Die Kanzlerin lädt zum Gipfel Das taugt Merkels Wohnungsoffensive
21.09.2018, 10:31 Uhr
Die Lösungsvorschläge der großen Koalition gegen den Wohnraummangel sind ausbaufähig, sagen Kritiker.
(Foto: picture alliance / dpa)
In deutschen Großstädten fehlen Millionen Wohnungen. Besonders Geringverdiener finden kaum noch eine bezahlbare Bleibe. Reichen die Lösungen, die Angela Merkel beim Wohngipfel präsentieren will?
Wer in letzter Zeit versucht hat, in München, Berlin oder Hamburg eine Wohnung zu finden, weiß: In deutschen Metropolen wird es eng. In einem Drittel aller deutschen Städte und Kreise fehlt Wohnraum, warnte das Prognos-Institut schon im vergangenen Jahr. Gleichzeitig explodieren Mieten und Immobilienpreise. Vor allem Gering- und Normalverdiener werden an den Rand verdrängt oder finden gar keine Bleibe mehr. Denn mehr als die Hälfte aller Deutschen wohnt zur Miete.
SPD-Chefin Andrea Nahles und auch CSU-Chef Horst Seehofer haben den Wohnungsmangel längst als "neue soziale Frage" erkannt. 1,5 Millionen neue Wohnungen will die große Koalition nun in dieser Legislaturperiode bauen. Dafür hat Kanzlerin Angela Merkel heute Vertreter der Immobilien- und Bauwirtschaft, der Gewerkschaften und des Mieterbunds zum Wohngipfel ins Kanzleramt geladen.
Sie muss auf die Tube drücken, wenn sie ihr selbstgestecktes Ziel noch erreichen will. 375.000 Wohnungen müssten dafür bis 2021 jährlich gebaut werden. Höchstens 300.000 werden es laut Hauptverband der Bauindustrie in diesem Jahr sein. Die Firmen arbeiten nahe der Lastgrenze.
Um den Wohnungsbau anzukurbeln, hat Merkels Mannschaft eine Reihe von Ideen. Die Union will vor allem auf Anreize für Privatinvestoren setzen. SPD, Grüne, Linke, Gewerkschaften und Mieterverbände rufen dagegen nach mehr Staat. Freier Markt oder die öffentliche Hand, wer regelt das Problem? Der Kampf gegen den Wohnungsmangel ist auch ein ideologischer Richtungsstreit zwischen dem linken und rechten politischen Lager. Ein Überblick der Lösungsvorschläge:
Die Mieten deckeln
Wegen der angespannten Wohnungsmärkte in vielen Städten haben sich Union und SPD schon 2015 zur Staatsintervention durchgerungen: der Mietpreisbremse. Kritiker wie der Mieterbund halten sie aber für einen Papiertiger, der voller Schlupflöcher ist. Zwar dürfen Vermieter in angespannten Wohnungsmärkten bei Neuvermietung höchstens zehn Prozent mehr als die ortsübliche Vergleichsmiete verlangen. Doch das gilt nicht für Neubauten oder die Vermietung nach Modernisierung. Und Hausbesitzer, die schon vor 2015 mehr als zehn Prozent über dem Mietspiegel lagen, haben Bestandsschutz.
Erst vor wenigen Tagen hat das Kabinett das Gesetz nun verschärft: Vermieter müssen bald schriftlich begründen, wenn sie über die Kappungsgrenze gehen. Tun sie das nicht, dürfen sie auch nicht mehr verlangen. Künftig dürfen sie auch nur noch acht Prozent statt wie bisher elf Prozent der Modernisierungskosten auf die Mieter abwälzen. Und insgesamt darf die Miete nicht mehr als drei Euro pro Quadratmeter steigen.
Die Grünen wollen noch weiter gehen: Sie fordern eine Modernisierungsumlage von maximal sechs Prozent der Kosten und höchsten zwei Euro pro Quadratmeter - und auch nur, wenn der Umbau das Haus klimafreundlicher, einbruchssicherer oder barriereärmer macht. So sollen Luxussanierungen verhindert werden, die Bestandsmieter verdrängen. Und die SPD will die Mieten sogar am liebsten für fünf Jahre auf Höhe der Inflationsrate einfrieren. "Damit schaffen wir eine Atempause und Zeit, um bezahlbare Wohnungen zu bauen", sagte SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel zu den Plänen.
Mehr Wohnungen bauen
Denn Angebot und Nachfrage lassen sich nur bedingt per Gesetz zügeln. Wirklich für Entspannung sorgen kann nur eins: Wenn mehr Wohnungen gebaut werden. Die Regierung will das mit einem Steuerbonus erreichen. Investoren können zusätzlich zur normalen Abschreibung für vier Jahre jährlich fünf Prozent ihrer Baukosten absetzen. Der Bonus soll für alle Bauten gelten, die bis Ende 2021 genehmigt und mindestens zehn Jahre vermietet werden. Die Baukosten dürfen nicht mehr als 3000 Euro je Quadratmeter betragen, damit vor allem Wohnungen im unteren und mittleren Segment gefördert werden.
Dem Immobilienverband GdW reichen die Anreize nicht aus: "Eine befristete Sonderabschreibung birgt die Gefahr, dass in der sowieso schon überhitzten Baukonjunktur durch die fehlenden Kapazitäten die Preise weiter steigen", sagt Verbandschef Axel Gedaschko. Lieber hätte der GdW höhere dauerhafte Abschreibungen von drei statt wie bisher zwei Prozent der Neubaukosten.
Wichtiger für neue Wohnungen wären aus Sicht der Immobilienfirmen aber "mehr bezahlbares Bauland" und schnellere Bauplanung. Beim Wohngipfel will Merkel zwar darüber reden, wie der Bund mehr Grundstücke zur Verfügung stellen und Bauverfahren beschleunigen kann. Konkrete Vorschläge gibt es aber noch nicht. Der Deutsche Städtetag ruft sogar nach einem bundesweiten Baulandfonds, der Kommunen beim Kauf von Grundstücken unterstützt.
Auch für den Staat selbst spielt die sozialverträgliche Bebauung seines Grundbesitzes bisher kaum eine Rolle. Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima) verkauft ihre Grundstücke an den Meistbietenden, um mit den Gewinnen den Haushalt zu entlasten. Zusätzlich erschwert werden neue Bauvorhaben, weil nicht etwa eine zentrale Planstelle sie genehmigt. Sondern die Baubehörden der jeweiligen Kommunen - und die sind chronisch unterbesetzt. Um den Wohnungsbau anzukurbeln sei mehr Personal nötig, fordert Verdi-Chef Frank Bsirske. Das ist bisher nicht in Sicht.
Den Gewerkschaften wäre es ohnehin lieber, der Staat würde die nötigen Wohnungen selbst bauen, statt Steuergeschenke an Investoren zu verteilen. Zwei Milliarden Euro will die Regierung laut Koalitionsvertrag bis 2021 für den sozialen Wohnungsbau ausgeben. "Um pro Jahr 80.000 Sozialwohnungen, die mindestens gebraucht werden, zu schaffen, müssen Bund und Länder zusammen über sechs Milliarden Euro investieren", kritisiert IG Bau-Chef Robert Feiger. Auch die Grünen fordern eine Aufstockung der Mittel um 500 Millionen Euro in diesem und dem kommenden Jahr sowie weitere bis zu drei Milliarden Euro jährlich zur Förderung gemeinnütziger Wohnungsunternehmen.
Den Immobilienbesitz fördern
Nicht nur Firmen, sondern auch Privatleute will die große Koalition dazu anregen, mehr zu bauen. Denn jeder, der in seine eigene, neue Bleibe zieht, macht Platz für jemand in seiner alten Wohnung. Deshalb verteilt der Staat bis Ende 2020 auch Geld an Familien, die ein Haus oder eine Wohnung neu errichten oder kaufen: 12.000 Euro pro Kind über zehn Jahre. Das Baukindergeld ist im Grunde eine Wiederauflage der Eigenheimzulage, die der Staat bis 2005 schon einmal gezahlt hat.
Kritiker attackieren die Subvention aus den gleichen Gründen wie damals: "Dadurch wird nicht eine bezahlbare Wohnung mehr geschaffen", sagt Chris Kühn, Sprecher der Grünen für Wohnungspolitik im Bundestag. "Im Gegenteil: Es wird zu massiven Mitnahmeeffekten führen und die Preise noch anheizen."
Tatsächlich dürfte das Baukindergeld in vielen Städten kaum mehr Familien dazu bewegen, neue Häuser zu bauen: In vielen Fällen deckt es wegen der hohen Preise noch nicht mal die Kaufnebenkosten ab, aber es entlastet immerhin das Budget. Und auch denen, die nur eine Bestandsimmobilie kaufen, hilft es: Sie sind nicht länger Spielball des Mietmarkts. Es dient neben der Wohnraumschaffung auch dem Schutz der Familie.
Natürlich ließe sich das auch mit weniger bürokratischem Aufwand erreichen, etwa mit höheren Kinderfreibeträgen. Und Immobilienerwerb könnte der Staat genauso gut mit einem Vorschlag von FDP-Chef Christian Lindner fördern: einem Freibetrag bei der Grunderwerbsteuer. Denn der Fiskus verdient bei jedem verkauften oder neugebauten Haus kräftig mit, in manchen Bundesländern bis zu 6,5 Prozent der Gesamtsumme. Seit 2005 hat sich das Aufkommen auf über 13 Milliarden Euro fast verdreifacht. Hauskäufer sind eine der größten Finanzquellen der Finanzminister.
Aus genau diesem Grund wird die große Koalition darüber beim Wohngipfel im Kanzleramt wohl nicht sprechen. Im Koalitionsvertrag haben sich SPD und Union lediglich auf die Worthülse geeinigt, einen Freibetrag bei der Grunderwerbsteuer zu prüfen. Und auch den Vorschlag von Grünen und SPD-Justizministerin Katarina Barley, die Maklerkosten auf die Verkäufer zu verlagern, hat Angela Merkel nicht aufgenommen. Zu viele Rentner - potentielle Wähler - dürften bis zur nächsten Wahl in 2021 ihr Haus verkaufen. Die Preise sind einfach zu gut.
Quelle: ntv.de