Biodiesel-Boom Der Killer im Regenwald
16.07.2007, 15:24 Uhr"Suki, lass das!", schimpft die Aufseherin, aber das Orang-Utan-Baby denkt gar nicht dran. In aller Seelenruhe pflückt es den Korb auseinander, den jemand mühsam in der Baumkrone befestigt hat, für Bananen und andere Leckereien. Suki zupft und zerrt - alles schön hoch, wo niemand so schnell dran kommt - bis das Teil zerfleddert auf den Boden fällt. Dann lacht sie. Oder etwa nicht? Ein Orang-Utan aus der Nähe betrachtet hat derart menschliche Züge, dass sich ein Mensch schnell als Seelenverwandter fühlt. Kein Wunder - Orang Utans und Menschen haben 97 Prozent der gleichen DNA.
Monatlich 50 Orang-Utans getötet
Niedlich sieht das aus, wie Suki da im Baum herumtollt, doch der Schein trügt. Die kleine Affendame ist in Gefahr, in Lebensgefahr. Orang-Utan-Schützer auf Borneo in Indonesien schlagen immer lauter Alarm. Die Palmölplantagen, die Dank des Biodieselbooms in Deutschland und anderen Ländern aus dem Boden schießen, sind für die Orang-Utans echte Killer, sagt Lone Nielsen, die in der Nähe von Palangkaraya in Kalimantan, dem indonesischen Teil Borneos, eine Auffangstation aufgebaut hat. "Das ist die Nummer-Eins-Bedrohung für diese Tiere." Das neue indonesische Zentrum für Orang-Utan-Schutz (COP) hat gerade einen verzweifelten Aufruf an die indonesische Regierung gerichtet: "Jeden Tag werden in Zentral-Kalimantan 30 Hektar Regenwald abgeholzt. Dabei werden im Monat 50 Orang-Utans getötet", sagt Direktor Hardi Baktiantoro. "Stoppt den Kahlschlag!"
Das Orang-Utan-Baby Suki, das mit seinem hellroten zotteligen Fell so aussieht, als sei es geradewegs aus dem Katalog mit Kuscheltieren entstiegen, schwingt derweil in der schwülen Hitze gelangweilt auf einem Übungsbaum in der Orang-Utan-Auffangstation herum. Die kleine Äffin, vermutlich gut ein Jahr alt, wurde ein paar Autostunden von hier in einer Palmöl-Plantage gefunden, neben ihrer Mutter, die nach einem Gewehrschuss verblutet war. Die Orang-Utans gelten den Plantagenbesitzern als Pest, weil sie sich über die lukrativen Früchte hermachen. Oft werden die Tiere einfach abgeknallt. Bei den Kleinen geht dem einen oder anderen Plantagenwachmann dann doch das Herz auf. "Sie rufen uns an, dann holen wir die Tiere ab", sagt Nielsen.
Fünf, zehn, manchmal noch mehr Tiere kommen jeden Monat an. Im Moment kann Nielsen aber keinen Orang-Utan über fünf Jahren mehr aufnehmen. Mit gut 600 Tieren ist ihr Terrain von 62 Hektar schon überbelegt. Eigentlich soll die Auffangstation ein Durchgangslager sein. Nielsen und ihre 160 Mitarbeiter checken die Tiere auf Krankheiten und setzen sie dann bestenfalls wieder in der Wildnis aus. Die Kleinen bleiben etwas länger, werden aufgepäppelt und bekommen das Affe-Sein von Übungsleitern beigebracht. "Aber wir finden kaum noch Wildnis, um die Tiere raus zu lassen", sagt Nielsen.
Lebensraum der "Waldmenschen" abgeholzt
Die einst weiten Wälder Borneos, der natürliche Lebensraum der "Waldmenschen", wie Orang-Utans in der Übersetzung heißen, werden rücksichtslos abgeholzt, um Platz zu machen für lukrative Plantagen. Indonesien, das zusammen mit Malaysia 80 Prozent der weltweiten Palmölproduktion liefert, will ordentlich verdienen am neuen Boom. Die Pläne sind gigantisch: 5,4 Millionen Hektar waren 2004 in Indonesien mit Ölpalmen bepflanzt. Bis 2008 sollen es laut Regierungsbeschluss 8,4 Millionen Hektar sein, der größte Teil davon in Kalimantan. In drei, vier Jahren, fürchtet die Weltbank, könnte der Tieflandregenwald verschwunden sein.
"Die Europäer wollen umweltfreundlicher werden, aber viele machen sich nicht klar, dass damit die Natur in Indonesien zerstört wird", sagt Iwan Wibisono von der Umweltorganisation Worldwide Fund for Nature (WWF). Die EU will den Anteil von Biokraftstoff bis 2020 von einem auf zehn Prozent erhöhen. Pflanzliche Öle und Fette liegen in der aktuellsten indonesischen Ausfuhrstatistik nach Deutschland an zweiter Stelle hinter Bekleidung. Deutschland ist mit 800 000 Tonnen im Jahr der fünftgrößte Palmölimporteur weltweit.
"Der Lebensraum der Orang-Utans schrumpft, sie wissen nicht, wohin", sagt Nielsen. "Aus Verzweiflung machen sie sich an die Ölpalmen ran." Für die Orang-Utans ist das eigentlich kein Problem, sie finden Ölpalmen äußerst nahrhaft. Doch gibt es in den Plantagen keine Versteckmöglichkeiten. Zwischen den langen Pflanzenreihen sind sie wie Freiwild für die Aufpasser. "2004 wurde die Zahl der Orang- Utans in Borneo noch auf 47 000 geschätzt", sagt Nielsen. Wir glauben, dass es jetzt höchstens noch 30 000 sind."
Dazu gehört auch Lykke, dreieinhalb. Sein Name ist dänisch und heißt Glück, und verrät damit die Herkunft seiner "Affenmutter". Lone Nielsen (43) stammt aus Dänemark und war früher Stewardess. "Ich glaube, das hat mich bestens für die Arbeit mit den Affen vorbereitet", sagt sie. Sie kam Anfang der 90er Jahre erstmals nach Borneo und wurde "süchtig". Seit 1996 lebt sie hier. Zuerst arbeitete sie mit einer anderen "Affenmutter", Birut Galdikas, zusammen. Zwischen der Dänin und der Kanadierin mit litauischen Wurzeln, die sich seit 30 Jahren auf Borneo für Orang-Utans einsetzt, "klickte" es nicht. So setzte Nielsen ihr eigenes Programm auf, das "Nyaru Menteng Orangutan Reintroduction"-Projekt.
Lykke findet es offensichtlich ziemlich blöd, wenn Nielsen redet und erzählt. Dann ist er wie ein Kind, das Aufmerksamkeit sucht. Erst zupft er Nielsen am Haar, dann kugelt er theatralisch vor ihren Füßen herum. Und wenn sie einen Moment lang nicht guckt, haut er ab, geradewegs auf die neuen Menschenwesen zu, die hier an seiner Spielwiese ja eigentlich nichts zu suchen haben. Nielsen reagiert blitzschnell. Die Orang-Utans sind den Menschen so ähnlich, dass sie für alle möglichen Menschenkrankheiten sehr anfällig sind, vor allem für Tuberkulose, Hepatitis oder Durchfallerkrankungen. Deshalb dürfen die Tiere keinerlei Kontakt haben mit Fremden, die nicht wie ihre Mitarbeiter geimpft sind. Infizierte Tiere können nie wieder in die Wildnis zurück, weil sie dort andere anstecken könnten.
Lykke verhält sich nun wie ein übermüdetes Kind. Doch dem kindlichen Charme der Kleinen kann sich Nielsen nicht entziehen. "Sie sind meine Babys", räumt die blonde Frau ein. Sie hat zeitweise mit 16 der kleinsten und schwächsten in Kinderbetten in ihrem Haus gewohnt. "Mit vier Babysittern", wie sie sagt.
Vor der Nachtruhe sollen sich die Orang-Utans bei der abendlichen Spielstunde nochmal richtig austoben. Danach sind die meisten schon ziemlich geschafft. Nur zum Spaß sind sie nämlich nicht hier. Tagsüber ist Lernen angesagt, im Übungsdschungel. Dort zeigen Menschmenschen den Waldmenschen, wie sie Früchte, Blätter und Insekten zum Überleben finden können. Die Männer legen auch Plastikschlangen aus, um den Halbstarken, die das süße Leben in der Auffangstation gewohnt sind, Angst beizubringen.
Wenn sich einer der Orang-Utans mit seiner typischen Neugierde den vermeintlichen Schlangen nähert, springen die Helfer aufgeregt auf und ab, kreischen, hauen mit Ästen auf den Boden und rennen weg. Zunächst schauen die Orang-Utans sehr verwundert, als seien diese Menschen, die doch sonst ganz vernünftig Bananen reichen und Nester bauen, plötzlich durchgedreht. Dann machen sie aber mit, und kapieren so, das man um Schlangen besser einen großen Bogen macht.
Lykke ist noch ein bisschen faul. Der Lümmel hat wenig Lust, sich wer weiß wie weit durch den Wald zu hangeln. Er bleibt gerne in der Nähe der Fruchtkörbe, die die Helfer in die Bäume hängen. "Nun mach' schon" sagt einer, und schüttelt ein bisschen an Baumstamm, aber Lykke schwingt nur ein Ästchen weiter und wartet mit Argusaugen, bis alle weg sind und der Fruchtkorb wieder in greifbarer Nähe ist. Nest- Bauen ist eine ähnlich mühsame Sache. Warum all die Blätter und Äste zusammensuchen, wenn es doch so einfach ist, sich auf dem Boden zusammenzurollen - wie im Käfig eben. Aber das wäre in freier Wildbahn tödlich. Deshalb muss Lykke noch viel lernen.
Nielsens Rettungsstation gehört heute zur Borneo Orang-Utan Survival Foundation (BOS), einer gemeinnützigen Organisation mit mehreren Geländen auf Borneo. BOS begann Anfang der 90er Jahre mit der Aufzucht und Wiedereingliederung von verlassenen Orang-Utan- Babys. Durch die verheerenden Brände 1997 wurden plötzlich hunderte Tiere aus den verkohlten Wäldern vertrieben. Bis heute hat die Organisation mehr als 400 von ihnen wieder auf das Wildleben vorbereitet und in die Natur entlassen.
Orang-Utans gibt es nur in Asien. Sie leben auf Sumatra und Borneo. Während Nielsen mit Lykke auf der Wiese rumtollt, müssen die größeren weiter hinten auf dem Gelände in Käfigen gehalten werden. Männchen können bis zu 90 Kilogramm schwer werden und haben wenig Sinn für menschliche Zärtlichkeiten. Ein ausgewachsener Orang-Utan kann einen erwachsenen Menschen ohne weiteres von den Beinen reißen. Die Tiere sind von Natur aus Einzelgänger. Anders als andere große Affen leben sie nicht in Verbänden zusammen. Sie werden bis zu 60 Jahre alt.
An diesem Abend räumen zwei von Nielsens Helferinnen die Kleinsten in zwei Schubkarren ein. 15, 20 Tiere haben darin Platz. Sie werden zu ihrem Nachtlager gefahren - Häusern mit Käfigen - und haben offensichtlich größten Spaß bei dem Gerumpel über die Wiese. Morgen geht es wieder auf die Spielwiese, und für einige vielleicht erstmals in die richtige Affenschule, den Übungsdschungel. Dort steht dann Nest-Bauen und Nahrung-Suchen auf dem Stundenplan. Keiner will die Hoffnung aufgeben, dass diese Tiere eines Tages doch wieder in freier Wildbahn leben können.
Von Christiane Oelrich, dpa
Quelle: ntv.de