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Partnerschaft zu dritt Er, ich und der Alkohol

Da ist diese quälende Angst: Er verbringt immer mehr Zeit in der Kneipe, und er kommt morgens immer öfter nur schwer aus dem Bett - ist er Alkoholiker? Für Millionen von Menschen in Deutschland, viele von ihnen Frauen, ist das Realität. Sie leben mit einem Alkoholkranken zusammen und sind oft völlig überfordert: Sie wollen den Partner von der Sucht abbringen und sie gleichzeitig vor dem gemeinsamen Umfeld verheimlichen - und reiben sich dabei auf. Doch wer als Angehöriger wirklich helfen will, muss egoistisch sein.

Wenn sich diese quälende Angst um den Partner oder einen anderen Angehörigen äußert, dann ist sie meist auch berechtigt, sagt Hartmut Große von der Selbsthilfegemeinschaft Al-Anon Familiengruppen in Essen. Denn viele würden es Jahre lang schaffen, Alarmsignale zu ignorieren. "Und wenn dann doch ein Verdacht aufkommt, dann sind die Anzeichen meist schon so auffällig, dass mindestens ein Alkoholproblem, wenn nicht schon eine Abhängigkeit besteht."

In einer solchen Situation ist es wichtig, den Verdacht möglichst rasch und möglichst offen anzusprechen: "Jedes Verzögern, die eigenen Zweifel zu benennen, ebnet den Weg in die Abhängigkeit und verlängert im Ernstfall die Abhängigkeit selbst", sagt Christa Merfert-Diete von der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) in Hamm.

Offensichtlich dürfte das Problem sein, wenn der Partner oder der Angehörige überzogen heftig reagiert: "Ich und Alkoholiker, du spinnst doch!" Tückisch ist nach Hartmut Großes Worten aber, dass nicht immer der Umkehrschluss gilt: "Wer sonst nie aggressiv wird, der wird auch auf solch eine Frage hin nicht aggressiv werden - und kann trotzdem ein Alkoholiker sein."

Besteht kein Zweifel mehr, können Angehörige nicht viel tun, um zu helfen - aber sie können viel falsch machen. "Alkoholismus ist eine unheilbare Krankheit, die nur durch Abstinenz zum Stillstand gebracht werden kann - und das geht nur, wenn der Alkoholiker das selbst will", erklärt Große. Die Angehörigen müssen ihm daher klipp und klar vor Augen führen, dass er sich um Hilfe kümmern muss.

Das kann bedeuten, dass sie ihm Adressen von Selbsthilfegruppen oder Suchtberatungen nennen, erläutert Marita Völker-Albers von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) in Köln. "Man sollte ihm deutlich machen: "Ich bin bereit, dich zu unterstützen!"", rät Christa Merfert-Diete. Aber es sei ebenso wichtig, von Anfang an keinen Zweifel daran zu lassen, dass die Unterstützung Grenzen hat.

Doch genau hier tappen den Experten zufolge viele in die Falle: Sie versuchen, den Menschen, der ihnen lieb ist, aus eigener Kraft vom Trinken abzubringen: durch Argumentieren, durch Flehen oder durch Drohungen, die sie am Ende nicht wahr machen. Doch fast immer läuft das ebenso ins Leere wie Versuche, den Alkoholiker zu überwachen: "Es hat keinen Zweck, den Alkohol wegzusperren", sagt Merfert-Diete.

"Ganz fatal ist es, Betroffenen bei Problemen zu helfen, die durch den Alkohol entstanden sind", warnt die DHS-Sprecherin: Wer seinen betrunkenen Partner im Büro mit einer Lügengeschichte entschuldigt, darf nicht darauf hoffen, dass er sich künftig am Riemen reißt. Im Gegenteil, für einen Alkoholiker heißt das nur, dass er sich wieder volllaufen lassen kann: Da ist ja jemand, der ihn heraushaut. "Der Betroffene muss die Konsequenzen stattdessen selbst spüren."

Ehe sich der Angehörige versieht, führt er nach Merfert-Dietes Worten eine "Beziehung zu dritt" - er, der Partner und der Alkohol. Bier, Wodka und Co. bestimmen nach und nach auch sein Leben: Wer einmal für den Partner lügt, der wird es auch ein zweites Mal tun. "Oft bleiben dann zum Beispiel die eigenen Hobbys auf der Strecke", sagt Marita Völker-Albert. "Denn dabei sitzt einem immer die Angst im Nacken: "Wenn ich zu ihm nach Hause komme, wie sieht es dort aus?""

Viele machen das bis über die Grenzen ihrer Belastbarkeit hinaus mit. Doch spätestens hier muss Schluss sein. Eine Möglichkeit ist es dann, sich Gruppen wie Al-Anon anzuschließen. "Dort geht es darum, sich selbst wiederzufinden", erklärt Große - viele Angehörigen haben verlernt, an ihre Bedürfnisse zu denken. Und wenn es gar nicht anders geht, müssen sie den Partner verlassen. Das gilt vor allem dann, wenn er gewalttätig wird - vielleicht sogar gegen die eigenen Kinder.

Gleichzeitig muss sich beim Angehörigen das Bewusstsein dafür durchsetzen, dass er an der Sucht keine Schuld trägt. "Für einen Alkoholiker sind immer die anderen Schuld", sagt Große. Immer wieder bekommen deswegen zum Beispiel die Ehefrauen zu hören: Ich halte es mit dir nicht mehr aus, mir bleibt ja nichts anderes als der Alkohol!

Derartiges an sich abprallen zu lassen und Konsequenzen zu ziehen, ist unter Umständen der einzige Weg, auch dem Abhängigen zu helfen. "Viele trockene Alkoholiker sagen, sie hätten erst aufhören können, als sie ihren Tiefpunkt erreicht hatten", sagt Große. Doch es darf nicht darauf spekuliert werden, dass etwa ein Auszug diesen Tiefpunkt herbeiführt - unter Umständen macht er die Sache nur noch schlimmer. Dann ist es doppelt wichtig, dass der Angehörige egoistisch bleibt und die Schuld nicht auf sich nimmt.

Bei aller nötigen Konsequenz und allen Ohnmachtsgefühlen zum Trotz: Angehörige dürfen die Hoffnung nicht aufgeben. "Woche für Woche treffen sich Menschen in Selbsthilfegruppen, die erfolgreich gemeinsam gegen den Alkohol gekämpft haben", sagt Christa Merfert-Diete. Und noch etwas ist nach Angaben der BZgA von zentraler Bedeutung: Ein Alkoholiker ist kein schlechter, willensschwacher Mensch - er ist "einfach" abhängig.

(Florian Oertel, dpa)

Quelle: ntv.de

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