Neugier, Grenzen, Muskelspiele Ist Curiosity wirklich nötig?
08.08.2012, 16:25 Uhr
Angekommen. Curiosity wird von der Erde aus gesteuert. Doch manche Entscheidungen trifft er selbst.
(Foto: picture alliance / dpa)
Nach der ersten Euphorie über die geglückte Landung des Roboters Curiosity auf dem Roten Planeten wird es Zeit für ganz grundsätzliche Fragen. Schließlich ist Curiosity nicht der erste Rover auf dem Mars. Und aussagekräftige Bilder kommen auch von der Sonde der ESA. Welchen Mehrwert liefert Curiosity? Und warum eigentlich soll es irgendwann bemannte Mars-Missionen geben? Was hat man davon, wenn Astronauten auf dem Mars spazieren? n-tv.de spricht mit Ulrich Köhler vom Institut für Planetenforschung des Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Berlin.
n-tv.de: Herr Köhler, leistet Curiosity mehr als Spirit, Opportunity und Mars Express, die Mars-Sonde der ESA? Inwieweit werden sich die Bilder und Daten von dem unterscheiden, was die anderen drei bereits geliefert haben und liefern? Welchen Mehrwert verspricht man sich von Curiosity?
Ulrich Köhler: Curiosity ist das größte Fahrzeug, das je auf einer Planetenoberfläche als Roboter unterwegs war. Das bedeutet, dass auch mehr Instrumente mitgenommen werden konnten. Es sind über 50 Kilogramm an Experiment-Instrumenten auf diesem Rover. Die werden dadurch, dass das Fahrzeug so mobil ist, zu vielen verschiedenen Orten gelangen. So ist der Umfang der Ergebnisse einfach sehr viel größer als alles, was wir bisher vom Mars hatten. Hinzu kommt, dass sich natürlich die Technik weiterentwickelt hat in den letzten zehn Jahren. Die Instrumente haben inzwischen eine höhere Auflösung, es sind genauere Analysen von Mineralogie und Geochemie und anderen physikalischen Parametern möglich. Curiosity ist damit moderner und effektiver als alles Bisherige. Auch die Kameraaugen sind sehr viel besser. Das heißt, wir werden viele fantastische Aufnahmen bekommen. Die reichen von Teleaufnahmen der entfernten Landschaft bis hin zu mikroskopischen Aufnahmen von Sand und Staub auf dem Planeten. Mit den Daten lässt sich sehr viel mehr Wissenschaft machen als mit allem anderen, was bisher auf dem Mars war.
Was geschieht, wenn die Elektronik ausfällt? Wie anfällig ist sie? Und wie reparabel?
An der Hardware kann man natürlich nichts reparieren. Aber zum Zeitaufwendigsten bei Raumfahrt-Projekten gehört, solche Instrumente sicher zu machen und ihre Weltraumtauglichkeit herzustellen. Eine Kamera zusammenzusetzen, das geht natürlich schnell. Aber diese Kamera strahlungsresistent zu machen, sie kalt-warm-resistent zu machen und sie so zuverlässig zu machen, dass sie zehn oder sogar zwanzig Jahre durchhält, das ist die große Kunst der Ingenieure. Deswegen verwendet man dabei auch nicht immer die allerneueste Technik. In den nächsten Wochen wird man sehen, dass die einzelnen Bilder, die Curiosity schickt, lange nicht so groß sind wie das, was wir heutzutage mit den Handys auf der Erde machen. Es wird sehr robuste, bewährte Technik eingesetzt, die wirklich durchhält. Das Einzige, auf das man von der Erde Einfluss hat, ist die Software, mit der die Experimente betrieben werden: Die lässt sich mit Funksignalen über den Bordcomputer aktualisieren, und das wird routinemäßig durchgeführt.
Inwieweit lässt sich Curiosity von der Erde aus steuern?
All seine beweglichen Teile sind von der Erde aus anzusteuern. Aber der Bordcomputer des Rovers kann die Informationen einzelner Komponenten zum Teil schon selbstständig auswerten. Er kann also bis zu einem gewissen Grad selbst Entscheidungen treffen. Wenn die Kameraaugen in die Umgebung schauen, stellen sie durch die automatische Bilderkennungssoftware fest: Vor mir liegt kein Stein, vor mir ist kein Krater und kein großes Hindernis. Hier kann ich also selbst ein paar Meter fahren, ohne mir dafür von der Erde grünes Licht holen zu müssen.
Ansonsten wird alles von der Erde aus gesteuert. Das verzögert natürlich vieles, denn der Funkverkehr braucht, je nach Entfernung zwischen Erde und Mars, in jede Richtung zwischen dreieinhalb und 21 Minuten – zurzeit sind es jeweils 15 Minuten.
Angenommen, Curiosity liefert Daten, die zeigen, dass es einmal Leben auf dem Mars gegeben hat. Was ließe sich mit einem solchen Ergebnis anfangen?

Die Landefläche, aufgenommen von Curiosity beim Anflug, könnte erste Hinweise darauf geben, ob Leben auf dem Mars einst möglich war.
(Foto: picture alliance / dpa)
Curiosity kann mit den Geräten, die an Bord sind, kein Leben nachweisen. Der Rover kann lediglich die Substanzen nachweisen, die Hinweise auf Leben geben, also Kohlenwasserstoff-Verbindungen. Das ist das Ziel. Der nächste Schritt, die Analytik von lebender Substanz, das wird erst mit den nächsten Missionen kommen.
Der Roboter kann aber nachweisen, ob die Umgebung für Leben geeignet ist, ob es zum Beispiel Mineralien gibt, die wasserhaltig sind - wie Tonminerale oder Sulfate, Gips beispielsweise, oder ob Wasser im Untergrund vorhanden ist. Seine Landestelle könnte in dieser Hinsicht sehr aufschlussreich sein. Krater Gale ist aus der Umlaufbahn gut zu erkennen. Dort sind geschichtete Sedimente vorhanden, die darauf hinweisen, dass es dort mal einen See mit Ablagerungen gab. Wir wissen auch, dass es auf dem Mars mal wärmer und feuchter war als heute. Vor dreieinhalb bis vier Milliarden Jahren hatte der Mars eine dichtere Atmosphäre. Und unter diesen Bedingungen könnte es sein, dass dort in grauer Vorzeit mal Leben existierte. Der Krater liegt ziemlich tief, dort wird sich das Wasser also gesammelt haben; so wie es aussieht, für längere Zeit. Deswegen ist das eine vielversprechende Landestelle, wenn es um die Frage geht, ob auf dem Mars mal die Voraussetzungen dafür gegeben waren, Leben hervorzubringen.
Wann sollen die ersten Astronauten zum Mars fliegen? Und warum eigentlich?
Schon kurz nach der Mondlandung hieß es, jetzt würde es noch 20 Jahre dauern, dann würden wir auf dem Mars landen. Aber auch Jahrzehnte später war noch von 20 Jahren die Rede. Jetzt heißt es, 2035 wäre man wohl so weit. Ich denke, von der technischen Seite her ist es möglich, diesen Schritt in den nächsten zehn bis dreißig Jahren zu gehen. Aber es gibt zwei große Hindernisse bei diesem Projekt: Erstmal wird es sehr, sehr teuer sein. Möglicherweise ist der gesellschaftliche Rückhalt dafür, 50 Milliarden Euro (eine gegriffene Summe) auszugeben, um in 15 oder 20 Jahren auf dem Mars zu landen, in Europa oder den USA nicht da, was man auch nachvollziehen kann.
Das andere sind weiche Faktoren, die sehr viel schwerer wiegen als bei einer Mondlandung: Fliege ich zum Mond, bin ich in drei Tagen dort. Wenn es dumm läuft, steige ich ganz schnell wieder in meine Kiste ein und bin in drei Tagen zurück. Bis zum Mars dauert es mit den Antriebssystemen, die wir heutzutage haben, sechs Monate. In der Zeit hat die Erde bereits eine halbe Runde um die Sonne zurückgelegt, der Mars aber nur eine Viertelrunde. Ich kann dann also nicht gleich zurückfliegen, sondern muss warten, bis die Erde wieder hinter der Sonne hervorkommt und langsam zum Mars hin aufholt. Ich muss also mindestens zehn Monate auf dem Mars bleiben, und dann nochmal fünf bis sechs Monate zurückfliegen. Die Sache geht also mit 20 bis 22 Monaten aus. Medizinisch und psychologisch sind das natürlich ganz andere Herausforderungen als bei einem Flug zum Mond.
Und was hat man von einer bemannten Mars-Mission?
Was das bringt, kann man unter verschiedenen Gesichtspunkten sehen: Das Erste ist, dass der Mensch immer irgendwo hingeht, wo er noch nie war – einfach aus purer Neugier, weil er es mal gemacht haben will, weil er seine Grenzen auslotet und weil er seine Muskeln spielen lassen will und sagen will: "Seht mal, wir können das alles." Dafür 50 Milliarden Euro auszugeben (wie gesagt, das ist nur eine Hausnummer), ist natürlich Unfug. So zumindest denken wir heute.
Aber man sollte da noch anderes im Blick behalten: Der Mensch ist nach wie vor unersetzlich. Noch kann er viel mehr als jeder Roboter, und das wird noch geraume Zeit so bleiben. Bei Curiosity wird man sehen: Das ist alles großartig, was der machen wird, aber es wird Jahre dauern, bis die Mission die gewünschten wissenschaftlichen Ergebnisse bringt. Angenommen aber, dort oben würde ein Astronaut herumspazieren mit einem Geologenhammer, ein paar Analysegeräten, mit einer Lupe und mit seinem Sachverstand, dann würde der das alles sehr viel schneller erledigen. Der ist dann einfach neugierig, hebt einen Stein auf, haut auf dem mal rum und guckt rein, schaut mit der Lupe nach den Mineralen, dann sieht er was, das ihm komisch vorkommt und geht in die Richtung dort hinten, wo es noch interessanter aussieht. Was die Intuition anbelangt, da ist der Mensch einfach noch unersetzlich. Und da muss man natürlich abwägen, wie viel Geld einem das eine wert ist und wie viel das andere.
Dem Menschen juckt es in den Fingern mit dem Mars vor der Haustür. Aber ob er den zu unseren Lebzeiten noch erreicht, ist nicht ganz sicher. Erst muss die Infrastruktur auf dem Mars vorbereitet werden, dann muss man auf der Erdumlaufbahn und dem Mond eine Vorläuferstation errichten, von der aus man leichter starten kann zum Mars. Da sind viele Risikofaktoren dabei, und jeder weiß: Wenn etwas schiefgehen kann, geht auch mal was schief. Dann wird so ein Programm auch mal wieder um zehn Jahre zurückgeworfen. Dann werden auch mal die politischen Prioritäten anders gesetzt. Es wäre reizvoll, wenn Astronauten auf dem Mars landen, aber das ist sicherlich nicht die allererste Priorität der Menschheit.
Wie realistisch ist die Vorstellung, dass der Mars zu einer Kolonie für Erdbewohner wird? Die Bedingungen dort sind alles andere als menschenfreundlich …
Auf dem Mars gibt es in recht großen Mengen Eis, also Wasser in gefrorener Form. Und es gibt eine dünne Atmosphäre, in der wir zwar nicht atmen können, aber man könnte sich vorstellen, unter einer Art Käseglocke dort irdische Bedingungen zu schaffen.
Es ist Utopie. Aber wenn man vor 100 Jahren gesagt hätte, dass in 50 Jahren jemand auf dem Mond spazieren wird, hätte man ihn wahrscheinlich für verrückt erklärt. Wer weiß, was in 500 oder 1000 Jahren ist? Viel hängt sicherlich davon ab, dass schnellere und effizientere Antriebssysteme entwickelt werden.
Aber eines steht fest: Was die US-amerikanischen Ingenieure mit Curiosity zum Mars gebracht haben, ist eine irrsinnig tolle Geschichte. Vom Raumfahrttechnischen her ist dort ein neues Tor aufgestoßen worden.
Mit Ulrich Köhler sprach Andrea Schorsch
Quelle: ntv.de