Hörstests bei Kindern Deutschland Schlusslicht
15.09.2006, 09:29 UhrJedes fünfte Kind mit Deutsch als Muttersprache kann sich im Alter von vier Jahren nach Ansicht von Experten nicht verständlich ausdrücken. Das sagte der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie Eberhard Kruse in Heidelberg. "Die Sprachprobleme haben viele Ursachen: Es gibt Kinder, die von Geburt an Probleme mit dem Essen, Schlucken, aber vor allem mit dem Fühlen von Dingen haben. Dies führt oft zu Bewegungs-und Sprachstörungen, da die Kinder weder fühlen, hören noch richtig sprechen gelernt haben", erklärte Kruse.
Wenn ein Baby vom zweiten Lebensmonat an nicht "lalle", was auf ein defektes Fühlsystem zurückzuführen sei, müssten bei Eltern die Alarmglocken klingeln. Sprachprobleme hätten nichts mit sonstigen körperlichen Fehlbildungen zu tun. Vielen Kindern mit Kommunikationsproblemen könnte jedoch bei einer rechtzeitigen Diagnose geholfen werden, sagte Kruse.
"Wir führen alleine am Uniklinikum Heidelberg jährlich fast 2.000 ausführliche Sprachuntersuchungen mit Hörtests für Kinder unter zehn Jahren durch. Vielen kann durch Spezialtherapien geholfen werden, um vor allem bei der Einschulung keine weiteren Verständigungsprobleme zu haben", sagte die Heidelberger Medizinerin Ute Pröschel. Dennoch liege der Anteil von Erstklässlern mit Sprachdefiziten bei etwa 15 Prozent, führte Pröschel weiter aus. "Mit steigender Tendenz, wie wir im Arbeitsalltag beobachten müssen."
Eltern sollten deshalb mit ihren Kindern so viel reden, vorlesen, singen und spielen wie möglich, auch wenn der Nachwuchs keine Verständigungsschwierigkeiten habe, rät die Ärztin. Auch das Auswendiglernen von Reimen und Spiele wie "Koffer packen" stärkten die Fühl-und Sprechkompetenz der Kleinen. Die Kommunikationsprobleme seien nicht auf soziale Faktoren zurückzuführen.
Als "absoluten Skandal" bezeichneten es Kruse und Pröschel, dass es in Deutschland bisher nicht flächendeckende Hörtests bei Neugeborenen gebe. "Die gesetzlichen Krankenkassen sperren sich immer noch dagegen, die wichtigen Hörtests nach der Geburt zu übernehmen. Diese kosten pro Kind etwa 13 Euro", sagte Kruse.
Bei Frühchen liege der Anteil von Babys mit Hörschäden bei etwa zwei Prozent, bei normal geborenen und gesunden Kindern bei 0,1 Prozent. Trotzdem könne den Kindern bei einer rechtzeitigen Diagnose "für das gesamte Leben" geholfen werden, da sich die menschliche Sprache in den ersten drei Lebensjahren entwickle und bei vielen Kindern Hörprobleme erst danach festgestellt würden. Deutschland sei bei den Hörtests "unter den zivilisierten Ländern ein absolutes Schlusslicht".
Quelle: ntv.de