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"Vampire saugen kein Blut" Historiker räumt mit Klischees auf

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Robert Pattinson und Kristen Stewart in dem erfolgreichen Kino-Film: Twilight - Bis(s) zum Morgengrauen.

(Foto: ASSOCIATED PRESS)

Graf Dracula ist der wohl bekannteste Vampir der Geschichte. Sein Schöpfer, Bram Stoker, starb am 20. April 1912 – vor 100 Jahren. Bis heute üben Vampire eine dunkle Faszination auf den Menschen aus. Nicht nur in der Jugendkultur sind sie präsent. In Südosteuropa gibt es bis heute Gegenden, in denen viele Menschen an Vampire glauben.

Peter Mario Kreuter beschäftigt sich seit 16 Jahren mit dem Volksglauben an Vampire, durchforstet Akten in Archiven und spricht auf Forschungsreisen mit Menschen, denen dieser Glaube noch wichtig ist. "Das Schönste ist, den Leuten zuzuhören, wenn sie erzählen", sagt Kreuter über seine Arbeit. Er selbst glaubt nicht an Vampire. Im Interview mit n-tv.de spricht der Südosteuropa-Historiker über die Ursprünge des Vampirs, erklärt, warum Vampire immer böse sind und warum man sich mit einer Packung Sonnenblumenkerne gegen sie wehren kann.

n-tv.de: Herr Kreuter, bis heute fasziniert der Glaube an Vampire viele Menschen. Wo stammt er ursprünglich her?

Peter Mario Kreuter: Woher er genau kommt, wissen wir nicht. Schriftliche Quellen gehen – mit großen Lücken – gerade einmal bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts zurück. Durchgängig dokumentiert ist der Vampir erst seit Anfang des 18. Jahrhunderts. Dem Vampirglauben liegen aber mit Sicherheit Teile weitaus älterer Glaubensvorstellung zugrunde. Es ist vor allem ein Glaube, der nicht in Konkurrenz zur Hochreligion steht - also meist dem Christentum, in manchen Fällen dem Islam. Vielmehr füllt er Lücken aus, die die jeweilige Hochreligion in ihren Erklärungsangeboten zu Sterben und Tod hinterlässt. Seine Bedeutung und Rituale wurden in die jeweilige Religion eingearbeitet.

In welchen Gebieten ist denn der Vampirglaube bis heute besonders verbreitet?

Vom Südhang der Karpaten bis zum Balkangebirge. Allerdings ist das nur diejenige Gegend, wo er bis heute ganz besonders gut dokumentiert ist. Man findet ihn auch in Albanien, Bosnien, Nordgriechenland, Serbien oder Makedonien. Zusammenfassend: das orthodoxe und das muslimische Südosteuropa. In den Städten dort ist er natürlich bestenfalls Folklore. Aber auf dem Land ist der Vampirglaube durchaus präsent, wenn auch nicht mehr so massiv wie früher. Wenn man heute etwa den Verdacht hat, dass ein Toter zurückkommt, muss man ihn nicht mehr unbedingt ausgraben – auch wenn es das in seltenen Fällen noch gibt. Meist reicht aber eine symbolische Handlung in der Nacht, bei der die Erde auf dem Grab  "abgeschlossen" wird.

Wer kann denn zum Vampir werden?

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Zum Vampir werden: Irgendwie scheint es doch möglich zu sein.

(Foto: William Fernando Martinez/AP/dapd)

Es kommen nur wenige Menschen nach ihrem Tod als Vampir zurück. Dahinter steht die Vorstellung, dass eine Person den Übergang vom Leben in eine andere Welt, zum Beispiel das Paradies, nicht geschafft hat. Für einen gescheiterten Übergang ins Jenseits kann es zahlreiche Gründe geben: Es waren böse Menschen oder sie haben Pech gehabt im Leben, sind unverheiratet gestorben oder hatten einen grässlichen Unfall, um nur einige Beispiele zu nennen. Auch Fehler, die die Angehörigen bei Trauerriten gemacht haben, können eine Ursache sein. Diese Verstorbenen sind dann als Vampir eine Bedrohung, weil sie nicht mehr in diese Welt gehören – sie sind ja tot. Aber in ihre eigene, neue Existenz konnten sie auch nicht übergehen. Deswegen sind sie nun doch noch in dieser Welt gefangen. Und allein aus diesem Grund sind sie schädlich, in gewisser Weise eine "Infektion" der Welt der Menschen.

Gute Vampire gibt es also nicht.

Nein, die gibt es nicht. Bei den sogenannten "Wiedergängern", die wir auch in Mittel- und Westeuropa finden, gibt es durchaus auch positive Beispiele. Zum Beispiel die tote Mutter, die nach ihrem Kind schaut. Diese Vorstellung gibt es im Vampirglauben nicht. Der wiederkehrende Tote muss noch nicht einmal etwas Schädliches tun, er ist es einfach an sich.

Welche Eigenschaften werden Vampiren zugeschrieben?

Der Vampirglaube hat einige wenige gemeinsame Grundzüge, unterscheidet sich dann aber stark in den einzelnen Regionen  - das kann schon von Dorf zu Dorf anders sein. Ein Vampir ist auf jeden Fall immer "leibhaftig" – es handelt sich wirklich um den echten Leichnam, der zurückkehrt. Der kann tags wie nachts zurückkehren. Er kann auch bestimmte Dinge tun, auch wirklich böse. Es gibt aber auch genügend Berichte zum Beispiel darüber, dass der Vampir nach Hause kam und erst einmal Sex mit seiner Frau hatte. Irgendwie macht er also schon das, was er immer machte - nur soll er es halt nicht mehr tun. Vampire sind durchaus in einem guten Zustand, denn sie verwesen ja nicht. Trotz allem werden sie in der Regel mit gewissen Defekten gedacht. Häufig liest man von einer abgefallenen Nase oder von besonders großen, glotzenden Augen, die er habe.

Und von spitzen Zähnen, mit denen er das Blut …

… Nein! Spitze Zähne, der Biss in den Hals und das Blutsaugen fehlen im Volksglauben. Solche Vorstellungen gibt es nicht. Manchmal wird berichtet, der Vampir habe Blut getrunken. Aber wenn man dann nachfragt, wie er das gemacht hat, bekommt man keine Antwort. Es ist offensichtlich eine Art Metapher für den Verlust der Lebenskraft.

Heute gehört das doch unbedingt zu einem richtigen Vampir dazu, oder?

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Dr. Peter Mario Kreuter ist Historiker mit dem Schwerpunkt Südosteuropaforschung.

Da muss man ganz sauber trennen. All diese Elemente gibt es bis heute im Vampirglauben nicht. Das ist nur das, was wir aus Literatur und Film kennen. Man könnte es vielleicht als "westlichen Vampirmythos" bezeichnen. Was wir uns heute unter einem Vampir vorstellen, stammt quasi aus Hollywood. Das ist noch nicht einmal Bram Stoker – denn Graf Dracula etwa kann tagsüber durch London gehen, ohne dass er durch das Licht zu Staub zerfällt.

Wieso muss man Vampire pfählen, um sie loszuwerden?

Pfählen durch das Herz ist nur eine von vielen Methoden, es war damals eine gängige Hinrichtungsart überall in Europa.  Am häufigsten findet sich in den Berichten, dass der Vampir in irgendeiner Form massiv beschädigt wird. Das kann der Pflock, aber auch das Enthaupten oder das  Herausschneiden des Herzens sein. Das eigentlich Wichtige ist, den Vampirleichnam anschließend zu verbrennen. Denn dadurch wird der Körper zerstört. Es wird also das getan, was eigentlich die Aufgabe der Verwesung ist. Durch die Zerstörung geht der Vampir dann doch in die andere Welt über. Und das ist ein wichtiger Punkt: Der Vampir wird zunächst einmal zerstört, weil er die Lebenden bedroht und weil man ihn beseitigen muss. Es geht aber auch darum, dem, der es nicht geschafft hat, in die andere Welt zu verhelfen.

Was hat es denn mit dem "Zähltick" auf sich, unter dem Vampire angeblich leiden?

Seit jeher finden sie weltweit im Volksglauben eine Faszination für große Zahlen, die dabei häufig nicht für die Zahl an sich, sondern für das Unendliche stehen. Auch dem Vampir wird nachgesagt, von großen Zahlen fasziniert zu sein – und deswegen muss er immer alles nachzählen. Nur hat er ein Problem: Er ist tot und deswegen nicht mehr so richtig fit in der Birne. Also wird er sich ständig verzählen und muss von vorne anfangen. Deswegen streut man einem verdächtigen Toten oftmals Mohnsamen oder Sonnenblumenkerne in den Sarg. Diese Schwäche der Vampire finden sie übrigens auch in unserer heutigen Welt noch. Denken sie an Graf Zahl aus der Sesamstraße. Oder an die Akte-X-Folge "Bad Blood", in der Mulder von einem Vampir angegriffen wird und sich nicht wehren kann. Da  wirft er ihm eine geöffnete Tüte Sonnenblumenkerne vor die Füße, woraufhin der Vampir entnervt anfängt, einen Kern nach dem anderen in die Tüte zurückzuzählen.

Wie erklären Sie sich die Faszination, die von Vampiren ausgeht?

Der Vampir kann wunderbar adaptiert werden, denn er setzt nur sehr wenig voraus. Er kann ohne Probleme an die jeweilige Gesellschaft angepasst werden. Anders zum Beispiel Frankensteins Monster. Dort braucht man einen Wissenschaftler, der das Monster zusammenbaut – das kann schlecht im alten Rom spielen. Der Vampir hingegen ist einfach da. Und als ein vermeintliches "Wesen der Nacht" ist er eben der andere, der Fremde – eine attraktive Folie, um die eigenen Vorstellungen und Sehnsüchte darauf zu projizieren. Das sieht man wunderbar zum Beispiel an Twilight, einer vollkommen anderen Art von modernen Vampiren, die zum Teil romantische Abenteuer erleben.

Mit Peter Mario Kreuter sprach Fabian Maysenhölder

Quelle: ntv.de

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