"Erdbeben keine Überraschung" Italien wird im Balkan aufgehen
07.04.2009, 17:42 UhrDas schwere Erdbeben um die italienische Stadt L'Aquila ist für Geowissenschaftler keine Überraschung. "Italien gehört mit Griechenland zu den am meisten gefährdeten Gebieten in Europa", erklärt der Seismologe Rainer Kind vom Deutschen Geoforschungszentrum (GFZ) in Potsdam. "Erdbeben sind hier an der Tagesordnung."
Das hilft allerdings nicht bei der exakten Vorhersage von solchen Naturkatastrophen. "Jedes Beben ist einzigartig", erklärt der Katastrophenforscher David Alexander, der für die Vereinten Nationen in Genf arbeitet. "Deshalb wird es mit Sicherheit nie eine hundertprozentige Vorhersage geben." Mittel- und langfristig ließen sich nur Gebiete mit hoher Erdbebengefahr benennen. Alexander lehrt an der Universität Florenz Katastrophen- Management und arbeitet auch für die UN-Universität in Bonn.
Afrika wandert unter Europa
Dass Italien im Lauf seiner Geschichte immer wieder von schweren Erdstößen mit zahlreichen Todesopfern heimgesucht wurde, liegt an der sogenannten Plattentektonik. Der afrikanische Kontinent wandert mit einer Geschwindigkeit von ein bis zwei Zentimetern im Jahr nach Norden. Dabei schiebt die afrikanische Platte nicht nur das Mittelmeer allmählich zu, das einst ein Ozean war. Sie wandert zudem unter die eurasische Platte und löst damit immer wieder Erdbeben aus.
Ständige Beben
Die Plattengrenze läuft nach Angaben des Potsdamer Seismologen Kinds um die Westseite des italienischen Stiefels herum. Dieser wird in einigen Millionen Jahren im Balkan aufgehen und zu einer gemeinsamen Landmasse verschmelzen. Wegen dieser stetigen Bewegung komme es im gesamten Land täglich zu Erdbeben, die aber meist zu schwach sind, um von der Bevölkerung wahrgenommen zu werden oder Schäden anzurichten.
Das Epizentrum des Bebens von L'Aquila lag in etwa zehn Kilometer Tiefe unter der Erdoberfläche und gilt damit als ein flaches und besonders zerstörerisches Beben.
Sieben Indikatoren erkennbar
Der UN-Katastrophenforscher Alexander benennt sieben physikalische Phänomene, die Hinweise auf Beben lieferten. Beispielsweise verursachten kleine, kaum spürbare Vorbeben Risse im Gestein, durch die Kohlenwasserstoffe in die Atmosphäre gelangten und zu charakteristischen Lichtbrechungen führten: "Dann sieht man nachts Blitze oder einen Purpurstich im Himmel."
Eine andere Folge solcher Vorbeben sei, dass dabei mehr Radon ins Grundwasser gelange. Auf entsprechende Messungen hatte der italienische Wissenschaftler Gioacchino Giuliani im Zusammenhang mit dem Abruzzen-Beben hingewiesen. "Aber es gab dabei keine Gewissheit, dass es ein Erdbeben geben würde", sagt Alexander. "Radon ist zwar einer der besten Indikatoren, aber nicht unfehlbar. Generell ist es nicht weise, eine Vorhersage nur auf einen Indikator zu stützen."
Schutz unterentwickelt
Selbst ein so ausgefeiltes seismisches Überwachungssystem wie das japanische produziere Fehlalarme. Zudem stelle sich immer die Frage nach den Folgen einer öffentlichen Warnung: "Das kann weit gefährlicher sein, als den Leuten nichts zu sagen. Es ist eine Sache, ein Erdbeben wissenschaftlich mit einiger Wahrscheinlichkeit vorherzusagen zu können, und eine andere, fähig zu sein, die Leute zu schützen."
Erforderlich ist deshalb nach Ansicht des Forschers neben Notfallplänen auch die Vorbereitung der Bevölkerung auf solche Ereignisse. Das reiche vom Notvorrat an Wasserflaschen und Decken bis hin zur Sicherung der Häuser gegen Erdbeben: "Aber diese Dinge stecken in Europa noch in den Kinderschuhen."
Quelle: ntv.de