Wirtschaft

Russland-Nöte und Euro-Sorgen "2015 könnte ein Auto-Krisenjahr werden"

Der Elektroauto-Fabrikant Tesla wird einer der Verlierer dieses Jahres sein, glaubt Auto-Experte Becker.

Der Elektroauto-Fabrikant Tesla wird einer der Verlierer dieses Jahres sein, glaubt Auto-Experte Becker.

(Foto: picture alliance / dpa)

War 2014 noch ein automobiles Boomjahr, haben sich die Vorzeichen gewandelt. Konjunkturelle Risiken und ein niedriger Ölpreis machen Prognosen schwierig. n-tv.de-Autoexperte Helmut Becker wagt einen Ausblick und nennt Gewinner und Verlierer.

n-tv.de: Herr Becker, nach dem von Ihnen vorhergesagten Boomjahr 2014 - wie geht es 2015 mit der internationalen Automobilindustrie weiter? Setzt sich der Wachstumskurs - wie der Verband der Automobilindustrie (VDA) voraussagt - fort, oder ist der Aufschwung bereits wieder vorbei?

Helmut Becker schreibt als anerkannter Autoexperte und Volkswirt für teleboerse.de und n-tv.de eine monatliche Kolumne rund um den Automarkt.

Helmut Becker schreibt als anerkannter Autoexperte und Volkswirt für teleboerse.de und n-tv.de eine monatliche Kolumne rund um den Automarkt.

Helmut Becker: Wir müssen unterscheiden zwischen der Entwicklung am Weltmarkt und den Aussichten für die deutsche Automobilindustrie - und die sind auch 2015 ungebrochen gut. Allerdings sind angesichts der unsicheren gesamtwirtschaftlichen und politischen Ausgangslage die Prognose-Risiken für das laufende Jahr größer geworden, ein fundierter Ausblick ist daher schwieriger. Was die deutsche Autoindustrie anbelangt, stimme ich dem VDA uneingeschränkt zu. Was den Weltmarkt anbelangt, denke ich, dass es 2015 im schlimmsten Falle auf eine Stagnation auf hohem Niveau hinauslaufen wird. Wahrscheinlicher ist unterm Strich ein mittel-leichtes Plus am Jahresende.

Welche regionalen Markttrends sind 2015 zu erwarten?

Zuallererst wird sich die positive Entwicklung in China fortsetzen, die Zuwachsraten werden dabei aber geringer ausfallen, was bei einem Zulassungsvolumen von inzwischen über 17 Millionen Fahrzeugen aber auch nicht verwunderlich ist. Gleichwohl: China marschiert unverdrossen auf die 20-Millionen-Marke zu!

Und in den USA und Europa?

In den USA haben wir meiner Meinung nach den Höhepunkt des Automobilaufschwungs erreicht. Das heißt für 2015: nur noch verlangsamtes Marktwachstum bis hin zur Stagnation auf hohem Niveau. In konkreten Zahlen ausgedrückt: 16 bis 16,5 Millionen Neuzulassungen. In Europa wird sich die Erholung indes fortsetzen - vorausgesetzt, die Eurokrise spitzt sich nicht erneut zu und drückt aufs Gemüt. Bleiben größere konjunkturelle Störfeuer aus, könnte es sogar sein, dass der europäische Markt 2015 der am stärksten wachsende der großen drei Absatzmärkte ist. Der Grund: Der Nachholbedarf ist riesig. Ein weiteres Krisenjahr ist aber auch denkbar.

Bleibt noch Deutschland. Was ist hierzulande zu erwarten?

In Deutschland rechne ich auch mit einer Stagnation bei um die drei Millionen Neuzulassungen. Neue attraktive Modelle unisono bei allen Herstellern sowie steigende Beschäftigung und höhere Realeinkommen sind eigentlich eine schöne Begleitmusik für den Automarkt.

2014 haben vor allem die Schwellenländer geschwächelt - allen voran Brasilien und Russland. Ist da mit einer Trendwende zu rechnen?

Nein, eine Trendwende sehe ich bei diesen Märkten nicht. Russland wird eher damit zu kämpfen haben, selbst das niedrige Niveau 2014 wieder erreichen zu können. Zur Erinnerung: 2014 ist der russische Markt um fast 30 Prozent auf etwa zwei Millionen Neuzulassungen eingebrochen. Russland hat enorm Federn gelassen und mit einer Besserung ist vermutlich - wenn überhaupt - erst zum Jahresende hin zu rechnen, falls sich die politische Lage bis dahin etwas beruhigt hat und Vernunft eingekehrt ist.

Welche Rolle spielt 2015 der deutlich gefallene Ölpreis? Wer profitiert, wer verliert dabei?

Insgesamt kann man davon ausgehen, dass durch den Preisrückgang die Welt einen Einkommenszuwachs von fast rund 500 Milliarden Dollar haben wird, zumindest die Verbraucherländer mit den hohen Konsumquoten. Vereinfacht heißt das: Die Produktionskosten im Westen sinken, umgekehrt steigt dadurch die Kaufkraft. Von diesem Wachstums- und Konsumschub könnte natürlich auch insgesamt betrachtet die Autoindustrie profitieren, mit einigen Ausnahmen versteht sich. So geht beispielsweise der Anreiz ein Elektroauto zu kaufen bei den derzeitigen Kraftstoffpreisen an den Tankstellen nahezu gegen Null. Anderseits sind in den USA die schweren Geländewagen wieder trendy.

Tesla
Tesla 296,55

Für Tesla bedeutet das nichts Gutes …

Genau! Tesla wird einer der Verlierer dieses Jahres sein. Allerdings kommt das nicht so überraschend, das hat sich für Experten vielmehr schon 2014 abgezeichnet - siehe Aktienkurs. Überraschend ist eigentlich nur, wie lange sich der Irrglaube hält, ein Voll-Elektroauto auf reiner Batteriebasis - wohlgemerkt nicht die Hybrid-Versionen der gemischten Antriebe - hätten eine Zukunft.

Zurück zu etwas Positivem: Was kann man 2015 von den deutschen Herstellern erwarten?

Die werden ihren Erfolgskurs zweifelsfrei fortsetzen können.

Gibt es Unterschiede zwischen Massen- und Premiumherstellern?

Auf dem Premiumsektor werden wir einen noch schärferen Wettbewerb zwischen den großen Drei, also Audi, BMW und Daimler haben als bisher. Dabei wird Daimler mit seiner unglaublichen Produktoffensive weiter die Pace machen, angetrieben von zahlreichen neuen Modellen und Motoren, die in diesem und in den kommenden Jahren an den Start gehen werden. Audi und BMW sind deshalb gefordert und müssen sich anstrengen, ihre Spitzenpositionen vor Daimler zu halten und zu verteidigen. Das dürfte aber kaum gelingen. Ich gehe davon aus, dass Daimler mit Marktanteil- und Renommee-Zuwächsen 2015 einer der Gewinner des Jahres sein wird. Aber: BMW bleibt dennoch im Premiummarkt auch 2015 der Platzhirsch!

Und bei den Volumenherstellern wie VW?

Volkswagen hat wichtige personelle Veränderungen vorgenommen, in dem es beispielsweise Herbert Diess von BMW abgeworben hat und ihn als Markenchef implantieren wird. Nur: Wenn Köpfe rollen, heißt das noch lange nicht, dass auch mehr Fahrzeuge von den Bändern rollen (lacht). Aber VW ist eine Welt für sich und wird seinen grundsoliden Kurs weiter fortsetzen können, was auch heißt, dass sie weiter an der Kostenschraube drehen werden, um bei der Rendite näher an den Weltmarktführer Toyota heranzurücken.

Kann der VW-Konzern nach dem Kopf-an-Kopf-Rennen im vergangenen Jahr bereits 2015 Toyota beim weltweiten Absatz vom Thron stoßen?

Kann, muss aber nicht, denn weder Toyota noch VW haben das selbst in der Hand. Vielmehr hängt das von der Entwicklung der Hauptabsatzmärkte ab. Für VW ist das China, für Toyota die USA. Solange VW in den USA nur am Rande existent ist, solange wird es schwierig werden, Toyota zu überholen. Das lässt auch 2015 einen spannenden Kampf um die Weltmarktführerschaft erwarten.

Was machen die chinesischen Hersteller? Greifen sie doch noch den europäischen Markt an?

Nein. Ich wüsste auch nicht mit was. Zuerst einmal müssen sie ihre Hausaufgaben machen und versuchen, auf dem Heimatmarkt eine starke Position aufzubauen. Solange das aber nicht der Fall ist, und die Chinesen aus gutem Grund selber keine Autos ihrer eigenen Konzerne kaufen wollen, solange haben die Hersteller auf dem Weltmarkt nicht den Hauch einer Chance.

Apropos fehlender Durchbruch, Sie hatten es bereits angerissen: Auf die Hersteller von Elektroautos wartet ein hartes Jahr. Was halten sie denn von dem Vorschlag eines "E-Soli"?

Eine Schnapsidee, die zu Recht sehr schnell wieder im Grab der unfrisierten Gedanken verschwunden ist. Wenn schon Soli, dann besser einen I-Soli zur Reparatur der maroden Verkehrsinfrastruktur, in die jährlich zig Milliarden investiert werden müssten, die der Staat nicht hat. Auch das Gehampel um die Ausländermaut könnte man sich dann sparen. Mein Vorschlag an Herrn Schäuble wäre, die Gunst der niedrigen Mineralölpreise zu einer Anhebung der Mineralölsteuer als Infrastrukturabgabe zu nutzen. Die niedrigen Preise an der Zapfsäule wären dafür gerade recht!

Eine Zahl noch: 2014 wurden mehr als 63 Millionen Autos weltweit zurückgerufen. Beachtlich, wenn man bedenkt, dass die weltweiten Neuzulassungen bei rund 75 Millionen lagen. War 2014 einfach nur ein negativer Ausreißer was Rückrufe betrifft oder müssen sich die Autokäufer künftig auf mehr ungewollte Werkstattbesuche einstellen?

Nein, müssen sie nicht! Sie müssen einfach nur Autos aus Deutschland oder Autos deutscher Hersteller - wo auch immer weltweit gebaut - kaufen. Dann sind sie halbwegs auf der sicheren Seite. Merke: Die Schweizer haben die Kräuterbonbons erfunden, die Deutschen das Automobil. Hoch lebe die deutsche Qualität - die deutschen Hersteller sollten sich nur nicht durch amerikanische Kostensenkungshysterie verrückt machen lassen. Das wäre mein Wunsch für 2015!

Mit Helmut Becker sprach Thomas Badtke

Quelle: ntv.de

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