Forscher rettet jüdische Bibliothek Kostbare Schätze
22.01.2009, 11:22 UhrDas hebräische Buch ist knapp 250 Jahre alt und handelt von der Kabbala - der Mystik des jüdischen Glaubens. Sorgsam legt Andreas Lehnardt das in Leder gebundene Werk auf seinen Schreibtisch. "Sehen Sie diese handschriftlichen Einträge und Kommentare - sie sind neben dem Buchtext für die Wissenschaft besonders interessant", erklärt der Mainzer Judaistik-Professor. Seit rund vier Jahren arbeitet er an der Johannes Gutenberg-Universität und kümmert sich intensiv um rund 5500 Bücher, die von zwei jüdischen Gemeinden stammen und wie durch ein Wunder den Zweiten Weltkrieg überstanden haben. Die Sammlung zählt laut Lehnardt zu den bedeutendsten jüdischen Gemeindebibliotheken in Deutschland. Das älteste Werk stammt aus dem Jahr 1547, es sind auch mehrere Handschriften in der Sammlung.
"Wir bewahren Schätze auf, die es an anderen Orten der Welt in dieser Erhaltung nicht gibt", sagt der Professor. Allerdings ist die einmalige Sammlung in Gefahr. Die meisten Bücher haben die Zeit - und vor allem die Kriege - nicht schadlos überstanden, viele sind durch Brände und Wasser erheblich beschädigt. Rund 1000 müssten restauriert werden - nur für ein paar Dutzend konnte Lehnardt dies bislang finanzieren. Diese bewahrt er besonders sorgsam und von den übrigen getrennt auf, damit sie nicht von Schädlingen befallen werden oder Schimmel ansetzen.
Bedeutsame handschriftliche Kommentare
Es kann bis zu 1500 Euro kosten, ein solches Buch wie etwa das Kabbala-Werk restaurieren zu lassen. Zudem sollten die kostbaren Stücke nur in die Hände von Experten kommen. Lehnardt ist daher froh, dass sich dieselbe Restaurations-Werkstatt um seine Bücher kümmert, die auch für die durch einen Brand schwer beschädigte Anna Amalia Bibliothek in Dresden arbeitet. "Es wird aber immer schwieriger, für solche exotischen Bücher Spender zu finden", sagt der Professor.
In Mainz gab es nach der Abspaltung einer orthodoxen Gruppe von der liberalen Hauptgemeinde ab dem Jahr 1852 zwei jüdische Gemeinden. "Beide verfügten über große Bibliotheken", erzählt Lehnardt. "Diese Sammlungen waren wichtig für das Judentum in Mainz und darüber hinaus." Dabei zählt - wie etwa bei einem Werk aus dem Jahre 1792 - nicht nur der eigentliche Text für das religiöse Studium, in diesem Fall eine Predigt über die fünf Bücher Mose. Oft viel bedeutender, auch für die Wissenschaft, sind umfangreiche handschriftliche Kommentare von Rabbinern neben den Texten oder die Besitzvermerke. Anhand der Namen kann Lehnardt beispielsweise sehen, aus welchen Privatbibliotheken Werke in die Mainzer Gemeinden gelangten.
Eine der ältesten jüdischen Gemeinden Deutschlands
Unter der Nazi-Diktatur wurden die Bibliotheken 1938 beschlagnahmt und in der Mainzer Stadtbibliothek eingelagert. "Es sind auch einige in der Pogromnacht verbrannt. Augenzeugen berichteten, wie Bücher aus dem Fenster geworfen wurden", sagt Lehnardt. Da auch die Nazis um den Wert der alten Bücher wussten, ging es ihnen wohl nicht darum, sie zu vernichten, sie wollten sie rauben und zu Geld machen. Allerdings scheinen die jüdischen Bücher in ihrem Lagerräumchen irgendwie in Vergessenheit geraten zu sein.
Beim Bombenangriff auf Mainz 1942 wurde auch die Stadtbibliothek getroffen, die jüdische Sammlung jedoch kaum in Mitleidenschaft gezogen. Nach dem Krieg brachte die jüdische Gemeinde ihre Bücher zunächst provisorisch in einer Schule unter, bevor sie 1955 als Dauerleihgabe an die Universität gebracht wurden. "Dort herrschte nach dem Krieg ein großer Büchermangel", erzählt Lehnardt. Die Bibliothek steht seitdem nicht nur den Gemeindemitgliedern, sondern auch Forschern und Studenten zur Verfügung.
"Viele Schätze sind noch nicht gehoben", sagt der Professor. "Ich erhoffe mir noch viele neue Erkenntnisse über das Judentum in Mainz - eine der ältesten jüdischen Gemeinden in Deutschland." Dabei geht es dem Wissenschaftler unter anderem um das Verhältnis der Juden zur deutschen Gesellschaft. Die Bücher sind nach seinen Worten vor allem dazu da, sie in die Hand zu nehmen und mit ihnen zu arbeiten. Mit Unterstützung der Rothschild-Foundation erstellt Lehnardt derzeit einen Katalog über die Sammlung - "eine Sisyphusaufgabe". Wenn die neue Synagoge in Mainz fertig ist, werden die Bücher womöglich dorthin umziehen und nach mehr als 70 Jahren in ihre Gemeinde zurückkehren.
Quelle: ntv.de, Andrea Löbbecke, dpa