Cannabis-Medikamente in Deutschland "Ärzte sollen entscheiden"
22.08.2010, 09:10 Uhr
Deutschland diskutiert den Einsatz von Cannabis-Medikamenten bei Schwerstkranken.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Mit dem Vorstoß der Bundesregierung, in Zukunft Schwerstkranken den Zugang zu Cannabis-Präparaten zu erleichtern, ist die Debatte um diese Medikamente neu entbrannt. Was die Änderung des Betäubungsmittelgesetzes für Patienten bedeutet, die Cannabis-Medizin benötigen, erklärt Franjo Grotenhermen, Arzt, Autor und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft "Cannabis als Medizin".
n-tv.de: In Deutschland gibt es derzeit nur wenige Menschen, die Cannabis-Medikamente vom Arzt verordnet bekommen. Die Medikamente sind teuer und schwer zu bekommen. Warum ist das so?
Franjo Grotenhermen: Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten, sich in Deutschland mit Cannabisprodukten behandeln zu lassen. Zum einen ist Dronabinol, ein psychoaktives Cannabinoid, seit 1998 in Deutschland verschreibbar. Es gibt zudem in Deutschland derzeit rund 40 Patienten mit einer Ausnahmegenehmigung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zur Verwendung von Cannabis. Solch eine Genehmigung zu bekommen, ist allerdings schwer. Ein Arzt muss gegenüber der Behörde darlegen, dass eine Behandlung mit Cannabis notwendig ist und Alternativen nicht zur Verfügung stehen. Dronabinol ist für viele Patienten nicht erschwinglich. Da es arzneinmittelrechtlich in Deutschland nicht zugelassen ist, lehnen die meisten Krankenkassen die Kostenübernahme einer Behandlung damit kategorisch ab. Aus diesem Grund ist die Ausnahmegenehmigung wichtig. Der jährliche Umsatz von Dronabinol liegt bei ungefähr 7,5 Kilogramm. Man kann also davon ausgehen, dass etwa 1000 Patienten bei einer täglichen Dosis von 10 bis 15 Milligramm in Deutschland mit Dronabinol behandelt werden. Der Großteil davon muss das Präparat aus eigener Tasche, bis zu 800 Euro im Monat bezahlen, obwohl dieses vom Arzt verordnet wird.
Was macht Dronabinol so teuer?
Dronabinol ist deshalb so teuer, weil der Umsatz so gering ist. Es ist ein Unterschied, ob Sie 1000 Patienten oder 100.000 mit einem Medikament versorgen. Zudem sind die Sicherheitskriterien, die Dronabinolhersteller in Deutschland erfüllen müssen, enorm hoch. Man muss eine bunkerähnliche Einrichtung haben, auch bei Herstellung und Aufbewahrung müssen zahlreiche Sicherheitsstandards erfüllt werden. Das puscht natürlich den Herstellungspreis in die Höhe.
Was ist das besondere an Cannabis-Präparaten?

Die Behandlung mit Cannabisprodukten ist extrem teuer.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Das Wirkungsspektrum von Dronabinol ist relativ breit. Wir haben insgesamt drei Bereiche, die sich in chronische Schmerzen, neurologische Erkrankungen und Förderung von Appetitlosigkeit und Hemmung von Übelkeit, z.B. als Unterstützung für Patienten, die sich in Chemo- oder HIV-Therapie befinden, aufteilen lassen. Hierzu gehört ebenfalls die Palliativmedizin. In allen aufgezählten Bereichen gibt es Medikamente, die aber leider nicht bei allen Patienten wirken. Dronabinol ist nicht mehr als ein weiteres Mittel, das Patienten auf ihre Wirkung hin probieren können. Zeigt Dronabinol gute Wirkung, sollte der Patient dieses Mittel auch bekommen.
Welche Nebenwirkungen können durch Dronabinol entstehen?
Es gibt zwei Bereiche. Zum einen die Wirkungen auf das Herz-Kreislauf-System. Diese können sich in Blutdruckschwankungen und Herzfrequenzsteigerungen zeigen. Vorsicht also bei schweren Herzerkrankungen. Niedrige Dosen sollten bevorzugt werden. Der zweite Bereich sind die psychischen Veränderungen. Auf diese sind ja die Cannabis-Konsumenten aus. Dazu gehören das High-Gefühl, ein verändertes Zeitgefühl, eine Veränderung der Wahrnehmung usw.
Können Cannabis-Medikamente abhängig machen?
Ja, aber das hängt von einigen Faktoren ab, wie zum Beispiel vom Alter des Patienten, von der Dosis oder von der Dauer der Einnahme. Es sollte ja prinzipiell bei allen Medikamenten so sein, dass der Arzt die Risiken und den Nutzen gegeneinander abwiegt, bevor der Patient das Medikament bekommt. Auch Schlafmittel oder Opiate tragen ein Abhängigkeitspotential in sich. Hier trägt jeder Arzt eine besondere Verantwortung.
Wie groß schätzen Sie denn das Risiko von Missbrauch von Cannabis-Medikamenten nach breiter Zulassung ein?
Genauso wie bei Schlafmitteln und anderen Medikamenten mit Abhängigkeitspotenzial kann es auch mit Cannabis-Medikamenten zu Missbrauch kommen. Ich glaube jedoch, dass er nicht größer sein wird, als mit anderen Medikamenten. Letzten Endes sind wir alle nur Menschen. Es ist dennoch falsch, aus Angst vor Missbrauch, die Patienten, die Cannabis-Medikamente wirklich brauchen, dafür bezahlen zu lassen.
Welche Auswirkungen hat der Vorstoß der schwarz-gelben Koalition für schwerkranke Patienten in Zukunft den Zugang zu Cannabis-Medikamenten zu erleichtern?
Ich halte diese Meldung für eine Irreführung. Das was die Bundesregierung gerade macht, ist die Möglichkeit zu schaffen, das pharmazeutische Unternehmen ihre Medikamente auf Cannabis-Basis zur Zulassung bringen können. Ein Beispiel: Die Zulassung für das Fertigpräparat Sativex® – einem Medikament auf Cannabisbasis, das gegen Spastik bei Multipler Sklerose zum Einsatz kommt – ist in Großbritannien und Spanien im Juni und Juli 2010 erfolgt. Kürzlich sind Anträge auf Zulassung in Frankreich, Deutschland und weiteren europäischen Ländern erfolgt. In Deutschland wird die Zulassung für 2011 erwartet. Dafür muss jedoch das Betäubungsmittelgesetz geändert werden. Diese geplante Veränderung wurde zwar mit großem Medienspektakel angekündigt. Für die meisten bedürftigen Patienten ändert sich aber gar nichts. Nur sehr wenigen von ihnen, nämlich denen, die an Multipler Sklerose mit Spastik erkrankt sind, kann ab 2011 geholfen werden.
Aufklärung ist gefragt?
Ganz genau! Ich denke, dass die Bundesregierung mit ihrem Vorstoß auf einen fahrenden Zug aufgesprungen ist. Wir, die "Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin" haben durch das Emnid-Institut eine Umfrage machen lassen, die zum Ergebnis hatte, dass mehr als 75 Prozent der Bundesbürger Cannabis-Medikamenten zustimmt. Ich glaube, dass die Bundesregierung jetzt einfach auf dieser Welle mitschwimmen will. In Wirklichkeit wird nichts gemacht, was nicht bereits in anderen europäischen Ländern geschehen ist. Die Bundesregierung schafft lediglich die Voraussetzungen dafür, dass ein Medikament auf Cannabis-Basis zugelassen werden kann. Bisher gibt es in Deutschland durch die pharmazeutischen Hersteller nur einen Antrag auf Zulassung von Sativex® für eben eine einzige Indikation, nämlich Spastik bei Multipler Sklerose.
Wie verhalten sich denn die anderen Pharma-Unternehmen?
Alle Pharmaunternehmen forschen mit Cannabis-Medikamenten, weil die Einsatzmöglichkeiten so breit sind. Allerdings geht es immer um die Kosten-Nutzen-Rechnung. Der Sativex®-Hersteller hat da eine mutige Vorreiterrolle. Er hat es schließlich nach zehn Jahren geschafft, eine Zulassung zu erreichen. Größere Firmen suchen jedoch mehr nach synthetischen Substanzen, die es in der Natur nicht gibt, die man auch patentieren lassen kann und die ein anderes Wirkspektrum aufweisen. Ich glaube trotzdem, dass es in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren eine Reihe von wirksamen Medikamenten auf Cannabis-Basis auf dem Markt geben wird.
Was wünschen Sie sich ganz persönlich in Bezug auf Cannabis-Medikamente?
Ich wünsche mir, dass Deutschland einen sinnvollen und einfachen Weg findet, um die Kriminalisierung von Patienten, die von Cannabis profitieren, zu beenden. Das bedeutet, ein Modell wie in Kanada einzuführen. Bedürftige Patienten sollen mit der Unterstützung ihres Arztes eine Ausnahmegenehmigung bekommen, die ihnen erlaubt, Cannabis-Medikamente einzunehmen. Das ist in Deutschland derzeit mit einem riesigen Aufwand nötig, dem die meisten schwerkranken Menschen nicht gewachsen sind. Des Weiteren sollten die Krankenkassen die Kosten für Dronabinol übernehmen, sobald ein Arzt die Notwendigkeit der Einnahme dieses Medikaments begründet. Letztlich darf es weder die Entscheidung einer Behörde noch einer Krankenkasse sein, ob der Patient Cannabis-Medikamente bekommt, sondern die Entscheidung des Arztes.
Mit Franjo Grotenhermen sprach Jana Zeh
Quelle: ntv.de