Wenn Computer menscheln Memristoren imitieren graue Zellen
02.03.2012, 08:50 Uhr
Mikroskop-Aufnahme einer Schaltung mit 17 Memristoren. Die Bauelemente können nicht nur speichern und verarbeiten, sie haben auch ein Gedächtnis.
(Foto: J. J. Yang, HP Labs)
Computer lösen nicht nur in Sekundenschnelle Probleme unterschiedlichster Art, sie können auch besser Schach spielen als wir. Dennoch gibt es Bereiche, in denen das menschliche Hirn den leistungsfähigsten Rechnern überlegen ist. Forscher versuchen daher, Nervenzellen nachzubauen. Jetzt können sie einen Erfolg verbuchen.
Zukunftsforscher geraten schon mal ins Schwärmen, wenn sie an den Chip im Hirn denken, der es ihnen im Jahre X ermöglicht, alle Sprachen dieser Welt zu beherrschen. Dabei lässt sich zurzeit nicht einmal sagen, ob ein solcher "Hirn-Booster" jemals Wirklichkeit werden könnte. Wäre er überhaupt erstrebenswert? Die Forschung jedenfalls befasst sich mit dieser extremen Form der Neurotechnologie bisher nicht. Der umgekehrte Weg dagegen ist sehr wohl ein Thema: Seit Jahrzehnten verfolgen Wissenschaftler das Ziel, die Arbeitsweise des Gehirns auf Maschinen zu übertragen.
Schließlich hat unser Hirn den Rechnern von heute noch immer einiges voraus. So ist es zum Beispiel für Menschen ein Leichtes, aus visuellen Eindrücken bestimmte Schlüsse zu ziehen. Wir können nicht nur Gesichter erkennen, sondern auch ohne Weiteres Fotos und Videos interpretieren. Da sind wir Computern noch weit überlegen. Ebenso, wenn es darum geht, vielschichtige Zusammenhänge zu verstehen und daraus ein Handeln abzuleiten. Auch bei komplexen Konversationen müssen Computer bislang passen. Dafür aber können sie mitunter beneidenswert gut Schach spielen und menschliche Gegner matt setzen. Mit dem asiatischen Brettspiel "Go" haben sie allerdings ein Problem. Nicht ausgeschlossen, dass sie es demnächst lernen. Doch auch dann kann der Mensch noch auftrumpfen. Denn er ist in der Lage, zahlreiche Anforderungen parallel zu erkennen und darauf zu reagieren. Wir können gleichzeitig sehen, reden, verstehen, interpretieren und handeln. Eine dermaßen hohe Parallelität in der Informationsverarbeitung wie sie für uns selbstverständlich ist, leisten Computer derzeit noch nicht.
Winzlinge, die es in sich haben

Unvorstellbar klein: Die Höhe eines Memristoren-Türmchens entspricht der Dicke eines tausendmal gespaltenen Haares.
(Foto: picture alliance / dpa)
Selbst Superrechner sind nicht so effizient wie unsere kleinen grauen Zellen. Doch auf dem Weg zur künstlichen Nervenzelle sind die Wissenschaftler jetzt offenbar einen Schritt weiter: Jüngst konnten Physiker der Universität Bielefeld zeigen, dass es mit neuartigen Speicherbauteilchen - den sogenannten Memristoren - möglich ist, wesentliche Eigenschaften von natürlichen Nerven zu imitieren. "Ein Memristor lernt und merkt sich seine 'Geschichte' - und das auch, wenn der Strom abgeklemmt ist", erklärt Studienleiter Andy Thomas die Besonderheit von Memristoren. "Damit funktionieren sie so ähnlich wie die Synapse im menschlichen Gehirn."
Memristoren bestehen aus mikroskopisch kleinen Drähten, die den Strom unterschiedlich stark leiten. Wie gut sie leiten beziehungsweise wie groß ihr Widerstand ist, hängt unter anderem davon ab, wie stark der Strom war, der in der Vergangenheit durch sie hindurch floss und wie lange dieser Strom auf sie einwirken konnte. Die Verbindung wird stärker, je öfter sie genutzt wird. Und so ist es auch bei menschlichen Nervenzellen: Ihre Synapsen reagieren umso schneller, je häufiger sie aktiviert werden. Wenn eine Nervenzelle eine andere Nervenzelle langandauernd und wiederholt erregt, dann verändert sich dadurch die Synapse und die Übertragung des Signals wird effizienter. Übt also ein Schüler lange genug das Einmaleins, ist zwischen den Zahlen vier, fünf und 20 irgendwann ganz automatisch eine Standleitung geschaltet. Eine solche Funktionsweise haben Thomas und sein Team nun auch für die Memristoren nachgewiesen. "Damit ist belegbar", resümiert Thomas, "dass mit ihnen der Bau künstlicher Gehirne möglich ist."
Sonden werden beschlussfähig
Mit Hilfe der Memristoren sollen Computer entstehen, die selbstständig von ihrer Programmierung abweichen können, wenn eine neue Verbindung häufiger genutzt wird als die ursprüngliche. Wenn eine Sonde auf Weltraummission ein unvorhergesehenes Objekt gleich mehrfach registriert, könnte sie eigenständig den Beschluss fassen, Daten über diese Begegnung zu sammeln und zur Erde zu senden.
Memristoren scheinen damit prädestiniert für den Einsatz in "künstlichen neuronalen Netzen" - einem Informatikmodell, das sich am biologischen Vorbild orientiert, den Nervenzellen in Gehirn und Rückenmark. Künstliche neuronale Netze wurden schon in den 1940er Jahren entwickelt. Heutzutage sind sie etwa dann im Spiel, wenn Computer die Postleitzahlen auf Briefen entziffern oder die Digitalkamera ihren Autofocus ganz selbstverständlich auf das Gesicht im Bild richtet. Sie können auch zur Vorhersage von Aktienkursen eingesetzt werden. In allen drei Problemstellungen kann der Computer ein Eingabesignal (Bild, Aktienkurs) verarbeiten und dann reagieren (auf die Region mit dem Gesicht, den zu erwartenden Aktienkurs). Wie er reagieren muss, das hat der Rechner anhand vieler Beispiele gelernt.
Computer erkennt Krankheiten
Dies sind nur einige Exempel für maschinelles Lernen, wie es die Fachwelt nennt. Wissenschaftler verbinden mit Künstlicher Intelligenz noch ganz andere Visionen. Entsprechend "angelernte" Computer könnten medizinische Diagnosen erstellen oder eigenständig forschen, indem sie Experimente vorschlagen und simulieren. Sie könnten Menschen etwas beibringen oder selbst künstlerisch tätig werden und Musik komponieren sowie Bücher schreiben. Und schließlich könnten sich "intelligente" Roboter in ihrem Umfeld zurechtfinden und mit uns Menschen kommunizieren. Prototypen gibt es bereits. Letztlich sind die möglichen Anwendungen fast so vielseitig wie wir sie aus Science-Fiction-Darstellungen kennen.
Doch noch weist das menschliche Gehirn einen weitaus höheren Vernetzungsgrad auf als jeder Computer, und das bei einer vergleichsweise geringen Größe und einem geringen Energieverbrauch. Letzterer könnte auf Seiten der Rechner nun sinken - dank der Memristoren. Sie gelten als wahre Energiesparwunder. Deswegen verfolgen Experten der Luft- und Raumfahrt die Forschung mit großem Interesse. "Das Energiemanagement ist eine der wichtigsten Rahmenbedingungen für erfolgreiche Weltraummissionen. Wenn wir weniger Energie benötigen, müssen wir sie erst gar nicht mitnehmen", sagt Andreas Schütz vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in diesem Zusammenhang.
Aber Memristoren haben - zumindest im Moment noch - auch einen Nachteil: Sie sind wesentlich langsamer als die derzeit gebräuchlichste Speichertechnologie. Dennoch sind sie ein vielversprechender Baustein, wenn es um die Simulation des menschlichen Gehirns geht. Bis daraus aber ein Computer entsteht, der wie unser Denkorgan arbeitet, ist es noch ein weiter Weg.
Quelle: ntv.de, mit dpa