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Chemikaliencocktail im Blut Kinder am stärksten belastet

Familien in Europa haben einen Chemikaliencocktail im Blut. Bei 13 Test-Familien wies eine WWF-Studie 73 bedenkliche Industriechemikalien nach. Die Personen kamen aus zwölf Ländern; an den Untersuchungen nahmen jeweils Großmutter, Mutter und ein Kind teil. Die meisten Chemikalien fanden sich bei den Großmüttern (63). Erstaunlich ist jedoch, dass die Kinder mehr Schadstoffe (59) als ihre Mütter im Blut haben (49). Zusätzlich fand man bei den Jüngsten einige Chemikalien in den höchsten Konzentrationen.

Auch die deutsche Familie Münster aus Speyer ließ sich testen. Die Großmutter der Familie trägt weniger Industriechemikalien im Blut als die anderen Vertreterinnen der älteren Generation. Bei Mutter und Tochter wurden hingegen mehr Schadstoffe nachgewiesen als bei den anderen Europäern ihrer Altersgruppen.

Jeder trägt 18 Chemikalien im Blut

Die Proben der 13 Familien wurden auf 107 langlebige, sich anreichernde und hormonell wirksame Industriechemikalien untersucht. Jedes Familienmitglied ist mit einem Cocktail aus mindestens 18 Schadstoffen belastet, ergab die Studie "Generation X". Neuere Chemikalien, die in Computern, Textilien, Kosmetika oder Elektrogeräten enthalten sind, wurden häufiger und in höheren Konzentrationen bei den Kindern gefunden. Dazu zählen bromierte Flammschutzmittel, so genannte "Anti-Haft-Stoffe" oder synthetische Moschusverbindungen. Die Großmütter waren dagegen zumeist stärker mit älteren und bereits verbotenen Chemikalien wie DDT oder PCB belastet.

Flammschutzmittel gefährden Kinder

Das Flammschutzmittel TBBP-A, das in Platinen elektronischer Geräte eingesetzt wird, wurde bei 18 Familienmitgliedern nachgewiesen (3 Großmütter, 7 Mütter und 8 Kinder). Die höchste Konzentration fand man im Blut eines Kindes. Von 31 verschiedenen untersuchten Flammschutzmitteln des Typs PBDEs fanden sich 17 in der jüngsten Generation, im Vergleich zu 10 bei den Großmüttern und 8 bei den Müttern. Und die höchste Konzentration der für die Herstellung bestimmter Kunststoffe verwendeten Chemikalie Bisphenol A - eine Substanz, die bereits in minimalen Mengen das Hormonsystem beeinträchtigen kann -wurde ebenfalls in einem Kind nachgewiesen.

Belastungen durch Alltagsprodukte

Angesichts der Besorgnis erregenden Befunde fordert der WWF die Europäische Union auf, bei der Entscheidung über die Chemikalienrichtlinie REACH den Schutz von Umwelt und Gesundheit in den Vordergrund zu stellen. Der Gesetzentwurf dürfe nicht noch weiter abgeschwächt werden. "Es ist ein erschreckendes Ergebnis: Das Blut unserer Kinder ist mit Chemikalien belastet, über deren Wirkung wir kaum etwas wissen", sagte WWF-Expertin Dr. Ninja Reineke. "Viele der Schadstoffe stecken in Alltagsprodukten." Sie sind langlebig und reichern sich über die Jahrzehnte im menschlichen Körper an.

Appell an die EU

"REACH muss sicherstellen, dass von den Herstellern ausreichend Informationen vorgelegt werden, um insbesondere die Langzeitauswirkungen der Chemikalien beurteilen zu können. Und das geplante Zulassungsverfahren muss einen starken Anreiz setzen, gefährliche Chemikalien durch ungefährliche Alternativen zu ersetzen", forderte Reineke.

Auch Familie Münster möchte sich für eine stärkere Kontrolle einsetzen. "Kein Mensch möchte mit einem Giftcocktail im Blut leben. Wir hoffen, dass diese Ergebnisse Politik und Industrie aufrütteln", sagt die 45jährige Doris Münster. In der kommenden Woche wird die deutsche Familie mit den anderen Teilnehmern aus Europa nach Brüssel reisen, um den EU-Parlamentariern persönlich ihre Bedenken vorzutragen. Die erste Lesung der Chemikalienrichtlinie REACH findet im November statt.

Quelle: ntv.de

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