Möglichst wenig Medizin Hyperaktive Kinder
23.11.2006, 10:44 UhrBei der Behandlung hyperaktiver Kinder sollten nach Ansicht der Kasseler Psychotherapeutin Marianne Leuzinger-Bohleber möglichst wenige Medikamente eingesetzt werden. Im Vordergrund der Therapie der Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung (ADHS) sollten psychotherapeutische Verfahren stehen, sagte Leuzinger-Bohleber am Mittwoch bei einer Tagung des nationalen Ethikrats in Rostock.
Studien hätten gezeigt, dass sich schon nach einer Kurzzeit-Psychotherapie deutliche Erfolge bei den "Zappelphilippen" einstellen können. "Die Kinder sind immer noch temperamentvoll, aber sie fallen nicht mehr so stark auf", sagte Leuzinger-Bohleber. Es müsse aber auch bedacht werden, dass nur durch eine Änderung der sozialen Verhältnisse, etwa durch mehr Zuwendung, sich die Symptome bessern können.
Schätzungen zufolge leben in Deutschland rund 400000 Kinder im Alter von 3 bis 14 Jahren mit dieser Erkrankung. Von den Betroffenen erhalte rund ein Viertel das Psychopharmakon Ritalin. "Die Medikamente stellen die Kinder ruhig, sie werden pflegeleicht", sagte Leuzinger-Bohleber, die auch Direktorin des Sigmund-Freud-Instituts in Frankfurt am Main ist. In den vergangenen zehn Jahren habe die Verschreibung dieser Arzneien um rund das Tausendfache zugenommen. Es sei aber noch immer nicht klar, welche Langzeitfolgen die Mittel auslösen können. Es gebe aber Situationen, in denen der Einsatz von Medikamenten notwendig sei, etwa wenn wegen der Störung der Ausschluss aus dem Kindergarten drohe.
Nur bei einem geringen Prozentsatz der Betroffenen liegen nach Worten Leuzinger-Bohlebers hirnorganische Ursachen zu Grunde. Bei der Mehrzahl handele es sich um Störungen des sozialen Umfelds. In Betracht kämen die Scheidung der Eltern oder Veränderungen wie Umzüge in eine andere Stadt oder -wie bei Migrantenkindern -die komplette Umstellung des bisherigen Lebens. "Aber auch das stundenlange Sitzen vor dem Fernseher kann ein Teil der Ursache sein, die Kinder sind vollkommen reizüberflutet", betonte Leuzinger-Bohleber.
Der Nationale Ethikrat wurde am 2. Mai 2001 vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) berufen. Er wollte damit ein unabhängiges Forum des Dialogs über ethische Fragen schaffen -mit dem Ziel, Regierung, Parlament und Öffentlichkeit Entscheidungshilfen zu geben. Die 25 Mitglieder des Ethikrates sind Wissenschaftler, Theologen, Gewerkschafter und Wirtschaftsvertreter. Vorsitzende ist die frühere hessische Staatssekretärin und Juristin Kristiane Weber-Hassemer.
Quelle: ntv.de