Fröhliche Schüler Glück kann man lernen
11.09.2007, 11:30 UhrMax sitzt zwei Mitschülern gegenüber und zeigt ihnen eine Postkarte. Er hat sie sich aus einem Stapel von Karten ausgesucht. Auf dem Bild: Eine Tasse Cappuccino und ein Glas Latte Macchiato auf einem erdfarbenen Holztisch. "Du magst Pausen", schlägt sein Gegenüber vor. "Und es darf auch mal etwas mehr sein." Wegen der zwei Tassen. Der Sinn der Übung: Max soll erfahren, wie er von anderen gesehen wird. Im Gegenzug versuchen seine Mitschüler, sich in jemand anderen hineinzuversetzen. Alle zusammen lernen sie "Glück".
Seit Montag wird das völlig neue Unterrichtsfach an der Heidelberger Willy-Hellpach-Schule unterrichtet. Glück und Schule - im ersten Moment scheint das für viele Schüler unvereinbar. "Und genau das ist das Problem", sagt Oberstudiendirektor Ernst Fritz-Schubert. Er hat das Fach erfunden und zusammen mit einer Arbeitsgruppe ein Unterrichtskonzept entworfen. Damit konnte er auch das Kultusministerium Baden-Württemberg überzeugen, das aber lieber konservativ von "Lebenskompetenz" spricht, statt von "Glück". Das Fach wird sowohl an der zweijährigen Berufsfachschule als auch am Wirtschaftsgymnasium angeboten.
Das Interesse ist groß. Mehr als 50 Schüler haben sich bereits angemeldet. Für Gymnasiasten ist "Glück", falls gewünscht, sogar abiturrelevant. Im Unterricht sollen die Schüler lernen, sich selbst und ihre Umwelt besser wahrzunehmen. Auch körperliches Wohlbefinden und soziale Kompetenzen sollen vermittelt werden, und den Schülern die Freude am Lernen zurückgeben. Es geht um Persönlichkeitsbildung.
Eine Frage der Sichtweise
Gemeinsam mit Fritz-Schubert haben unter anderen der Ex-Hockey-Bundestrainer und Sportdirektor des Fußballzweitligisten TSG 1899 Hoffenheim, Bernhard Peters, und der Leiter des Instituts für Alltags- und Bewegungskultur an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg, Professor Dr. Wolfgang Knörzer, am Konzept mitgearbeitet. Fritz-Schubert hat "Glück" schon im Jugendförderzentrum der Hoffenheimer unterrichtet, bei der U 15. Er hatte versucht die positiven Emotionen bei den jungen Fußball-Talenten zu verstärken. Bei einer Übung saßen zwei Partner Rücken an Rücken. Der eine nannte eine schlechte Eigenschaft an sich selbst, der andere sollte sie positiv umformulieren. Zum Beispiel: "Ich bin faul." - "Du denkst an dich." Oder: "Ich trainiere nicht den linken Fuß" - "Du hast einen starken rechten."
Fritz-Schubert erinnert sich gerne daran: "Die Jungs hatten einen Heidenspaß - und sie haben ziemlich schnell verstanden, dass es oft nur die Sichtweise ist, die eine Situation positiv oder negativ erscheinen lässt." Peters sagt: "Es war eine klasse Erfahrung. Es unterstützt junge Menschen bei der Identitätsfindung. Sie lernen, ihre Persönlichkeit zu reflektieren. Das hilft später auch auf dem Platz".
Was für den Platz gilt, das gilt auch fürs Leben. Dem Fach liegt der Gedanke zugrunde, dass Bildung mehr sein muss, als berufliche Qualifikation, mehr als Pauken und mehr als reiner Leistungsdruck. Der Ansatz ist im Grunde nicht neu. Hartmut von Hentig, einer der einflussreichsten Pädagogen Deutschlands, schrieb schon 2004 im Vorwort zum Bildungsplan in Baden-Württemberg: "Jeden Bildungsplan wird man künftig daran messen, ob er geeignet ist, die Zuversicht junger Menschen, ihr Selbstbewusstsein und ihre Verständigungsbereitschaft zu erhöhen."
Mentale Stärke und seelische Ausgeglichenheit
Auf die Frage, was Bildung ist, antwortet von Hentig: "Alles." Und genau darum geht es dem Heidelberger Rektor. "Es ist unser Ziel, starke, zuversichtliche Persönlichkeiten zu formen. Dazu gehört die Fähigkeit, sich zu freuen, zu reflektieren und sich wohlzufühlen, körperlich wie seelisch." Die Botschaft: Glück ist erlernbar. Mentale Stärke und seelische Ausgeglichenheit sind Themen des Unterrichts im Glücklichsein. Aber auch Esskultur, Körpersprache und das Austesten der eigenen Leistungsgrenzen steht auf dem Stundenplan. "Die Schüler sollen erleben, dass sich die körperliche Gesundheit, etwa durch Sport und gute Ernährung, nicht von der seelischen trennen lässt", erklärt PH-Professor Knörzer.
Die Pädagogen setzen vor allem auf das Prinzip der Eigenerfahrung. Die Schüler spielen Theater, besichtigen Firmen und bekommen Übungen gezeigt, mit denen sie ihre Konzentration steigern können. Dafür wurden in Heidelberg auch Schauspieler, Systemtherapeuten und Motivationstrainer engagiert.
Allerdings: Bei allem Brechen mit herkömmlichen Konventionen - ohne Noten geht es auch in "Glück" nicht. Damit haben die Schüler aber keine Probleme. Einer sagt: "Ich habe das Fach doch gewählt, weil es mich interessiert. Glauben Sie, ich will eine fünf in 'Glück'?"
Quelle: ntv.de