Ausverkauf der Jahrtausende Libanon verliert seine Schätze
22.05.2010, 14:39 Uhr
Ausgrabungen im Libanon sind meist unprofessionell und dienen der bloßen Existenzsicherung der Ausgraber.
(Foto: ASSOCIATED PRESS)
Diebstahl und Mangel an professionellen Ausgrabungen: Im Libanon werden antike Stätten geplündert. Die Strafen sind zu gering, ein Schuldbewusstsein ist kaum vorhanden.
Abu Najef ist Schatzsucher. Seit drei Jahrzehnten gräbt der Libanese nach Überresten der reichen Vergangenheit seines Landes. Mit dem Verkauf der Goldstücke, Armreifen, Ohrringe oder Tonlampen ernährt der Mittsechziger seine Familie. Doch seine zum Teil Jahrtausende alte Fundstücke gelangen nicht ins Museum, sondern in die Hände von skrupellosen Händlern auf der ganzen Welt. In Baalbeck im Osten des Landes, Standort der großartigsten römischen Tempelanlagen, verhökern Plünderer wie Najef die Schätze vergangener Kulturen an die höchsten Bieter. Schließlich wird der Schmuggel von Altertümern im Libanon maximal mit Geldstrafen bestraft.
"Ich weiß, dass dies historische Artefakte sind, aber meist kenne ich ihren genauen Wert nicht", sagt Najef. "Ich arbeite mit einem Händler nördlich von Beirut zusammen." Der Mann, der seinen richtigen Namen nicht nennen will, ist sich keiner Schuld bewusst. "Ich habe eine Frau und sechs Kinder zu versorgen, und das mache ich mit diesem Geschäft", erklärt er. Und er nicht der einzige Schatzsucher. Die Ausgrabungsstücke wie Statuen, Gefäße oder sogar Mosaike aus den illegalen Raubzügen enden oft in Häusern und Gärten libanesischer Bürger und vor allem Politiker. Im Februar beschlagnahmte die Polizei bei einem islamischen Scheich in Baalbeck einen Kindersarkophag aus dem Römischen Reich. Sogar weltweit sind archäologische Schätze aus dem Libanon in privaten Sammlungen zu finden.
Beliebtes Transitland für Schmuggel

Nur wenige Fundstücke, wie dieser Terracotta-Kopf aus der Römerzeit, gelangen in ein Museum.
(Foto: ASSOCIATED PRESS)
"Der ganze Libanon ist eine wahre Fundgrube für Antiquitäten, aber wir verlieren so viele davon durch Diebstähle und den Mangel an professionellen Ausgrabungen", sagt ein Professor für Archäologie, der ebenfalls aus Angst vor den Behörden seinen Namen nicht veröffentlicht sehen will. Während des verheerenden Bürgerkriegs von 1975 bis 1990 waren Plünderungen der antiken Stätten an der Tagesordnung. Der Schmuggel von Kulturschätzen aus der Zeit der Phönizier, Römer, Kreuzritter und Byzantiner blühte.
"Der Libanon ist noch immer ein beliebtes Transitland für solchen Schmuggel", sagt Rana Andari, Leiterin der Archäologischen Sammlung in der Zentralbehörde für Antiquitäten. "Die Polizei beschlagnahmt mindestens 20 Mal jährlich Schmuggelware im Landesinneren. Was am Flughafen und den Grenzübergängen vor sich geht, ist gar nicht mitgerechnet."
Gesetze sind zu harmlos
Die Bewahrung des historischen Erbes gehört nicht zu den Prioritäten des Landes. "Das Problem ist, dass es für Schmuggler nur kleine Geldstrafen gibt", sagt Andari. "Verglichen mit Jordanien oder Ägypten sind die Gesetze im Libanon harmlos." Andernorts wird der Handel mit Altertümern mit bis zu 15 Jahren Gefängnis geahndet.
Gleichzeitig werden Jahrtausende alte historische Stätten oft völlig vernachlässigt. Der Schrein des phönizischen Heilgottes Eschmun im Südlibanon ist von Unkraut überwuchert. 1981 wurden 600 Skulpturen aus der religiösen Stätte gestohlen, 50 davon sind noch immer weltweit auf dem Markt. Das berühmteste der wenigen Museen im Libanon, das Nationalmuseum in Beirut, zeigt etwa 2000 archäologische Relikte. Aber hunderttausende weitere Stücke verstauben im Lager des Museums, weil für die Ausstellung keine Mittel und kein Personal vorhanden sind. Die dem Kulturministerium angegliederte Zentralbehörde für Antiquitäten beschäftigt lediglich 15 Archäologen, drei davon in Museen.
Währenddessen entsteht in Beirut dank einer Welle von Investitionen eine neue, moderne Hauptstadt. Vielerorts begräbt oder zerstört sie die reiche Vergangenheit. Der Professor für Archäologie sieht den Aufschwung mit Sorge: "Durch den neuen Bauboom in Beirut können wir Ausgrabungen bald Lebewohl sagen."
Quelle: ntv.de, Rana Moussaoui, AFP