"DarwinTunes" Krach entwickelt sich zu Musik
18.06.2012, 21:20 Uhr
Musik entwickelt sich in ähnlichen Evolutionsprozessen wie Lebewesen.
(Foto: picture alliance / dpa)
Musikalische Vorlieben verändern sich. Wissenschaftlich lässt sich sagen: Die Musik unterliegt einer Evolution – ähnlich wie die Lebewesen auf der Erde. Hörer können über ihre Auswahl binnen weniger "Geräuschgenerationen" aus Krach Musik entstehen lassen, berichten Forscher.
Das Experiment zeigt: Die Grenze zwischen Krach und Musik ist fließend.
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Um die Evolution von Musik zu untersuchen, hatte das Team um den Londoner Wissenschaftler Robert MacCallum ein Computermodell entwickelt und in Anlehnung an den Begründer der Evolutionstheorie Charles Darwin "DarwinTunes" genannt. Das System enthält einen Vorrat an "digitalen Genomen". Jedes "Genom" verschlüsselt ein Computerprogramm, das, sobald es ausgeführt wird, eine kurze Abfolge von Tönen spielt, einen sogenannten Loop. Einige musikalische Parameter wie Notierung oder Instrumentierung waren den Programmen individuell zugeschrieben, andere, wie Tempo oder Stimmlage, für alle Programme gleich.
Während der Evolution vermehrten sich die Loops: Aus zwei "Eltern-Loops" entstanden "Töchter-Loops". Analog zu den Vorgängen bei der biologischen Fortpflanzung mischten sich dabei die Genome der Eltern. Außerdem traten zufällige Mutationen auf: kleine Abweichungen bei der Weitergabe des Erbguts, die dazu führten, dass das Tochtergenom neues Material enthielt.
Musik wird immer angenehmer
Um Selektionsdruck zu erzeugen, also eine Kraft, die die Weiterentwicklung steuert, sollten Internetnutzer die Loops bewerten – auf einer fünfstufigen Skala von "Kann ich nicht ausstehen" bis zu "Ich liebe es". Sobald 20 Loops bewertet waren, wurden die besten zehn Loops gepaart und jeweils zwei Töchter-Loops generiert. Insgesamt gaben knapp 7000 Hörer mehr als 85.500 Bewertungen ab. Die Loops entwickelten sich über 2513 Generationen, in deren Verlauf 50.480 neue Loops "geboren" wurden.
Es zeigte sich, dass die Musik im Verlauf der Evolution immer angenehmer zu hören war: Aus Krach entwickelte sich Musik. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass dies vor allem auf der zunehmenden Entstehung von Akkorden und Rhythmen beruhte, die in der westlichen Populärmusik gebräuchlich sind.
Nach etwa 600 Generationen verlangsamte sich die musikalische Entwicklung allerdings. Dies führen die Forscher auf eine nachlassende Übertragungsgenauigkeit zurück: Nachdem die Loops eine hohe Qualität erreicht hatten, störte die Rekombination und das Auftreten von Mutationen die Entwicklung eher, beziehungsweise brachte sie nicht weiter voran.
Rückschlüsse auf die reale Musikkultur
Obwohl "DarwinTunes" ein künstliches System sei, ließen sich damit Rückschlüsse auf die Evolution von Musik in realen musikalischen Kulturen ziehen, schreiben die Forscher. In der Realität seien die Hörer aber nur eine von vielen Kräften, die die Entwicklung der Musik beeinflussten. Hinzu kämen die Produzenten und die Beeinflussung der Hörer durch die Vorlieben anderer.
Welchen Anteil die einzelnen Gruppen an der musikalischen Entwicklung haben und in der Vergangenheit hatten, sei bisher weitgehend unklar. Die Möglichkeit der heutigen Zeit, Musik herunterzuladen, zu manipulieren und über soziale Netzwerke zu verbreiten, werde die künftige Entwicklung sicher verändern.
Quelle: ntv.de, dpa