Fremde Federn Wie Berufstätige sich gegen Ideenklau wehren
29.06.2016, 09:46 UhrEin Professor gibt die Idee eines Doktoranden in einem Paper als seine eigene aus. Ein Kollege hält einen Vortrag mit Folien - doch die sind gar nicht von ihm. Ideenklau kommt im Beruf immer wieder vor. Wie kann man sich wehren?
Jonathan P.* hatte von Kollegen oft gehört, dass es an der Hochschule Ideenklau gibt. Trotzdem hat es ihn kalt erwischt, als er auf einmal selbst davon betroffen war. "Ich war entsetzt, als ich den Aufsatz des Professors in der Zeitschrift gesehen habe", erzählt er. "Das waren meine Ideen."
Jonathan P. ist promovierter Geisteswissenschaftler. Vor zwei Jahren hat er an einem internationalen Workshop mit etwa 20 Personen teilgenommen. Solche Veranstaltungen sind in seiner Disziplin sehr verbreitet. Professoren laden zum Beispiel dazu ein. Es gibt für die Workshops ein Oberthema, und Wissenschaftler bewerben sich mit einem Paper - also einem Aufsatz - zum Thema. Dann wird zwei oder drei Tage gemeinsam über diese Paper diskutiert.
Jonathan P. war in seinem Aufsatz aufgrund seiner empirischen Befunde zu einer Schlussfolgerung gekommen, die er mit einem Begriff prägte. "Den Begriff gab es so vorher nicht", erklärt er. Wenn man danach im Netz sucht, landet man bei Aufsätzen von ihm. "Mein Begriff und die Schlussfolgerung kamen bei den anderen Teilnehmern gut an", erzählte Jonathan P. Er freute sich, dass er ein gutes Konzept hat.
Etwa zwei Jahre nach der Konferenz erschien eine Sonderedition einer renommierten Zeitschrift - mit einigen bei der Konferenz besprochenen Papern. Jonathan P. hatte seinen Aufsatz schon vorher bei einer anderen Zeitschrift untergebracht. Er war deshalb nicht dabei. Das Journal las er jedoch mit Interesse. Und er stellte fest: Ein auf dem Workshop dabei gewesener Professor hatte sein Paper überarbeitet - und nun verwendete er Jonathan P.'s Schlussfolgerung und Begriffe, nur ohne auf ihn zu verweisen. "Ich hatte keine Ahnung, wie ich damit umgehen soll", erzählt er.
Die Angst geht um
Ideenklau ist gerade in kreativen Berufen immer wieder ein Thema. Dort gibt es häufig die Angst, dass ein anderer aus dem eigenen Einfall Kapital schlägt. Doch es passiert längst nicht nur im kreativen Bereich oder wie bei Jonathan P. an der Hochschule. Es geschieht auch in allen anderen Berufen. Da ist zum Beispiel der Kollege, der im Teammeeting die Idee eines anderen als seine ausgibt. Da ist der Chef, der die Idee des Praktikanten als seine an den Kunden verkauft.
Und viele haben eine diffuse Angst: Nach einer repräsentativen Umfrage des Marktforschungsinstituts Toluna befürchten vier von zehn Arbeitnehmern (44 Prozent), dass Kollegen sich während einer Teamarbeit fremde Ideen zu eigen machen und diese später als ihre eigenen verkaufen. Die Umfrage wurde im Auftrag des Personaldienstleisters Metaberatung gemacht.
Doch was macht man in so einem Fall? Zum einen gibt es durchaus Möglichkeiten, rechtlich gegen Ideenklau vorzugehen. "Die Idee an sich ist zwar erst einmal frei", sagt Ole Jani, Rechtsanwalt und Experte für Urheberrecht. Das Recht kennt allerdings Möglichkeiten, Erfindungen zu schützen. Im Fall von technischen Erfindungen gibt es die Option, ein Patent anzumelden. Der Patentinhaber ist dann in der Regel für 20 Jahre dazu berechtigt, anderen die Nachahmung zu untersagen.
Außerdem gibt es das Urheberrecht, das "persönliche geistige Schöpfungen" schützt. Das kann zum Beispiel ein Buch, ein Bild oder ein Song sein. Ist die Idee urheberrechtlich geschützt, muss der Beklaute dann aber immer noch nachweisen, dass er die geistige Schöpfung zuerst hatte. Und das ist häufig schwer.
Eine Möglichkeit ist, die eigene geistige Schöpfung beim Notar zu hinterlegen, erklärt Rechtsanwalt Jani. Im Fall eines Romans könnte man zum Beispiel dort das Dokument hinterlegen. Auf diese Weise lässt sich anhand des Datums der Hinterlegung nachweisen, ab wann das Werk in der Welt war. Kann der Inhaber des geistigen Eigentums dadurch den Beweis antreten, dass er die Idee zuerst hatte, kann er im Fall von Ideenklau auf Unterlassung klagen - und gegebenenfalls sogar Schadenersatz verlangen, wenn jemand anderes seine geistige Schöpfung benutzt oder sich zu Unrecht als deren Autor ausgibt.
Sanktionenen können nur angeregt werden
Doch kaum jemand wird mit dem Anwalt drohen wollen, wenn der Kollege im Meeting plötzlich die eigene Idee als seine verkauft. Karriereberater Thorsten Knobbe rät in dem Fall, den Ideendieb sofort in die Schranken zu weisen. "Ich würde sofort zum Angriff übergehen und denjenigen zur Rede stellen", erklärt er. Zeigt das Gegenüber sich nicht einsichtig, empfiehlt er, zum Mentor oder sogar zum Chef zu gehen. Dieses Vorgehen kommt aber natürlich an seine Grenzen, wenn der Mentor oder der Chef selbst der Ideendieb ist.
So ähnlich ist es bei Jonathan P.: Den Professor zu kontaktieren, ist für ihn keine Option. Er glaubt nicht, dass das etwas bringt. Doch er will auch nicht einfach schweigen. Denn er ärgert sich, und er befürchtet für sich einen Schaden. "In der Wissenschaft ist es wichtig, zu zeigen, dass man zu einer Debatte beigetragen hat", sagt er. Jonathan P.'s Angst ist, dass der Professor in den nun folgenden Debatten die Lorbeeren für seine Schlussfolgerung und die Begrifflichkeiten bekommt und er als Urheber der Leistung untergeht.
Ihm bleibt außerdem noch eine weitere Möglichkeit: In der Wissenschaft gibt es an fast allen Hochschulen Ombudspersonen, an die sich Wissenschaftler bei wissenschaftlichem Fehlverhalten wenden können. Das Gespräch bleibt auf Wunsch anonym. Sie können zwischen den Parteien schlichten.
Neben den Ombudsleuten an den Hochschulen ist außerdem bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) der sogenannte Ombudsman für die Wissenschaft angesiedelt, den Forscher hochschulübergreifend kontaktieren können. Das kann zum Beispiel interessant sein, wenn die eigene Hochschule sehr klein ist und man Angst hat, dass die Beschwerde sonst bekannt wird. "An den Ombudsman für die Wissenschaft kann man sich auch anonym nur mit einer E-Mail wenden, wenn man erst einmal eine Einschätzung haben will", sagt Prof. Stephan Rixen, Sprecher des Gremiums.
Dabei gibt es durchaus Felder in der Wissenschaft, in denen es häufiger zu Ideenklau-Problematiken kommt, erzählt Prof. Rixen aus seiner Praxis. So ist es bei Aufsätzen in den Naturwissenschaften zum Beispiel Usus, dass bei mehreren Autoren jene an erster und letzter Stelle genannt werden, welche die meiste Arbeit für den Aufsatz geleistet haben. Hier komme es immer wieder zu Streitereien darüber, wer an erster und letzter Stelle genannt werden muss.
Kritiker bemängeln an dem Ombudsman, dass ihm in letzter Konsequenz die Sanktionsmöglichkeiten fehlen. Der Ombudsman für die Wissenschaft kann bei Hochschulen oder bei der DFG eine Sanktionierung nur anregen, die DFG entscheidet dann etwa über eine Antragssperre. Eigene Sanktionsmacht hat der Vermittler nicht.
Jonathan P. hat sich in seinem Fall für einen dritten Weg entschieden. Er hat sich an die Macher der Zeitschrift gewandt, die den Aufsatz des Professors publiziert haben. Das sind dieselben Menschen, die auch den internationalen Workshop organisiert haben. Er fordert, dass zumindest die Online-Version der Zeitschrift korrigiert und er im Aufsatz des Professors korrekt zitiert wird. Außerdem wünscht er sich eine Stellungnahme des Professors. Jetzt wartet er auf eine Antwort von den Zeitschrift-Machern.
Quelle: ntv.de, Kristin Kruthaup, dpa