Aktien - die Aussichten für 2026Steigen die Kurse weiter oder gibt's den großen Knall?

Seit mehr als drei Jahren steigen die Aktienkurse an der Wall Street – getrieben vor allem von der Fantasie bei Künstlicher Intelligenz (KI). Dabei könnte sich eine Blase gebildet haben. ntv.de hat bei vier Experten nachgefragt.
ntv.de: Es sind vor allem die großen amerikanischen Technologie-Unternehmen, die die US-Aktienmärkte nach oben treiben. Die sind aber mittlerweile exorbitant hoch bewertet. Handelt es sich bei KI um eine Blase oder die nächste industrielle Revolution?
Nietho Bruhn: Bei KI handelt es sich - frei nach Steve Jobs - eher um das nächste "one more thing", wenn man längerfristig agiert. Nach den teils extremen Kursanstiegen der zurückliegenden Monate und Quartale muss man bei solchen Titeln aber auch spürbare Rücksetzer aushalten können. Sowohl die Marktmacht als auch die Ertragsstabilität rechtfertigen nach unserer Ansicht jedoch die hohen Bewertungen.
Marco Herrmann: Künstliche Intelligenz bleibt ein langfristig aussichtsreicher Trend, der das Potenzial hat, der Weltwirtschaft einen deutlichen Produktivitätsschub zu verleihen. Besonders der zunehmend durch demografische Faktoren belastete Arbeitsmarkt könnte davon profitieren. Allerdings spiegeln die aktuellen Bewertungen bereits hohe Erwartungen wider, deren Erfüllung sich erst noch zeigen muss.
Reinhard Pfingsten: Wir sehen derzeit noch keine KI-Blase, beobachten aber das Risiko, dass sich der derzeitige Boom in eine solche entwickeln könnte. Kritisch sehen wir die hohe Konzentration, die die Aktien der Magnificent 7 in den Indizes haben. Dies birgt für Anleger ein Klumpenrisiko.
Michael Wittek: Klar ist, dass KI bleiben und unser Leben nachhaltig beeinflussen wird. Ob die Tech-Unternehmen reihenweise zu hoch bewertet sind, ist offen.
KI erinnert stark an das Internet. Auch das hat die Welt tiefgreifend verändert. Viele Firmen aus der Anfangszeit des World Wide Web existieren jedoch nicht mehr. Wiederholt sich die Geschichte?
Wittek: Sicher werden nicht alle Startups überleben. Dies gilt jedoch für jede Branche und gehört zum Kapitalmarkt.
Pfingsten: Die Fundamentaldaten der führenden KI-Unternehmen sind bislang überzeugend. Dies unterscheidet den aktuellen KI-Boom maßgeblich von der Dotcom-Blase um die Jahrtausendwende.
Bruhn: Ich sehe die KI eher als eine große Evolutionsstufe des Internets, insoweit nichts vollkommen Neues, sondern eher eine dramatische Weiterentwicklung. Daher ist davon auszugehen, dass die heute bereits großen Profiteure von KI weiter überproportional wachsen werden, da diese Unternehmen über ausreichend finanziellen Spielraum verfügen, um die für KI notwendigen Investitionen zu stemmen.
Allein die sechs großen Techkonzerne Amazon, Apple, Alphabet, Meta, Microsoft und Nvidia wollten in diesem Jahr rund 400 Milliarden Dollar in Rechenzentren und weitere KI-Infrastruktur investieren. Bislang verdient aber nur Nvidia mit KI richtig Geld. Schaffen das auch die anderen Unternehmen in absehbarer Zeit?
Herrmann: Bei Meta sieht man bereits positive Effekte auf den Umsatz. Die hat man sich aber mit 125 Milliarden Dollar Investitionen teuer erkauft. Bei OpenAI ist es gar fraglich, ob sie über die nächsten Jahre die notwendigen Finanzierungen überhaupt erhalten.
Wittek: Klar ist, dass andere Branchen wie die Energieproduzenten auf jeden Fall profitieren werden. Denn KI verschlingt Unmengen an Ressourcen.
Pfingsten: Nvidia ist sicherlich aktuell der klare Gewinner, die anderen setzen auf eine langfristige Rendite. Bei Amazon, Microsoft, Alphabet und Meta zeigen sich erste Effekte: steigende Umsätze bei Cloud-Diensten und Werbung, die durch KI optimiert werden.
Halten Sie es für problematisch, dass diese enormen Investitionen zunehmend mit Schulden und nicht aus dem laufenden Geschäft finanziert werden?
Pfingsten: Die Kombination aus extrem hohen Investitionen, unsicherer Monetarisierung und möglicherweise steigenden Zinsen macht die Wette riskant. In einem solchen Szenario wird die Volatilität der Aktienkurse der betroffenen Unternehmen deutlich steigen. Auch ein Scheitern einzelner Akteure ist nicht auszuschließen.
Herrmann: Oracle geht sicherlich einen gefährlicheren Weg. Aber Mark Zuckerberg, der Chef von Meta, brachte es auf den Punkt: Das Risiko, nicht zu investieren, ist größer als es zu tun.
Bruhn: Bis zu einem gewissen Grad kann es sinnvoll sein, diese Anschubfinanzierung aus Schulden zu generieren, wenn dies dazu führt, dass zukünftig entsprechend höhere Cashflows und Gewinne daraus resultieren. Solange dies der Fall ist, halten wir das nicht für problematisch.
Wittek: Das sehe ich kritischer. Wir sehen bereits bei einigen Unternehmen, dass die Risikoprämien bei deren Anleihen ansteigen. Das könnte noch zu einer Herausforderung für einige werden.
Ein zentrales Thema, das die Amerikaner beschäftigt, ist die Inflation. Wie gefährlich ist die für den US-Konsum?
Wittek: Sie hat sich für den US-Konsumenten längst materialisiert. Die Mehrheit der US-Bürger leidet unter den immensen Preissteigerungen.
Pfingsten: Das sehen wir optimistischer. Wenn man sich die am Black-Friday getätigten Umsätze in den USA anschaut, sind diese Sorgen anscheinend unbegründet. Schätzungen zufolge wurden mehr als 220 Milliarden Dollar an diesem Tag umgesetzt. Im Gegensatz zum Euroraum wird die Inflation in den USA aber noch längere Zeit ein Thema sein.
Herrmann: Man sieht es seit geraumer Zeit, den Gutverdienern geht es bestens und sie konsumieren wie in guten Zeiten, sicherlich auch dank steigender Aktienkurse. Den Geringverdienern fehlt sogar das Geld für den täglichen Bedarf.
Die rund zehn Prozent der vermögendsten Amerikaner sorgen für fast die Hälfte des Konsums. Die 90 Prozent der übrigen Menschen stehen finanziell deutlich schlechter da. Stellt diese Zweiteilung für die Wall Street ein Problem dar?
Bruhn: Solange die Konsumnachfrage der 90 Prozent weniger gut betuchten Menschen nicht gänzlich wegfällt, dürften sich die Auswirkungen auf die Wall Street sehr in Grenzen halten.
Wittek: Das Problem kommt dann, wenn auch die Superreichen den Gürtel enger schnallen.
Pfingsten: Gemessen an ihren Einkommen geben die 90 Prozent der US-Bürger viel mehr für den täglichen Konsum aus und sinkende Einkommen würden sich auch in einer rückläufigen Nachfrage widerspiegeln.
Das dritte zentrale Thema an den US-Aktienmärkten ist die hohe und weiterwachsende Staatsverschuldung. Wie gefährlich ist die?
Herrmann: Das positive an der steigenden Staatsverschuldung ist die expansive Fiskalpolitik als Ursache, also vor allem die dauerhaft niedrigen Steuern bei gleichzeitig überhöhten Staatsausgaben. Das hilft der Wirtschaft. Positiv ist auch, dass die Notenbank ihre Geldpolitik lockern dürfte, vermutlich unter politischem Druck, um die Verschuldung tragfähig zu halten.
Pfingsten: Das Risiko der US-Staatsverschuldung halten wir derzeit noch für überschaubar.
Wittek: Wir sehen das schon problematisch. Die Staatsverschuldung wird dann zur Gefahr, wenn entweder die 10-Jahres-Zinsen weiter steigen oder die Wirtschaft spürbar an Schwung verliert.
Die US-Strafzölle gibt es jetzt seit rund vier Monaten. Die Auswirkungen - zum Beispiel auf die Preise - scheinen jedoch kleiner auszufallen als erwartet. Waren die Befürchtungen übertrieben oder kommt das dicke Ende noch?
Bruhn: Anscheinend brauchen die Zollauswirkungen im Hinblick auf die betroffenen Lieferketten etwas länger, bis diese sich in steigenden Preisen zeigen. Daher wird es noch weitere Teuerungen geben.
Wittek: Da bin ich dabei. Für Zölle gilt Ähnliches wie Zinsveränderungen. Sie wirken erst mit einem deutlichen Zeitverzug. Wir müssen uns also noch ein paar Monate gedulden.
Herrmann: Die eingeführten Importzölle dürften noch zusätzlichen Preisauftrieb erzeugen, da viele Unternehmen bislang nur teilweise die höheren Kosten an die Verbraucher weitergegeben haben. Die Inflation dürfte sich daher hartnäckig im Bereich von etwa drei Prozent bewegen.
Pfingsten: Dazu kommt jedoch, dass viele der angekündigten drastischen Zollerhöhungen abgeschwächt oder ausgesetzt wurden.
Noch einmal zur Inflation. Die ist zwar zuletzt etwas gesunken, liegt aber immer noch weit über dem Zwei-Prozent-Ziel der amerikanischen Notenbank Fed. Kann sie dennoch im kommenden Jahr die Zinsen weiter senken?
Pfingsten: Ja, wir gehen davon aus, dass die Fed trotz der Inflationsraten um die drei Prozent die Leitzinsen weiter senken wird. Grund hierfür ist ein sich abkühlender Arbeitsmarkt.
Bruhn: Ja genau. Wir gehen davon aus, dass für die Fed die Förderung der Maximalbeschäftigung stärker im Vordergrund stehen wird als die Inflationsbekämpfung, so dass damit weitere Zinssenkungen im kommenden Jahr sehr wahrscheinlich sind. Aus Sicht der US-Regierung wäre die damit vermutlich einhergehende etwas höhere Inflation im Sinne der "Weginflationierung der Schulden" ein wünschenswerter Nebeneffekt.
Herrmann: Die Fed wird den Anstieg der Inflation als temporär bezeichnen und auf die Risiken am Arbeitsmarkt verweisen.
Was sonst könnte im kommenden Jahr die Aktienkurse weiter beflügeln?
Bruhn: Neben weiteren Fortschritten im Bereich KI mit zunehmenden Anwendungsmöglichkeiten und der Erschließung neuer Geschäftsfelder ein wirtschaftsfreundlicheres Umfeld sinkender Zinsen in den USA.
Wittek: Ja, Branchen wie die Pharmaindustrie profitieren von den neuen Forschungsmöglichkeiten der KI. Zudem sind diverse Branchen vergleichsweise günstig bewertet.
Herrmann: Am Börsenaufschwung der vergangenen zwei Jahre hat nur ein Teil der Aktien teilgenommen, viele Kurse sind seitwärts gelaufen oder gar gefallen. In 2026 sollte die Marktbreite zunehmen.
Pfingsten: Die Impulse für das Aktienmarktjahr 2026 werden aus unserer Sicht stark von wirtschaftspolitischen Impulsen und einer leichten Wachstumsbeschleunigung ausgehen
Die nächste Frage hatten wir schon vor einem Jahr gestellt. Die deutsche Wirtschaft wächst so gut wie nicht. Trotzdem sind die Aktienkurse auch 2025 deutlich gestiegen. Besteht hier Korrekturbedarf?
Pfingsten: Was das deutsche Wirtschaftswachstum angeht, sind wir für das kommende Jahr optimistisch gestimmt. Somit sollte die erwünschte Unterstützung endlich kommen. Dass sich der Dax bislang trotzdem so gut entwickeln konnte, liegt auch daran, dass die Dax-Konzerne global aktiv sind und nur einen geringen Umsatzanteil in Deutschland erwirtschaften.
Wittek: Außerdem kann man mit Blick auf den MDax, der die mittelgroßen Unternehmen umfasst und als Seismograf der deutschen Wirtschaft gilt, nicht von Kurssteigerungen sprechen.
Herrmann: Wir gehen von einer Stabilisierung der Weltkonjunktur aus mit weniger Beeinträchtigungen durch Handelszölle. Das dürfte den deutschen Unternehmen zugutekommen. Die Analysten unterschätzen zudem die Wirkung der Impulse aus dem Investitionsprogramm. Das Wachstum könnte besser ausfallen als befürchtet.
Wird 2026 das vierte gute Aktienjahr in Folge oder sehen wir langsam mal tiefere Kurse?
Wittek: Wir haben gut daran getan, uns an dieser Spekulation nicht zu beteiligen. Wir vertrauen weiterhin auf unser Risikomanagement.
Bruhn: Wir erwarten für die europäischen Börsen allgemein weiterhin eine positive Börsenentwicklung, allerdings weit weniger dynamisch als in den Jahren 2024 und 2025.
Welche Branchen und Regionen halten Sie für aussichtsreich?
Pfingsten: Unter regionalen Aspekten bieten die Schwellenländer die höchsten Chancen, verlangen jedoch eine sorgfältige regionale Auswahl angesichts der unterschiedlichen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.
Bruhn: Ich halte eine leichte Übergewichtung amerikanischer Aktien gegenüber europäischen Aktien für richtig, Asien spielt eine eher untergeordnete Rolle.
Wittek: Wir halten Unternehmen aus den unterschiedlichen Energiesektoren für interessant.
Herrmann: Besonders konjunktursensible Branchen rücken mit ihren nach wie vor moderaten Bewertungen stärker ins Blickfeld der Anleger. Zugleich bleiben defensive Bereiche wie Pharma und Versicherungen attraktiv, da sie weiterhin auf einem günstigen Bewertungsniveau handeln. Positiv gestimmt sind wir zudem für Technologie- und Rüstungswerte.
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