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Äh, voll fett, Digger! Jugendliche spielen mit Sprache

Sprachlose Jugendliche während des Zugführerstreiks.

Sprachlose Jugendliche während des Zugführerstreiks.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Manchmal zucken wir zusammen, wenn wir im Bus oder in der S-Bahn zuhören müssen, wie sich Jugendliche miteinander unterhalten. Das Phänomen der Jugendsprache ist uralt und selbst von Wissenschaftlern kaum zu fassen.

Jugendsprache ist für erwachsene Menschen meist ein Buch mit sieben Siegeln. Was ein Buch mit sieben Siegeln ist, darüber rätseln wiederum viele Jugendliche. Sprache entwickelt sich ständig weiter. Dabei helfen Jugendliche ganz unbewusst durch ihre außerordentliche Art und Weise der Kommunikation mit. Schon vor hunderten Jahren haben Heranwachsende in manchen Situationen versucht, sich anders miteinander zu unterhalten, als es unter Erwachsenen üblich war.

Dieser Versuch lässt auf Funktionen der Jugendsprache schließen, die bis heute aktuell sind. Der Jargon der Jugend dient dazu, sich einerseits von älteren Generationen, heute vor allem von Eltern und Lehrern, und andererseits auch von Gleichaltrigen und Jüngeren abzugrenzen. Jugendsprache soll identitätsstiftend sein und Zugehörigkeitsempfinden auslösen. Sie ist ein wichtiger Bestandteil der Selbstinszenierung von Heranwachsenden. Jugendsprache ist ein Phänomen, das weltweit zu beobachten ist.

Es gibt nicht eine Jugendsprache

Jugendliche sprechen auch mit dem anderen Geschlecht ihres Alters einen eigenen Stil.

Jugendliche sprechen auch mit dem anderen Geschlecht ihres Alters einen eigenen Stil.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Wenn hier von Jugendsprache die Rede ist, dann muss bemerkt werden, dass es die eine Jugendsprache nicht gibt. "Es gibt vielmehr ganz verschiedene Jugendsprachen" betont die Sprachwissenschaftlerin Helga Kotthoff, die an der Albert-Ludwig-Universität in Freiburg lehrt. Jugendsprachen sind sowohl regional als auch in unterschiedlichen Altersgruppen verschieden. Manchmal unterscheiden sich Jugendsprachen sogar von Clique zu Clique oder von Jahrgang zu Jahrgang. Manche sagen schon wieder "dufte", andere noch "voll fett." Es geht immer wieder um Abgrenzung, Selbstdefinition und das Brechen von Normen, auch kurzlebiger Normen einer Jugendkultur. Eine eindeutige und umfassende Definition von Jugendsprache kann es deshalb auch nicht geben.

Die oberflächliche Betrachtung der Sprech- und Schreibstile von Jugendlichen beschränkt sich oftmals auf einzelne Begriffe und Wortgruppen. Als Jugendsprache identifiziert werden vor allem die Wörter, die Erwachsenen fremd, besonders hart, falsch verwendet oder vulgär erscheinen - zum Beispiel das Wort "Asi". Prägnante Ausdrücke werden auf dieser Ebene selektiv von außen wahrgenommen und dann als Jugendsprache eingeordnet. Die Erforschung von Stilen der jungen Leute ist jedoch wesentlich komplexer. Das erste Problem, das Wissenschaftler lösen müssen, ist, wie sie an das Objekt unverfälschter Jugendsprachen gelangen. Das ist bei gesprochener Sprache beispielsweise durch Mitschnitte möglich, deren Verwendungserlaubnis erst nach der Aufzeichnung eingeholt wird. Geschriebene Jugendsprache dagegen ist leichter zu bekommen. Foren und Plattformen im Internet, wie zum Beispiel SchülerVZ, liefern reichlich Forschungsmaterial.

Auf der Suche nach sich selbst

Jugendliche im Alter zwischen 11 und 21 Jahren sind auf der Suche. Sie befinden sich sowohl biologisch als auch sozial in Zwischenstadien. Sie leben in verschiedenen Wertewelten - in der ihrer Eltern, in der ihrer gleichaltrigen Freunde und auch noch in der der Medien. Für jede Wertewelt existieren besondere Sprachstile. Die Heranwachsenden können zwischen den Stilen meist ohne viel Mühe hin- und herspringen, je nachdem, mit wem sie gerade kommunizieren.

Normalerweise können sich Jugendliche mit ihrem Sprachstil schnell auf ältere oder jüngere Gesprächspartner einstellen.

Normalerweise können sich Jugendliche mit ihrem Sprachstil schnell auf ältere oder jüngere Gesprächspartner einstellen.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

So zumindest scheint es bisher gewesen zu sein. Heute bleiben einige Schüler ihrem Jargon auch im Unterricht treu. Der Lehrer Stephan Serin hat darüber sogar ein Buch geschrieben. Darin beschreibt er seinen Alltag als Referendar an einem Berliner Gymnasium als "Kampf um das Einhalten sprachlicher Minimalstandards". Betitelt hat er sein Werk passend mit: "Föhn mich nicht zu".

Serin beobachtet, dass sich einige Jugendliche gegenseitig nur noch einzelne Wörter entgegenwerfen. Selbst wenn er betont, dass sein Werk mit satirischer Überhöhung spielt, bestätigen Sprachforscher dieses Phänomen und erklären, dass während dieser Art der Kommunikation für die Informationsübertragung unnötige Wörter einfach weggelassen werden. Trotz des eigenwilligen Sprachstils, dem nur ein kleiner Teil der Jugendlichen folgt, sind die Heranwachsenden bei der Anwendung ihrer spezifischen Sprache weder faul noch primitiv. "Die Jugendzeit ist semiotisch sehr intensiv und hat sowohl in der Mode als auch in der Sprache hauptsächlich mit Selbstinszenierung zu tun", erklärt Kotthoff das Phänomen. Aus diesem Grund legen heute viele Jugendliche besonders viel Wert auf eine gelungene Performance beim kommunikativen Schlagabtausch.

Basteleien mit Wörtern

Wenn es auch keine Jugendsprache an sich gibt, so konnten Wissenschaftler doch einige Gemeinsamkeiten von Jugendsprachen ausmachen. Dazu gehören Wortneuschöpfungen, Wortverfremdungen, Übertreibungen und die Benutzung von Wörtern in neuen Kontexten, um nur einige Beispiele zu nennen - zum Beispiel "checken" im Sinne von "verstehen". Solche Sprachbasteleien werden von Jugendlichen zu Jugendlichen sowohl sprechend als auch schreibend verwendet. Die Jugendlichen gehen dabei kreativ vor. Experten sehen in den untersuchten Jugendsprachen grundsätzlich keine Anzeichen einer Sprachverarmung. Jugendsprachen sind vielmehr ein Ausdruck einer normalen Stilvielfalt.

Der eigene Sprachstil der Jugendlichen wird auch in geschriebener Form eingehalten.

Der eigene Sprachstil der Jugendlichen wird auch in geschriebener Form eingehalten.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Jugendliche in Deutschland verwenden gern abgewandelte Anglizismen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die englische Sprache in Deutschland durchgängig als Prestigesprache angesehen wird. Wörter wie "Bullshit" und "rumposen" gehören dazu. "Ein neues Phänomen von Jugendsprache ist das sogenannte Turkdeutsch, das auch von Jugendlichen, deren Muttersprache Deutsch ist, übernommen wird", erzählt Kotthoff von den Vorträgen der letzten Fachtagung in Freiburg: "Ey Alder, gehen wir nachher Edeka", hört man durchaus auch von nichttürkischen Jungs.

Die meisten Begriffe aus den Jugendsprachen sind sehr kurzlebig. Nicht durchgesetzt haben sich beispielsweise "Onepack" für einen Bierbauch und "Chillus" für einen entspannten Menschen. Einige wenige wie "cool" und "abkacken" schaffen es dagegen sogar in den allgemeinen Sprachgebrauch. Manche Wörter werden bis ins Erwachsenenalter weiter benutzt. Es ist wohl so, dass man sich so selbst ein Stück Jugend bewahren möchte. Es könnte aber auch sein, dass damit andere als Gleichaltrige identifiziert werden können und wiederum ein Gefühl der Zugehörigkeit entstehen kann. Die meisten Menschen jedoch legen die Jugendsprache, die sie eh nie durchgehend gesprochen haben, mit dem Eintritt ins Erwerbsleben ab.

Jugendsprache hat ihre Zeit

Wir leben in einer Jugendkulturgesellschaft - das heißt, Jugend und Jugendkultur wird in unserer Gesellschaft als erstrebenswert angesehen. Es gilt als chic, sich so lange wie möglich mit einem jugendlichen Aussehen und einer jugendlichen Leichtigkeit durch das Leben zu bewegen. Diesem Trend folgend, versuchen manche Erwachsene, Jugendsprache - manchmal als Eltern - zu imitieren. Das wird sowohl von den Jugendlichen selbst als auch von anderen Mitmenschen als unpassend aufgenommen. Auch die Verwendung der eigenen Jugendsprache als Erwachsener Jugendlichen gegenüber ist "uncool". Aus diesem Grund werden Erwachsene, die Wörter wie "Okidoki" oder "Tschüssikowski" verwenden, von Heranwachsenden höchstens mitleidvoll belächelt.

Mit dem Eintrit ins Erwerbsleben legen die meisten Jugendlichen ihren speziellen Sprachstil ab.

Mit dem Eintrit ins Erwerbsleben legen die meisten Jugendlichen ihren speziellen Sprachstil ab.

(Foto: picture alliance / dpa)

Trotzdem ist das Interesse an Jugendsprachen nicht nur unter Sprachwissenschaftlern, sondern auch in der Bevölkerung groß. Um Verständigungsschwierigkeiten zu beheben, bringt der Pons-Verlag jährlich ein "Wörterbuch der Jugendsprache" auf den Markt. Dafür werden jährlich Schülerinnen und Schüler aufgerufen, Listen mit typischen Begriffen der Jugendsprache einzuschicken. Diese werden dann unzensiert in einem kleinen Büchlein zusammengetragen.

Wer das Buch nicht mag oder von unterwegs klären will, was ein Wort bedeutet, kann sich sogar eine "App der Jugendsprache" auf sein Handy laden. Jugendliche selbst distanzieren sich jedoch von diesen Wörterbüchern. Denn wie bereits erwähnt, die Jugendsprache gibt es nicht.

Quelle: ntv.de

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