläubigerrechte sogar etwas verschärft", sagt Bergner. So seien beispielsweise Ausnahmen für die Befreiung von der Restschuld ausgeweitet worden. Ausgenommen sind unter bestimmten Bedingungen inzwischen auch Unterhalts- und Steuerschulden.

Inkassofirmen hatten vor Inkrafttreten der Reform gewarnt, dass Verbraucher diese als ein Signal verstehen könnten, "dass sie sich leichter ihrer Zahlungsverpflichtungen entledigen können". Derzeit könnten die Folgen der Neuregelung noch nicht eindeutig bewertet werden, erklärt der Bundesverband Deutscher Inkasso-Unternehmen (BDIU) nun. Der Zeitraum sei zu kurz.

Verbraucherschützer und Insolvenzverwalter fordern, dass Betroffene in Deutschland wie in anderen europäischen Ländern nach etwa drei Jahren die Möglichkeit für einen schuldenfreien Neustart haben sollten. "Drei Jahre ohne Mindestquote wären schon ein Fortschritt. Wir hoffen, dass es bald eine einheitliche europäische Lösung gibt", sagt Bergner.

Quelle: ntv.de, ino/dpa

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