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Mensch unter ständigem Beschuss Antibiotika werden zur stumpfen Waffe

Protest der niedersächsischen Grünen: Antibiotika, Dioxin, Maschinenfett und Blutplasma haben in den Futtertrögen und auf den Tellern der Verbraucher nichts zu suchen.

Protest der niedersächsischen Grünen: Antibiotika, Dioxin, Maschinenfett und Blutplasma haben in den Futtertrögen und auf den Tellern der Verbraucher nichts zu suchen.

(Foto: picture alliance / dpa)

Die Verbraucher sind verunsichert, weil immer weniger Medikamente im Krankheitsfall wirken. Das Gespenst von der Antibiotika-Resistenz geht um. Schuld soll der massenhafte Einsatz von Medikamenten in der industriellen Tierproduktion sein. Obgleich das Kontrollnetz fein gesponnen ist, gibt es genügend Schlupflöcher für Produzenten mit hoher krimineller Energie.

Anfang des neuen Jahrtausends ließ eine Meldung aus den USA die Mediziner in Deutschland aufschrecken: Das Bakterium Streptococcus pneumoniae, Verursacher bakterieller Lungenentzündungen, wird zunehmend resistent gegen Antibiotika. Wissenschaftler führten dies in erster Linie auf die ausufernde Verordnung dieser Medikamente zurück. Heute wissen wir, dass auch der Einsatz von Antibiotika in der Massentierproduktion einen wesentlichen Anteil daran hat.

Dr. Edmund Haferbeck.

Dr. Edmund Haferbeck.

(Foto: PETA)

"Der Einsatz von Antibiotika weltweit geht zu über 50 Prozent in die Tiermast. Und der Trend ist nicht etwa rückläufig, wie uns staatliche Stellen klarmachen wollen", berichtet Edmund Haferbeck, der die Tierrechteorganisation PETA berät. Der Wissenschaftler verweist auf zahlreiche Studien, die belegen, dass die in der Tierhaltung eingesetzten Antibiotika durch die Nahrungskette beim Menschen angelangt sind. Die US-Wissenschaftler hatten ermittelt, dass 1995 erst elf Prozent der Bakterienproben den Makrolid-Antibiotika widerstanden, vier Jahre später waren es schon mehr als 20 Prozent und 2007 bereits 30 Prozent. Für Haferbeck ist das eine logische Entwicklung, denn der Mensch "steht unter einem ständigen Antibiotika-Einfluss", auch wenn er bewusst keine Medikamente zu sich nimmt.

Die in der Tierproduktion eingesetzten Arzneimittel sollen laut Gesetz nur zur Behandlung von Krankheiten verwendet werden. Seit 2005 sind Antibiotika als Leistungsförderer verboten. In der Praxis werden sie aber weiter verabreicht, um Mastzeiten zu verkürzen und Verlustrisiken zu mindern. Hintergrund ist, dass auch leicht erkrankte oder bakteriell belastete Tiere langsamer wachsen als völlig gesunde. Der Produzent setzt mit der Prophylaxe also klar auf ein leistungsförderndes Prinzip. Das ist zwar verboten, wird aber dennoch praktiziert. "Weltweit werden jedes Jahr Millionen Tonnen von Antibiotika eingesetzt", klagt Haferbeck im Gespräch mit n-tv.de. "Damit ist die industrielle Massentierhaltung für die Pharma-Industrie einer der wichtigsten Märkte weltweit."

Kontrolle nur theoretisch möglich

Prof. Dr. Thomas Heberer.

Prof. Dr. Thomas Heberer.

(Foto: BVL)

Das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) will das so nicht stehen lassen. "Antibiotika zur Prophylaxe ist zumindest für Deutschland und die EU längst Geschichte", stellt Thomas Heberer, Abteilungsleiter im BVL, bei n-tv.de klar. "Wir haben hier Gesetze, die die Medikamentengabe streng auf die Behandlung von Krankheiten begrenzen." Die Einhaltung des Verbots werde sogar doppelt kontrolliert: Einerseits sind Antibiotika nicht mehr frei verkäuflich, Landwirte sind also auf die Befunde und die Entscheidung der Tierärzte angewiesen. "Vom Tierarzt wird ein Antibiogramm gefordert, zum Nachweis, welches Antibiotikum und warum eingesetzt werden soll. Andererseits werden auch die Tierärzte selbst überprüft. So werden die tierärztlichen Hausapothekten behördlicherseits überwacht. Das liegt in der Hoheit der einzelnen Bundesländer", so Heberer.

PETA-Berater Haferbeck gibt seinem Kollegen vom BVL insofern recht, dass zahlreiche Richtlinien erlassen wurden und eigentlich niemand mehr schalten und walten können sollte wie noch in den 90er Jahren. Aber das sei eben alles nur Theorie, die Praxis sehe anders aus.

Ohne Antibiotika würden die zu Tausenden eng zusammengepferchten Tiere nicht bis zum Ende ihrer Mastzeit überleben.

Ohne Antibiotika würden die zu Tausenden eng zusammengepferchten Tiere nicht bis zum Ende ihrer Mastzeit überleben.

(Foto: picture alliance / dpa)

"Tatsächlich gibt es keine höhere Stelle oder Behörde, bei der die Tierärzte über den Einkauf ihrer Medikamente Rechenschaft ablegen müssen. Diese Leute haben allein auf Grund ihres ärztlichen Status' die Möglichkeit, ohne Einschränkungen solche Antibiotika einzukaufen und an ihre Landwirte weiterzureichen", klagt Haferbeck. Dass die Verabreichung der Medikamente vom Tierarzt vorgenommen werde, treffe allenfalls für kleine Höfe zu. "In der Massentierhaltung obliegt das wieder dem Züchter. Die Antibiotika werden den Tieren einfach über das Trinkwasser zugeführt. Wir reden hierbei nicht von Trinkgefäßen, sondern von den Zuleitungen. Dafür sind die Anlagen in den modernen Stallungen bereits bautechnisch ausgelegt. Bei Beständen von Tausenden von Tieren wird kein Tier mehr einzelnen behandelt. Alle bekommen die gleiche Betreuung." "Die gleiche schlechte Betreuung", fügt der Wissenschaftler hinzu.

Ein Landwirt in Mecklenburg-Vorpommern, der seinen Namen in diesem Zusammenhang nicht erwähnt haben wollte, bestätigte diese Aussagen. "Was sollten Kontrollen auch bewirken? Der Tierarzt rechtfertigt sich im Zweifelsfall, er sei vom Bauern gerufen worden, weil dieser um seinen Bestand fürchte. Und der Bauer würde dann aussagen, die Beurteilung über einen Medikamenteneinsatz müsse der Tierarzt treffen – und der sei nun mal für die Gesunderhaltung des Bestandes zuständig. Da können Sie so viele Gesetze erlassen wie Sie wollen." Der Landwirt verheimlicht nicht, dass auch er Antibiotika in der Tierzucht einsetzt. Bei dem Preisdruck auf dem Markt habe er keine Wahl. Krankheitsbedingte Ausfälle seien nicht versichert und könnten seinen Hof sehr schnell ruinieren.

Sicherheitsnetz über die ganze EU

Tierquälerei wird in Deutschland als Sachbeschädigung geahndet.

Tierquälerei wird in Deutschland als Sachbeschädigung geahndet.

Tatsächlich gilt die Lebensmittelsicherheit in Deutschland als ein hohes Gut. Wie Heberer erklärt, gibt es zahlreiche Gesetze und Verordnungen, die nicht zuletzt nach jedem Lebensmittelskandal erneut auf den Prüfstand kommen. Am Ende ist die Fülle der Sicherheitsmaßnahmen auch dazu gedacht, die Verbraucher zu beruhigen und die schwarzen Schafe der Branche abzuschrecken. "Was nützen aber die besten Gesetze, wenn sie nicht überwacht werden?" Aus diesem Grunde sind Heberer und seine Kollegen daran interessiert, dass die Gesetze EU-weit einheitlich sind. "Alleingänge helfen uns nicht weiter. Wir müssen europaweit Verordnungen erlassen, beziehungsweise unsere Gesetze und die unserer Nachbarn zusammenführen."

Schon jetzt gibt es das sogenannte Rapid Alert System, auf dem in der EU alle Warnmeldungen veröffentlicht werden. Zur Gefahrenabwehr und zur Verbraucherinformation werden die Informationen an die jeweils zuständigen Landesbehörden weitergegeben.

Hauptsache, der Profit stimmt

Wenn der PETA-Berater Haferbeck von solchen Sicherheitsnetzen hört, winkt er nur ab. Er beobachtet das Geschehen schon seit 30 Jahren. Sein Spezialgebiet als Agrarwissenschaftler ist die Tierproduktion und er klagt darüber, dass "man in Deutschland nichts, was mit Nutztierhaltung zusammenhängt, im Griff hat". Er redet sogar von organisierter Kriminalität. "Hier geht es um weltweit agierende Konzerne, denen es völlig egal ist, was mit ihren Tieren passiert. Sie betrachten sie als Ware, die funktionieren muss. Da geht es um Profite, um 15 Prozent Gewinn, die aus den Tieren herausgeholt geholt werden müssen. Und da ist es völlig egal, auf welche Weise der Profit erzielt wird."

Quelle: ntv.de

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