Wissen

Leck mich! Diagnose per Speicheltest

Mit unklaren Beschwerden kommt ein Patient in die Praxis. Er spricht mit dem Arzt, dann geht es ins Labor. Dort kommen aber nicht Spritze und Nadel für die Blutentnahme zum Einsatz, die Arzthelferin hält nur einen kleinen Teststreifen bereit. Einmal drüber geleckt - schon ist die Untersuchung beendet. Der Rest läuft ganz von alleine. Kurze Zeit später kann der Arzt das Ergebnis der Speichel-Untersuchung ablesen und dem Patienten die Diagnose mitteilen.

Konkurrenz für den Bluttest

Vielleicht sieht er so aus, der Arztbesuch der Zukunft. Immer mehr Wissenschaftler glauben jedenfalls, dass in der Spucke mehr steckt, als bislang angenommen. Über kurz oder lang werde Speichel dem Blut Konkurrenz machen, wenn es um die Diagnose von Krankheiten geht, glauben Experten. Dann sollen nicht nur Karies und andere zahnmedizinische Krankheiten, sondern auch Krebs, Herz-Kreislauf-Krankheiten oder Stoffwechselstörungen wie Diabetes in der Spucke nachgewiesen werden.

Schnell, einfach, schmerzlos

Die Vorteile liegen auf der Hand: Die Entnahme von Speichelproben ist schnell, einfach, schmerzlos und kostengünstig. Lagerung und Transport von Speichelproben sind ebenfalls unkompliziert. In der Kriminalistik ist Speichel bereits heute von unschätzbarem Wert. Aufrufe an bestimmte Bevölkerungsgruppen, sich auf der Jagd nach einem Schwerverbrecher freiwillig zum Speicheltest zu melden, sind längst keine Seltenheit mehr und nicht wenige Täter sind mit Hilfe einer Speichelprobe bereits dingfest gemacht worden. Auch im Sport bei der Dopinganalyse, beim Nachweis von Drogen oder zur Bestimmung von Hormonwerten ist die Speichelanalyse etabliert.

Krankheitsspuren

Und wie zahlreiche wissenschaftliche Studien der vergangenen Jahre zeigen, lassen sich im Speichel auch Spuren verschiedenster Erkrankungen finden. Grundsätzlich möglich ist das, weil die meisten Eiweiße im Blut, die Hinweise auf Erkrankungen geben, auch in den Speichel übergehen. "Außerdem werden direkt in den Speicheldrüsen zahlreiche Eiweiße mit wichtigen Funktionen hergestellt", ergänzt Stefan Ruhl, der seine Untersuchungen zu Speichelproteinen vor kurzem von der Universität Regensburg ins US-amerikanische Buffalo verlagert hat.

"Fast alles, was man im Blut messen kann, kann man auch im Speichel messen", erklärt denn auch David Wong von der School of Dentistry an der University of California. Er ist einer der führenden Wissenschaftler auf dem Gebiet. Die Eiweiße seien im Speichel zwar meist in kleinerer Menge vorhanden als im Blut, dank der hochempfindlichen Diagnose-Systeme bereite dies jedoch heute grundsätzlich aber keine Probleme mehr, schreibt er im "Journal of the American Dental Association".

Suche nach Mundkrebs

Wong und seine Mitarbeiter haben sich unter anderem mit der Diagnose von Mundkrebs beschäftigt. Indem sie Speichelproben von Gesunden mit solchen von Krebspatienten verglichen, ermittelten sie vier Gene, die auf Krebs hinweisen. Genau genommen wiesen die Forscher im Speichel nicht die Erbanlagen selbst nach, sondern nur deren Botenmoleküle. Diese mRNA ist an der Übersetzung der Gen-Information in Proteine beteiligt.

Mit Hilfe dieser sogenannten RNA-Marker konnten die Wissenschaftler anschließend zuverlässig Krebspatienten aus einer größeren Gruppe von Versuchspersonen herausfiltern. Die Genauigkeit der Vorhersage betrug den Forschern zufolge 91 Prozent. Damit schnitten die Speichel-Marker im Bezug auf die Treffsicherheit sogar etwas besser ab als vergleichbare Marker im Blut, schreibt Wong.

Hilfe bei der Früherkennung

Auch der Nachweis von Bakterien im Speichel könnte künftig bei der Früherkennung von Mundkrebs helfen, berichtet eine Forschergruppe vom Forsyth Institute und dem Dana Farber Cancer Institute im "Journal of Translational Medicine". Die Wissenschaftler identifizierten drei Bakterienarten, die mit 80-prozentiger Genauigkeit auf eine Mundkrebserkrankung hinweisen. Derzeit wird Mundkrebs häufig erst spät entdeckt, was die Überlebenschancen senkt. Doch auch Tumore anderer Körperregionen könnten sich im Mundraum verraten. Brustkrebs zum Beispiel. Der US-Forscher Charles Streckfus von der University of Texas Dental Branch in Houston (US-Staat Texas) identifizierte im Speichel von Brustkrebspatientinnen den Tumormarker "c-erbB-2". Möglicherweise lasse dieser sich in der Früherkennung oder auch in der Nachsorge als Warnsignal einsetzen.

Streckfus zufolge sei dabei künftig vor allem der Zahnarzt gefragt. "Der Zahnarzt ist in der perfekten Position, um während einer Routineuntersuchung oder einer Behandlung eine Speichelprobe zu nehmen und sich abhängig vom Ergebnis wieder mit der Patientin in Verbindung zu setzen", schreibt er im Journal "General Dentistry". In der Zahnheilkunde hofft man vor allem auch auf brauchbare Tests zur Diagnose von Karies und Paradontitis. Aber, was alle diese Studien derzeit gemein haben: Ihre Ergebnisse sind noch nicht in einen anwendbaren Test umgesetzt. "Damit die Verfahren Marktreife erlangen, muss jetzt erst mal nachgewiesen werden, dass die Ergebnisse wirklich stichhaltig sind und auch reproduzierbar eingesetzt werden können", sagt Stefan Ruhl von der School of Dental Medicine der Universität Buffalo.

Suche nach der zuverlässigen Diagnose

Eine Schwierigkeit der Speichelanalytik: Der Speichelfluss schwankt. Aufregung und Angst etwa lassen den Mund trocken werden. Bestimmte Gerüche regen den Speichelfluss an. Damit schwankt auch die Menge der in der Spucke enthaltenen Proteine - und der möglichen Markerstoffe. Um trotzdem eine zuverlässige Diagnose möglich zu machen, wollen die Speichel-Forscher nun erst einmal jene Inhaltsstoffe aufspüren, deren Konzentration stabil bleibt.

Dieser Aufgabe widmet sich vor allem das "Speichel-Proteom-Projekt", ein Zusammenschluss von US-Forschern. Sie wollen sämtliche Speichel-Proteine (das Speichel-Proteom) identifizieren, katalogisieren und in einer Datenbank zugänglich machen. Zusätzlich zur Speichel-Analyse Gesunder soll auch das Proteom verschiedener Patientengruppen bestimmt werden. Auf diese Weise wollen die Forscher systematisch Markermoleküle identifizieren, die sich womöglich einst zur Diagnose der Krankheiten einsetzen lassen. Das Projekt wird von den US-Gesundheitsbehörden (NIH) mit zehn Millionen US-Dollar gefördert.

"Da steckt viel Druck dahinter"

"Da steckt derzeit viel Druck hinter", sagt Stefan Ruhl, der während seiner Zeit in Regensburg ebenfalls an einer Kartierung des Proteoms einzelner Drüsensekrete gearbeitet hat. "Viele Firmen sind daran interessiert, die Ergebnisse in marktfähige Produkte umzusetzen." Dennoch: Die Präzision der Blutanalyse werde die Speichelanalyse vermutlich nicht erreichen. "Vielleicht kommen einige Tests dabei heraus, die dann irgendwann vielleicht auch mal zu Selbsttests für zu Hause weiterentwickelt werden, ähnlich wie ein Schwangerschaftstest."

In den USA ist ein derart einfacher Speicheltest bereits seit 2004 zur Diagnose des Aidsvirus HIV zugelassen. Bislang wird der Test noch von speziellen Labors ausgewertet, über eine Zulassung als Heimtest wird beraten. Mit dem Verfahren erhalten Probanden das Ergebnis bereits nach 20 Minuten - und nicht erst nach zwei bis zehn Tagen. Auch in Großbritannien ist ein HIV-Speicheltest zugelassen. Kritiker warnen allerdings davor, HIV-Tests alleine vorzunehmen: Ein positives Resultat kann verheerende psychische Folgen haben.

Treffsicherheit noch nicht ausreichend

Auch aus anderen Gründen sind diese Tests umstritten. Ihre Treffsicherheit ist Experten zufolge nicht so gut wie die herkömmlicher Bluttests. Sie lieferten häufiger ein falsch positives Ergebnis, das heißt die Betroffenen bekommen ein positives Testresultat, obwohl sie nicht infiziert sind. Positive Ergebnisse sollten deshalb unbedingt mit einem Bluttest bestätigt werden.

Dennoch kann der Test in akuten Situationen hilfreich sein, etwa vor einer Notfall-Operation, oder wenn keine ausreichende medizinische Ausrüstung für die Entnahme und Verarbeitung von Blutproben vorhanden ist. Untersuchungen haben zudem gezeigt, dass der HIV-Schnelltest dazu beiträgt, die Zahl nicht abgeholter Testergebnisse zu mindern. Damit sinkt Experten zufolge auch die Zahl derjenigen Infizierten, die unwissentlich andere Menschen anstecken.

Von Anja Garms, dpa

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen