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Wettlauf der Wissenschaftler Forscher kämpfen um ein neues Kilo

Das Urkilo ist in die Jahre gekommen. Seit 125 Jahren ruht der zylindrische Körper in einem Pariser Tresor und ist der alleinige Maßstab für alle Waagen dieser Welt. Überall auf der Welt arbeiten Forscher an einer neuen Definition.

Prototyp des Urkilogramms. Es steht gut behütet unter drei Glasglocken in Paris.

Prototyp des Urkilogramms. Es steht gut behütet unter drei Glasglocken in Paris.

(Foto: dpa)

Es sind zwei handliche Kugeln von perfekter Form: aus reinstem Silizium, auf silbrigen Hochglanz poliert, scheinbar absolut glatt, eben und rund. Der geschätzte Wert: mehr als zwei Millionen Euro. Mit diesen Kugeln wollen Wissenschaftler der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig in einem internationalen Projekt, an dem acht Metrologie-Institute in aller Welt beteiligt sind, das Kilogramm neu definieren.

Sie haben Methoden entwickelt, mit denen sie die Atome in einer Siliziumkugel zählen und sie in eine Formel packen, die - weil sie auf Naturkonstanten beruht - überall auf der Welt gilt. Dabei haben sie inzwischen eine Messgenauigkeit von acht Stellen hinter dem Komma erreicht, oder - anders ausgedrückt - die Messunsicherheit beim Kilogramm auf 30 millionstel Gramm gedrückt.

"Wettlauf zwischen Forschern"

Damit haben sie die wichtigste Vorgabe erfüllt, die das Internationale Büro für Maß und Gewicht (BIPM) in Paris für die Neudefinition des Kilogramms gestellt hat. Andere internationale Forschergruppen haben mit der Methode der Watt-Waage, die elektromagnetische Kräfte misst, inzwischen ähnliche Ergebnisse erzielt. "Es ist ein Wettlauf zwischen Forschern", sagt Horst Bettin, der bei der PTB eine entsprechende Arbeitsgruppe leitet. Und er fügt lächelnd hinzu: "Wir können es noch besser". Die Forscher haben vermutlich noch bis 2018 Zeit. Dann werde, sagt Bettin, die Generalkonferenz des BIPM über eine Neudefinition des Kilogramms entscheiden.

Bis auf weiteres gilt also noch das Urkilo, das seit 1889 in einem Pariser Tresor aufbewahrt wird: ein relativ kleiner Zylinder aus Platin und Iridium - der alleinige Maßstab für die Kalibrierung und Eichung aller Waagen dieser Welt. Es sei die einzige der sieben internationalen Maßeinheiten, die noch durch einen realen Körper und nicht - wie etwa Meter oder Sekunde - mit Formeln aus Naturkonstanten dargestellt werde, erläutert PTB-Forscher Arnold Nicolaus.

Das schafft inzwischen Probleme. Die Gewichtsdifferenz zwischen dem Urkilo und seinen mehr als 80 Kopien, die nationale Messbehörden nutzen, ist inzwischen auf rund 50 Mikrogramm (50 millionstel Gramm) gewachsen. Die Ursachen sind unklar. Für Laien sei diese Differenz nicht beachtenswert, meint Nicolaus. Doch Metrologen irritiere das außerordentlich. "Viele physikalische Gleichungen und Werte sind von einer exakten Massedefinition abhängig", so Nicolaus. Und schließlich könnte die ganze Gewichtswelt durcheinandergeraten, wenn beispielsweise das Urkilo in Paris beschädigt oder verloren gehen würde. Deshalb wird seit Jahren an einer Neudefinition gearbeitet.

Minimale Messunsicherheit

Die PTB-Forscher haben das Kilogewicht ihrer Kugeln nach dem Urkilo in Paris ausgerichtet. Die Kristallkugeln sind zu 99,9957 Prozent aus Silizium 28, das sehr rein ist und dessen Atome gleichmäßig verteilt sind. Mit aufwendigen hochpräzisen Messverfahren, die mit Röntgen und Lasertechnik arbeiten, ermitteln sie mehrere Parameter.

"Wir bestimmen zunächst den Durchmesser und das Volumen der Kugel, messen dann die Abstände zwischen den Atomen, die in einer Gitterstruktur angeordnet sind. Daraus errechnen wir dann das Volumen eines Atoms", so Bettin. Auf diese Weise kann zugleich die Zahl der Atome errechnet werden.

Wenn man das Gewicht eines Atoms kennt, kann man das Gewicht einer Kugel exakt bestimmen. Eine Ein-Kilo-Siliziumkugel hat etwa 21 Quadrillionen Atome. Eine Quadrillion ist eine Zahl mit 24 Nullen. Bettin weiß schon, wie man die bisher erreichte minimale Messunsicherheit von 30 millionstel Gramm bei den Siliziumkugeln noch halbieren könnte. Denn die Kugeln weisen noch immer winzigste, mit dem bloßen Auge gar nicht wahrnehmbare Unebenheiten und Verunreinigungen auf. Bettin erklärt: „Wenn man sie auf den Maßstab der Erde bezieht, dann wäre das so, als ob der Unterschied zwischen den höchsten Berggipfeln und der tiefsten Stelle im Meer nur neun Meter wäre."

Quelle: ntv.de, Klaus Sievers, dpa

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