Leise Hoffnung Experimenteller Impfstoff
27.10.2006, 11:22 UhrDer geistige Verfall von Alzheimer-Patienten ist unaufhaltbar: Auch 100 Jahre nachdem der fränkische Arzt Alois Alzheimer die Krankheit am 3. November 1906 erstmals beschrieben hat, gibt es keine Heilung für das Hirnleiden. Lediglich der Verlauf lässt sich um einige Monate bis Jahre verzögern. Jetzt nährt ein neuer experimenteller Impfstoff die vorsichtige Hoffnung auf Hilfe gegen das Leiden. Noch in diesem Jahr werden deutsche Forscher versuchen, das Immunsystem von Alzheimer-Patienten gegen die krank machenden Eiweißablagerungen im Hirn zu richten. Schon vor Beginn warnen die Mediziner aber ausdrücklich vor überzogenen Hoffnungen.
"Mit einer Impfung gegen die Demenz-Erkrankung wäre es zum ersten Mal möglich, tatsächlich das Fortschreiten der Erkrankung aufzuhalten", beschreibt Prof. Isabella Heuser von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Berliner Charit die Chancen. Die Wirkung des zu testenden Impfstoffs unterscheidet sich grundsätzlich von den gängigen Alzheimer-Medikamenten. Die bisherige Therapie kann die Bildung der typischen Eiweißablagerungen, der Beta-Amyloid-Plaques, nicht verhindern. Stattdessen verbessern Medikamente die Funktion der verbliebenen Nervenzellen. Die experimentelle Impfung soll das körpereigene Immunsystem auf das Beta-Amyloid-Protein trainieren.
Dazu wird den Probanden ein verändertes Beta-Amyloid-Protein gespritzt. Der Körper reagiert darauf mit der Bildung von Antikörpern, die die krank machenden Eiweiße erkennen und sie frühzeitig bekämpfen sollen. "Dadurch könnte die Degeneration der Nervenzellen bei vielen Patienten zumindest deutlich verlangsamt, wenn nicht sogar verhindert werden", vermutet Heuser.
Eine erste große Impfstudie im Jahre 2001, an der keine deutschen Institute beteiligt waren, musste allerdings wegen schwerer Nebenwirkungen abgebrochen werden. Damals bekamen 17 von 300 Patienten in Folge der Impfung eine Hirnhautentzündung, 3 starben. Die Nachbeobachtungen dieser Studie lassen jedoch vermuten, dass die Impfung bei einigen Teilnehmern funktionierte. "Etwa 20 Prozent der Versuchspersonen bildeten Antikörper gegen das krank machende Eiweiß", berichtet Heuser. Aus dieser Gruppe wurden 19 Teilnehmer längerfristig beobachtet. "Ihr Zustand verschlechterte sich in den folgenden drei Jahren kaum. Die allgemeine Hirnleistung dieser Probanden war deutlich besser als die Hirnleistung derjenigen, die nicht geimpft wurden."
Der neue Impfstoff wurde nun so verändert, dass die schweren Nebenwirkungen nicht mehr zu erwarten sind. Während in der ersten Studie das gesamte Beta-Amyloid-Protein im Impfstoff enthalten war, wird nun nur ein Bruchstück gespritzt, erklärt Prof. Lutz Frölich vom Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim, der die Studie gemeinsam mit Heuser leitet. Der Hirnhautentzündung, die als dramatische Nebenwirkung beim ersten Versuch auftrat, könne dadurch vermutlich vorgebeugt werden, sagt Frölich.
Die neue Untersuchung geht aber zum Schutz der Probanden sehr vorsichtig vor: Zunächst erhalten nur drei Patienten mit leichter bis mittelschwerer Alzheimer-Erkrankung den Impfstoff und werden daraufhin für ein halbes Jahr beobachtet. Treten in diesem Zeitraum keine gravierenden Nebenwirkungen auf, werden weitere drei Patienten in die Studie einbezogen. Insgesamt sollen zwölf Patienten im ersten Studienabschnitt die Impfung erhalten. Geplant ist, nach und nach bis zu 300 Personen in ganz Europa zu impfen.
Heusers "allergrößte Hoffnung" ist, dass in Zukunft eine vorbeugende Impfung für Hochrisikogruppen möglich werden könnte. Zugleich warnen die Ärzte vor überspannten Erwartungen. Wenn der Impfstoff in seiner aktuellen Form ein Erfolg werde, sei in frühestens sechs bis sieben Jahren mit einem kommerziellen Präparat zu rechnen. Eine vorbeugende Routinebehandlung von Gesunden zur Vermeidung von Alzheimer sieht Frölich vorerst nicht. "Der Wunschtraum, dass jeder ab 50 Jahren eine Impfung erhält und das Problem Alzheimer damit gelöst ist, wird sich nicht erfüllen."
Quelle: ntv.de