520 Tage in der Isolation "Choleriker sind nicht an Bord"
03.06.2010, 10:58 Uhr
ESA-Spezialist Diego Urbani (r.) aus Italien und Militärarzt Alexei Smolejewsky (l.) aus Russland beim Training auf nachgebautem Marsboden im Institut für biomedizinische Probleme in Moskau.
(Foto: picture alliance / dpa)
In Moskau beginnt das bislang längste Raumfahrtexperiment Mars 500. Für 520 Tage werden sechs Ausgewählte den Flug zum Mars simulieren. Dr. Peter Preu, Leiter der Abteilung Forschung unter Weltraumbedingungen beim Deutschen Zentrum für Luft-und Raumfahrt (DLR) in Bonn, erklärt die Besonderheiten dieses Langzeitexperiments.
n-tv.de: Welche Herausforderungen kommen bei dieser extrem langen Zeit auf die Raumfahrer zu?
Peter Preu: Die sechs "Raumfahrer " haben die Aufgabe, sowohl die körperlichen, aber vor allem auch die psychologischen Anstrengungen einer solchen Langszeitsimulation so gut wie möglich zu überstehen.
Nach welchen Kriterien wurden denn die Probanden ausgewählt?
Grundvoraussetzung waren ein Medizin- oder Ingenieurstudium, Fremdsprachenkenntnisse und vor allem medizinische Gesundheit und körperliche Fitness. Zum anderen wurden in psychologischen Tests spezielle Verhaltensmuster abgefragt, die für ein reibungsloses Leben auf engstem Raum über den langen Zeitraum von 520 Tagen hinweg enorm wichtig sind. Einfach ausgedrückt bedeutet das, dass die Raumfahrer von ihrer Mentalität her eher friedvoll sein sollten und keine schnell aufbrausenden Choleriker. Letztlich ausgewählt wurden sechs Teilnehmer, davon zwei Westeuropäer aus Frankreich und Italien, drei Russen und ein Chinese, also eine wirklich internationale Mannschaft.
Werden die Raumfahrer während ihres Simulationsfluges auch mit Schwerelosigkeit konfrontiert sein?
Die Simulation wird insgesamt unter sehr realen Bedingungen durchgeführt, allerdings kann Schwerelosigkeit auf der Erde nur für kurze Zeit realisert werden, zum Beispiel für fünf Sekunden im Fallturm in Bremen.
520 Tage zu sechst auf 180 Quadratmetern ohne Sonne, ohne Freunde und Familie. Was bedeutet das für die Raumfahrer?

Während der Anprobe der Raumanzüge. Auch ohne Schwerelosigkeit kommen diese zum Einsatz.
(Foto: picture alliance / dpa)
Erst einmal bedeutet es Verzicht und die Bereitschaft dazu. Diese Entscheidung ist sehr individuell. Jeder kann die Folgen der Entbehrungen während des Experiments nur mit sich selbst ausmachen. Bei den Auswahltests wurde auf diesen psychologischen Extrembereich sehr großen Wert gelegt. Die ausgewählten Probanden haben letztlich am besten dabei abgeschlossen.
Wie haben sich denn die sechs ausgewählten Raumfahrer auf diese extreme Zeit vorbereitet?
Die Auswahl ist von September 2009 bis Ende 2009 erfolgt. Die ausgewählten Probanden und ihre Ersatzleute sind nach Moskau eingeladen worden und mussten sich hier einem ausgiebigen Vorbereitungsprogramm unterziehen. Die sechs Personen, die es bis zum Schluss geschafft haben, mussten dann vieles gemeinsam machen, wie zum Beispiel Abenteuerausflüge, um ein Team zu bilden. Das gruppendynamische Verhalten ist für den Erfolg des gesamten Experiments von immenser Bedeutung.
Für simulierte Außeneinsätze wurde auch eine Marslandschaft in Moskau gebaut. Wie sollen denn die Außeneinsätze aussehen?

Das Vorgänger-Experiment 2009 dauerte 105 Tage. Mit dabei war der Deutsche Oliver Knickel.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Während der gesamten Dauer des Experiments wird der Flug zum Mars so realistisch wie möglich nachgestellt. Ein Flug bis zu unserem Nachbarplaneten dauert etwa 240 bis 245 Tage. Danach wird die Mannschaft - wie auch in einem realen Flug - aufgeteilt in zwei Dreiergruppen. Die eine Gruppe bleibt im Orbiter und der andere Teil der Mannschaft bereitet sich auf die Landung auf dem Mars vor. Drei Probanden verlassen das Raumschiff und gehen in Raumanzügen auf die extra für diesen Zweck aufgebaute Marsoberfläche, um dort beispielsweise bestimmte Proben zu nehmen. Nach ungefähr drei Wochen wird die Arbeit auf dem Mars abgeschlossen sein und die Raumfahrer treten die Heimreise zur Erde an.
Frühestens 2030 soll es zu einem Flug zum Mars kommen. Inwieweit hängen die Ergebnisse mit diesem Vorhaben zusammen?
Planungen sind so eine Sache. Tatsächlich kann man aber davon ausgehen, dass eine so große Mission technisch und von der Umsetzbarkeit her erst in 20 bis 30 Jahren realisierbar ist. Konkrete Planungen einer bemannten Mission zum Mars gibt es meines Wissens bisher nicht. Es ist klar, dass ein solches Unternehmen nur in internationaler Kooperation durchführbar ist, denn die technischen und finanziellen Herausforderungen sind enorm.
Können Sie sich vorstellen, welche Motivationen die Raumfahrer haben, sich an diesem Isolationsexperiment zu beteiligen?

Nur drei Quadratmeter Intimsphäre stehen jedem Versuchsteilnehmer bereit.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Ich denke, die Probanden sind in gewisser Weise mit Extremsportlern vergleichbar. Alle werden eine gewisse Lust am Extrem haben und das Experiment als eine Art sportlichen Wettkampf des Durchhaltens bis zum Schluss sehen. Dazu kommt das Interesse an den Forschungsergebnissen. In der Gruppe selbst gibt es zwei Mediziner. Ich kann mir vorstellen, dass deren Augenmerk sehr auf den medizinischen Ergebnissen liegen wird. Die besonderen Bedingungen während des simulierten Marsfluges schaffen extrem kontrollierte Bedingungen sowohl für medizinische als auch für psychologische Experimente. Diese sind in ihrer Durchführung einzigartig.
Können Sie Genaueres zu den Experimenten sagen?
Insgesamt werden während der Marsmission über 100 Experimente durchgeführt. Elf Experimente kommen von deutschen Wissenschaftlern. Die Ergebnisse werden in großem Maß den Menschen auf der Erde zugute kommen. Ein Experiment beschäftigt sich beispielsweise mit dem Zusammenhang zwischen dem Blutdruck und dem Salzgehalt der Nahrung. Während dieser langen Simulation kann man so gut wie sonst nie in einem Experiment einen unmittelbaren Zusammenhang feststellen. Die Deutsche Raumfahrt-Agentur DLR fördert das Projekt Mars 500 mit finanziellen Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie aus ihrem nationalen und und ihrem ESA-Programm.
Werden die sechs Raumfahrer in den gleichen Räumlichkeiten wie bei dem Experiment 2009 zum Mars geschickt?
Prinzipiell ja. Es wurden aber zahlreiche technische Verbesserungen in Moskau durchgeführt. Die Ergebnisse aus der Studie von 2009, als die Probanden 105 Tage isoliert waren, wurden dazu genutzt, die Räumlichkeiten für die Marsmission zu optimieren.
Quelle: ntv.de, Mit Peter Preu sprach Jana Zeh