Wissen

Wespen-Brutpflege wie im Horrorfilm Halbtote Raupen als Bodyguards

Diese Brutpflege erinnert an einen Horrorfilm. Parasitisch lebende Brackwespenlarven vermehren sich nicht nur im Innern wehrloser Schmetterlingsraupen – sie zwingen ihre halbtoten Wirte auch noch, für sie den Bodyguard zu spielen. Auf bisher ungeklärte Weise bringen sie die ausgezehrten, angefressenen Raupen dazu, mit brutalen Kopf-Schwingern die Feinde der Wespen zu vertreiben. Das berichten Wissenschaftler um Amir Grosman von der Universität Amsterdam (Niederlande).

Ihre Untersuchung belege, dass die parasitischen Wespen das Verhalten ihrer Wirte gezielt veränderten, um ihre eigenen Überlebenschancen zu erhöhen. Die weiblichen Brackwespen (Glyptapanteles sp.) legen etwa 80 Eier im Inneren der Schmetterlingsraupe (Thyrinteina leucocerae) ab, wo die Larven schlüpfen, die Körperflüssigkeit des Wirts einsaugen und wachsen. Sind die Wespenlarven groß genug, nagen sie sich durch den Körper der Raupe einen Weg ins Freie. Dort spinnen sie sich am nächstbesten Ast einen Kokon, in dem sie sich verpuppen.

Wächter mit Loch im Körper

Die Raupen bleiben mit einem beachtlichen Loch in der Körperhülle zurück, und ihr Martyrium ist noch nicht zu Ende: Wie ferngesteuert ändern die Tiere plötzlich ihr Verhalten. Sie fressen nicht mehr und bewegen sich nicht von den Kokons der Wespen fort. Stattdessen beugen sie sich über die verpuppte Brut und verteidigen sie gegen Feinde. Erst wenn die jungen Wespen geschlüpft sind, sterben die Raupen. Diese Vermehrungs- und Überlebensstrategie der Wespen ist ein Beispiel für Parasitismus, auch Schmarotzertum genannt. Genau wie bei anderen schmarotzenden Lebewesen war jedoch bisher unklar, inwieweit die Manipulation der Wirte tatsächlich gezielt und zum Nutzen des Parasiten geschieht. Denkbar wäre zum Beispiel auch, dass die Parasiten nur Wirte befallen, deren Verhalten bereits aufgrund von anderen Ursachen von dem der Artgenossen abweicht.

Dies widerlegten die Forscher um Grosman mit einer Reihe von Versuchen. Dafür ließen sie zunächst Wespen im Labor einige Schmetterlingsraupen infizieren. Nach dem "Schlüpfen" aus der Raupe und dem Einspinnen in den Kokon entfernten die Forscher die Hälfte der Gespinste und brachten sie in die Nähe von nicht-infizierten Raupen. Die andere Hälfte der eingesponnen Wespen blieb bei ihren Wirten. Daraufhin setzen Amir und seine Kollegen Stinkwanzen dazu, die Feinde der Wespenlarven.

Eine Art willenloser Zombies

Mehr als 80 Prozent der schon halbtoten Raupen verteidigten daraufhin die Gespinste. In mehr als der Hälfte aller Auseinandersetzungen gelang es ihnen, die Wanzen durch mächtige Kopf-Schwinger zu vertreiben. Nicht infizierte Raupen hingegen nahmen die Wanzen kaum wahr und verteidigten die Wespenbrut auch nicht. Es sind also tatsächlich die Parasiten, die die Wirte in eine Art willenlos Zombies verwandeln, folgern die Wissenschaftler. Grosman und seine Kollegen prüften anschließend auch im Freiland, ob das Bodyguard-Verhalten der Raupen auch tatsächlich für die Wespen von Nutzen ist. Dazu brachten sie infizierte Raupen ins Freiland, kurz bevor die Wespen aus ihnen herausbrachen. Nach dem Verpuppen der Wespen entfernten sie die Hälfte der Raupen und beobachteten dann, was geschah. Das Ergebnis: die Überlebensrate der bewachten Wespen war doppelt so hoch wie die der unbewachten.

Die Verhaltensbeeinflussung wirkte sich also zum Vorteil der Tiere aus. Wie den Wespen die Manipulation gelingt, ist noch nicht geklärt. Bei Untersuchungen der infizierten Raupen nach dem Schlüpfen der Wespen fanden die Forscher aber regelmäßig ein bis zwei Parasiten, die im Innern zurückgeblieben waren. Möglicherweise opferten sich diese für die Brut, indem sie im Körper des Wirts irgendwelche Prozesse beeinflussten und so dessen Verhalten steuerten. Ein ähnlicher Mechanismus sei von bestimmten Saugwürmern bekannt: Sie bilden einen sogenannten Hirnwurm, der das Zentralnervensystem der Wirte – in diesem Fall Ameisen – besetzt und diese dazu zwingt, entgegen ihrem natürlichen Verhalten an die Spitze von Grashalmen zu klettern. Dort werden sie leichter von grasenden Schafen gefressen – den nächsten Wirten der schmarotzenden Saugwürmer.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen