Exponate wegschließen? Gift im Museum
19.01.2009, 13:59 UhrWeißer Schutzanzug mit Kapuze, grüne Gummihandschuhe und Atemmaske: Wenn die Restauratoren im Ethnologischen Museum in Berlin-Dahlem ein historisches Objekt aus Rentier-Fell aus ihrem Depot untersuchen wollen, sind sie ausstaffiert wie nach einem Giftgasunglück. Ganz so ist es nicht, aber Tatsache ist: Zwei Drittel der Sammlung, rund 330.000 Stücke, gelten als verseucht, weil in der Vergangenheit aus Unwissenheit allzu freigiebig Schädlingsbekämpfungsmittel eingesetzt wurden. Was zum Erhalt der wertvollen Kulturgüter gedacht war, gerät nun zur Gefahr für den Menschen. Und nicht nur in Berlin ringen Museen um Ideen und die passenden Methoden, um diese Gifte loszuwerden.
"Das Problem betrifft viele Museen auf der ganzen Welt", berichtet Richard Haas, stellvertretender Direktor der riesigen ethnologischen Sammlungen in Dahlem. Das Publikum, so betont er, sei durch die Gifte nicht in Gefahr, denn fast alle Exponate in der Ausstellung stehen in Vitrinen und die Verweildauer der Besucher vor den einzelnen Stücken ist zudem viel zu kurz. Aber alle, die mit den Fellen, Textilien, Lederteilen oder Objekten mit Federschmuck intensiven Umgang haben, müssen die Schutzkleidung tragen - per Dienstanweisung verordnet.
Giftstoff-Belastung am Arbeitsplatz
Akute Probleme der Mitarbeiter wie Ausschläge oder Atembeschwerden haben in Berlin zu umfangreichen Messungen geführt. Chronische Spätfolgen oder sogar Krebs nach Jahren oder Jahrzehnten eindeutig auf die Giftstoff-Belastung am Arbeitsplatz zurückzuführen, ist allerdings sehr schwierig.
Sogenannte chlororganische Biozide wie Lindan, DDT, PCP, noch früher sogar Schwermetalle wie Quecksilber und Arsen wurden im vergangenen Jahrhundert vorbeugend eingesetzt, um die wertvollen Kulturgüter vor Insektenbefall, aber auch Schimmel zu schützen. Vor allem im Zweiten Weltkrieg, als vielerorts Sammlungen in feuchten Kellern oder anderen unklimatisierten Räumen ausgelagert werden mussten, war man nicht zimperlich im vorbeugenden Umgang mit den Giften, um deren mögliche Risiken für den Menschen man nicht wusste. Erst nach dem Skandal um das Holzschutzmittel Xylamon in den 80er Jahren wuchs die Sensibilität.
In den Sammlungen des Ethnologischen Museums war die Belastung so hoch, dass es zu einer Sekundärkontamination kam. Das heißt: die Gifte aus den Einzelstücken traten aus und lagerten sich via Staub in den gesamten Depots ab - auf anderen unbehandelten Objekten, in Regalen und Schränken, an Lampen, im Putz. "Seit Jahren läuft hier eine aufwendige Entfernung von Altstäuben durch ein Spezialunternehmen. Und wenn wir damit hinten fertig sind, könnten wir eigentlich vorn wieder anfangen", sagt Haas. Lieber heute als morgen würden die Dahlemer deshalb das Übel an der Wurzel packen und nicht die Regale, sondern die Kulturgüter selbst entgiften.
Probleme auch in Leipzig, Nürnberg, Freiburg
Auch in vielen anderen Häusern kämpft man mit diesen Problemen. So hat das Adelhausener Museum für Natur- und Völkerkunde in Freiburg seine Sammlung komplett geschlossen und auch Teile der Ausstellung. An den Völkerkundemuseen in Hamburg und Leipzig befasst man sich mit dem Thema. Und am Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg hat der Leiter des Instituts für Konservierung, Arnulf von Ulmann, fast alle Figurinen mit historischen Kostümen weggeschlossen - deren Textilien haben die Gifte teils sichtbar verfärbt. Etwa 18.000 Exponate sind dort insgesamt betroffen.
Im vollen Ausmaß weiß die Fachwelt seit rund einem Jahr um das Problem. Damals lud das renommierte Rathgen-Labor in Berlin, das für alle Einrichtungen der Staatlichen Museen tätig ist, zu einem internationalen Symposium zu Pestizid-belasteter Kunst. Sein neuer Leiter, Stefan Simon, sieht das Problem von verschiedenen Seiten und als eines unter vielen anderen.
Konservierungsfachleute setzen auf Kohlendioxid
"Jedes belastete Exponat müsste jeweils genau geprüft werden. Und umgekehrt ist es eine Tatsache, dass uns der Einsatz dieser Mittel unglaublich viel Kunst erhält." Simon rührt damit an einen Punkt, der viele Museumschefs nachdenklich macht - denn die Einführung strikter Grenzwerte, die es bislang für viele Biozide gar nicht gibt, würde dazu führen, dass Exponate dauerhaft in versiegelten Depots verschwänden, Ausstellungen in ihrem Bestand bedroht würden. Deshalb hat die Stiftung Preußischer Kulturbesitz eine Forschungsallianz mit der Leibniz-Gemeinschaft und der Fraunhofer-Gesellschaft gegründet, um unter anderem dieses Thema gemeinsam anzugehen.
In Nürnberg wie in Dahlem setzen die Konservierungsfachleute ihre Hoffnung auf ein Verfahren, das den Ausweg aus dieser Zwickmühle bringen könnte: Die Behandlung unter hohem Druck mit Kohlendioxid. Aber eine Pilotanlage für die erfolgversprechendste Methode würde 7,5 Millionen Euro kosten. "Wir haben händeringend Geldgeber gesucht, aber vergeblich", berichtet Prof. Achim Unger, der vor seiner Pensionierung am Rathgen-Labor diese Forschungen initiierte. Jetzt wollen die Wissenschaftler eine kostengünstigere, wenn auch nicht ganz so wirksame Alternative weiterentwickeln. Viele Museen weltweit, so auch in Dahlem und Nürnberg, hoffen darauf. "Im Augenblick hat Deutschland in der Forschung die Nase vorn. Es wäre unglaublich schade, wenn diese Idee nun von jemand anderem umgesetzt würde", sagt der Nürnberger Experte von Ulmann.
Quelle: ntv.de