Aus dem Herzen der Sonne Live-Aufnahmen möglich
22.08.2007, 14:39 UhrEin Leben auf der Erde ist ohne die Sonne nicht denkbar, sie spendet Licht und Wärme. Die Energie dafür entsteht im Innern des Sterns: Bei etwa 15 Millionen Grad Celsius fusionieren hier die Kerne verschiedener Atome. Dabei senden sie stetig unterschiedliche Strahlung und Partikel aus - einige davon sind die Neutrinos. Die Elementarteilchen bekommen durch die verschiedenen Prozesse im Sonneninneren unterschiedlich viel Energie mit auf ihren Weg durch die Sonne und quer durch das All. Hochenergetische Neutrinos konnten Forscher bereits in der Vergangenheit in Echtzeit beobachten. Diese stammen aber aus Prozessen in der Sonne, die nur einen kleinen Bruchteil der Energie erzeugen. Die am häufigsten stattfindenden Reaktionen setzen dagegen Neutrinos mit geringer Energie frei.
Signale in Echtzeit
Ein Team aus internationalen Forschern, darunter Wissenschaftler der Technischen Universität München (TUM) und des Max-Planck-Instituts für Kernphysik, hat jetzt erstmals diese niedrigenergetischen Neutrinos in Echtzeit beobachtet. Die neutralen Elementarteilchen stammen aus dem radioaktiven Zerfall von Beryllium im Sonnenkern. Wenn die Forscher diese dann auf der Erde registrieren, können sie live beobachten, wie Energie im Sonneninneren freigesetzt wird. "Das war bisher nicht möglich, da wir in unserem ersten Sonnenneutrinoexperiment dieser Art, Gallex/GNO, niederenergetische Neutrinos nur über die Zeit gemittelt gemessen haben. Noch ganz andere Beobachtungen der Sonne weisen wiederum meist nur Lichtteilchen von ihrer Oberfläche nach", sagt Franz von Feilitzsch von der Technischen Universität München. Diese Photonen brauchen nämlich mindestens 100 000 Jahre, um vom Sonnenkern zur Oberfläche zu wandern. Neutrinos hingegen flitzen ungehindert durch den Gasball. "Die Neutrinoforschung berichtet somit in Echtzeit über den Energieausstoß der Sonne", erklärt Stefan Schönert vom Max-Planck-Institut für Kernphysik. "Sie hat allerdings auch ihre Tücken, denn wir müssen erstmal die Neutrinos messen und wirklich auch nur diese."
Abgeschirmt im Untergrund
Die Herausforderung für die Neutrinoforschung ist nicht, dass es zu wenig Neutrinos gibt. Ganz im Gegenteil: Bis zu 70 Milliarden Neutrinos durchqueren im Sekundentakt einen Quadratzentimeter der Erdoberfläche. Sie haben allerdings unterschiedliche Energie und sind nur ein Bestandteil eines ganzen Strahlenschwarms. Auf die Detektoren der Wissenschaftler hagelt außer Neutrinos auch ein ganzer Schwall von anderen Teilchen und Strahlung ein. Das Borexino-Team ist deshalb mit seinem Experiment in den Untergrund geflüchtet - einen Kilometer unter die Erdoberfläche. Im Untergrundlabor Gran Sasso in den italienischen Abruzzen haben die Wissenschaftler eine riesige Neutrinofalle aufgebaut. Das Herzstück des Borexino-Experiments ist sein Detektor, der 300 Tonnen Flüssigkeit enthält. "Wir fanden in den ersten Messungen heraus, dass etwa 50 Neutrinos pro Tag aus dem Berylliumzerfall im Inneren des Detektors Lichtblitze erzeugen", sagt Lothar Oberauer von der TUM.
Schnappschuss von den Geisterteilchen
Rasen Neutrinos durch diese Flüssigkeit, Szintillator genannt, prallen sie dort auf einzelne Elektronen in den Atomen. Die Elektronen erhalten dabei einen Teil der Energie vom Neutrino und übertragen diese auf benachbarte Moleküle. Deren Elektronen klettern dann auf ein höheres Energieniveau - das Molekül ist dadurch in einem angeregten Zustand. Die Elektronen schwingen unruhig auf ihren neuen Bahnen umher und springen letztendlich auf ihre ursprünglichen Plätze zurück, aber nicht ohne einen Preis dafür zu zahlen: Sie müssen Energie abgeben, indem sie Lichtteilchen aussenden. 2200 Sensoren beobachten dabei dieses Licht und senden die Signale an einen Computer. Der zeichnet dann in Echtzeit auf, wie viel Energie die Lichtblitze haben und woher sie kommen. Auf diese Weise machen die Forscher eine Art Schnappschuss von den durchrasenden Neutrinos. Die Fotos zeigen mit einer Genauigkeit von bis zu 13 Zentimetern an, woher die Lichtblitze aus dem 14 Meter großen Detektor kommen.
Detektor nach dem Zwiebelprinzip
Allerdings kann auch andere Strahlung wie natürliche Radioaktivität oder Teilchen aus dem fernen Weltall diese Lichtblitze auslösen. "Daher sind wir in den Untergrund gegangen und haben den Detektor wie eine Matrjoschka mit mehreren Hüllen gebaut, um möglichst viel dieser Strahlung abzuschirmen", erklärt Stefan Schönert. Im Kern des Detektors hält eine speziell angefertigte, nur 100 Mikrometer dünne Nylonschicht den Szintillator in Form. Weitere Flüssigkeitsschichten, die von Stahlhüllen gestützt sind, schirmen zusätzlich andere Einflüsse ab, etwa kosmische Strahlung oder das radioaktiv zerfallene Radon. Alle Materialen wurden extra für das Borexino-Experiment ausgewählt und auf ihre Reinheit hin untersucht. Die Forscher nutzen aber auch einfache Mittel - Wasser höchster Reinheit zum Beispiel. 2400 Tonnen Wasser wurden unter strengen Bedingungen gefiltert und dienen als äußerer Strahlenpuffer.
Die Messungen des Borexino-Experiments eröffnen somit einen neuen Einblick in das Innerste der Erde und des Sterns. Die Daten sollen neue Einsichten in die Astroteilchenphysik liefern und somit auch helfen, das Wissen über das All zu vertiefen.
Quelle: ntv.de